UNTER VORBEHALT
Die Vorführung mancher Filme, die während des „Dritten Reichs“ entstanden sind, ist nur unter Vorbehalt möglich. Diese sogenannten Vorbehaltsfilme dürfen zwar gezeigt, aber sie müssen eingeführt und mit dem Publikum diskutiert werden. Ihre Vorführung soll der Aufklärung über den Nationalsozialismus dienen. Zum Korpus der Vorbehaltsfilme gehören über 40 abendfüllende Produktionen. Darunter finden sich Spielfilme wie Jud Süß oder Hitlerjunge Quex – Filme, von denen immer wieder die Rede ist, wenngleich sie kaum jemand gesehen hat. Die meisten Vorbehaltsfilme sind jedoch vollkommen unbekannt. Die Reihe UNTER VORBEHALT, die in unregelmäßiger Folge alle Vorbehaltsfilme vorstellen und diskutieren wird, möchte unter anderem dazu beitragen, das Reden über das Kino des „Dritten Reichs“ von diesen blinden Flecken der Diskussion zu befreien. Dabei wird auch die Frage eine Rolle spielen, wie wir mit dem filmischen Erbe des Nationalsozialismus umgehen möchten – und wer dieses „wir“ ist. Das Programm im Juni und Juli widmet sich der nationalsozialistischen Begeisterung für die Luftwaffe.
UNTER VORBEHALT
Himmelhunde
D 1942, R: Roger von Norman, K: Herbert Körner, D: Malte Jäger, Albert Florath, Waldemar Leitgeb, Jungen einer HJ-Segelfliegerschule, 76' 35 mm
Mit dem Aufbau der Luftwaffe und der Vorbereitung des Krieges ging im „Dritten Reich“ die vormilitärische Ausbildung von Jugendlichen in der Flieger-HJ einher. Ihre Mitglieder wurden im Bau von Modellflugzeugen und in den Grundlagen der Luftfahrt unterrichtet und ab 1943 auch als Luftwaffenhelfer eingesetzt. Außerdem veranstaltete die Flieger-HJ Wettkämpfe im Segelflug. Davon erzählt Himmelhunde, als Deutschland im Luftkrieg gegen England bereits hohe Verluste erlitten hatte: Zusammen mit ein paar Kameraden repariert der jugendliche Werner ein zuvor beschädigtes Segelflugzeug und tritt bei einem Wettkampf an. Weil die Jungen damit gegen das ausdrückliche Verbot des Obertruppführers verstoßen haben, werden sie wegen Disziplinlosigkeit aus dem Lager der Flieger-HJ verbannt. Nun müssen sie sich erst einmal bewähren und unbedingten Gehorsam erlernen. Ohne den militärischen Hintergrund auch nur zu erwähnen, schreibt der Berliner Lokal-Anzeiger am 2. April 1942 nach der von hohen Vertretern des NS-Fliegerkorps besuchten Premiere: „Ein schöner schlichter Film um die Ausbildung des fliegerischen Nachwuchses, gedreht in einem Zeltlager auf schwäbischen Felshöhen. (...) Das Schweben der sonnenbeleuchteten Segelflugzeuge an dem hohen heiteren Himmel verfehlt auch diesmal seine Schönheitswirkung nicht.“ (ps)
Einführung: Matthias Struch
am 1.6.2012 um 21.00 Uhr
UNTER VORBEHALT
Stukas
D 1941, R: Karl Ritter, M: Herbert Windt, D: Carl Raddatz, Hannes Stelzer, Albert Hehn, O.E. Hasse, Karl John, 91' 35 mm
Für krachende Kriegspropaganda, gewürzt mit Actionszenen und derbem Humor, war im „Dritten Reich“ vor allem Karl Ritter zuständig, der schon Mitte der 1920er Jahre in die NSDAP eingetreten war und nach 1933 schnell Karriere machte. Die nationalsozialistische Luftwaffe verherrlichte der ehemalige Fliegeroffizier gleich in zwei großen zeitnahen Filmen, Pour le Mérite (1938) und Stukas (1941). Sein bereits weit gediehener Film über die Legion Condor aus dem Jahr 1939 wurde dagegen nie fertig gestellt, weil dessen antibolschewistische Stoßrichtung nach dem Hitler-Stalin-Pakt nicht mehr opportun schien.
Stukas berichtet am Beispiel einer Fliegerstaffel vom Luftkrieg gegen Frankreich, von extremer Anspannung im Kampf und anschließenden Ruhepausen: episodisch gegliedert, mit dokumentarisch inszenierten Teilen, roh und „lebensecht“. Zum Schluss sehnt sich ein verwundeter Offizier, der bei Wagner-Musik wieder zu Kräften kommt, zurück zur Truppe, um nach der französischen Kapitulation gleich auch gegen England zu kämpfen. Rainer Rother schreibt über den Film: „Er ist im nationalsozialistischen Verständnis die vollendete Entsprechung der neuen Wirklichkeit des Krieges, und die gilt nicht zuletzt für das ‚Bildnis des deutschen Soldaten im Film’, welches (...) zunächst die Wochenschau präsentierte. (...) Die Schauspieler sind in den Flugszenen mit einem metallisch wirkenden, glänzenden Grau der Gesichter aufgenommen – sie sind tatsächlich Verkörperungen eines stählernen Kämpfertyps, Maschinenmenschen, die ihre Flugzeuge, ihre Bomben vollendet zu bedienen wissen, weil sie mit der Apparatur verschmolzen, mit ihr bis in die Hauttönung eins geworden sind.“ (In: Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts. Hg. von Bernhard Chiari u.a., München 2003). (ps)
Einführung: Rainer Rother
am 14.6.2012 um 20.00 Uhr
UNTER VORBEHALT
Himmelstürmer. Geburt und Geschichte des Fliegens
D 1941, R: Walter Jerven, M: Horst Hanns Sieber, Sprecher: Alfred Braun, 94' 35 mm
Ein Kompilationsfilm, der die Geschichte der Fliegerei von ihren Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg mithilfe historischer Filmaufnahmen nachzeichnet. War bei Otto Lilienthals Flugversuchen noch keine Filmkamera anwesend, so hatte sich das bei den Unternehmungen der Brüder Wright schon geändert. Für Himmelstürmer durchforschte Walter Jerven, der die Hamburger Kulturfilmbühne Urania leitete und zuvor schon mit einem Dokumentarfilm über die Geschichte der Filmkunst in Erscheinung getreten war, diverse Sammlungen und Archive. Auch konnte Jerven auf die Bestände des 1935 gegründeten Reichsfilmarchivs zurückgreifen. Zu sehen sind Flugpioniere des frühen 20. Jahrhunderts, Aufnahmen der Fliegerhelden Boelcke, Immelmann und Richthofen aus dem Ersten Weltkrieg, Bilder von Lindberghs Atlantik-Flug. „Von diesen fliegerischen Taten, von deren Trägern der Sprecher oft genug verkündet, daß sie ihren Einsatz mit dem Tode besiegelten, blendet der Film über zu den fliegerischen Leistungen unserer heutigen Zeit.“ (Film-Kurier, 25.9.1941). Folgt man dem als „staatspolitisch wertvoll“ und „volksbildend“ ausgezeichneten Film, so fand die Entwicklung der Fliegerei in der nationalsozialistischen Luftwaffe ihren Höhepunkt. (ps)
Einführung: Jeanpaul Goergen
am 20.6.2012 um 20.00 Uhr
UNTER VORBEHALT
Feuertaufe. Der Film vom Einsatz unserer Luftwaffe im polnischen Feldzug
D 1940, R: Hans Bertram, K: Heinz von Jaworsky, Heinz Ritter, Walter Conz u.a., Mu: Norbert Schultze, Sprecher: Herbert Gernot, 87' 35 mm
Kurz nach Der Feldzug in Polen kam im April 1940 mit Feuertaufe noch ein zweiter abendfüllender Kompilationsfilm in die deutschen Kinos, der den Angriff auf Polen als Antwort auf Provokationen hinstellte und das deutsche Heer propagandistisch überhöhte. Der im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums produzierte Film konzentrierte sich ganz auf die Bedeutung der Luftwaffe und enthielt neben Wochenschau-Aufnahmen vor allem Aufnahmen der Hauptfilmstelle des Reichsluftfahrtministeriums sowie des „Sondertrupps Bertram“, der nach dem bekannten Flieger und Regisseur von Feuertaufe, Hans Bertram, benannt war. Insgesamt waren 14 Kameraleute beteiligt, die über drei eigene Flugzeuge verfügten. Der Aufwand, der für diesen Film getrieben wurde, war enorm. Geschickt setzt Feuertaufe denn auch auf die sich gegenseitig verstärkende Montage von Realfilmbildern und animiertem Kartentrick, gesprochenem Kommentar und Musik; eigens für diesen Film komponierte Norbert Schultze das häufig wiederverwendete Lied Bomben auf Engelland. Im amerikanischen Exil bemerkte Siegfried Kracauer dazu 1942 in seiner Studie Propaganda and the Nazi War Film: „Wie das visuelle Element mit dem Kommentar verknüpft ist, wird dadurch bestimmt, daß ein Großteil der Propaganda nur durch Bilder ausgedrückt wird. Die Bilder beschränken sich nicht darauf, den Kommentar zu illustrieren, sondern neigen im Gegenteil dazu, ein Eigenleben anzunehmen, das, statt parallel zum Kommentar zu verlaufen, manchmal seinen eigenen Lauf nimmt (...). Die Nazis wußten, daß Anspielungen tiefer reichen als Behauptungen und daß die kontrapunktische Beziehung von Bild und verbaler Aussage vermutlich das Gewicht des Bildes verstärken und es zu einem stärkeren emotionalen Stimulus machen würde.“ (ps)
Einführung: Erhard Schütz
am 22.6.2012 um 18.00 Uhr
UNTER VORBEHALT
Pour le Mérite
D 1938, R: Karl Ritter, K: Günther Anders, Heinz von Jaworsky, M: Herbert Windt, D: Paul Hartmann, Albert Hehn, Fritz Kampers, Herbert A. E. Böhme, Paul Otto, 121' 35 mm
Das „Dritte Reich“ als Verwirklichung einer soldatisch-nationalistischen Utopie. Im Zentrum stehen die Mitglieder eines Jagdgeschwaders, das sich in den letzten Tagen des Ersten Weltkriegs gegen die gegnerische Übermacht stemmt, unter ihnen ein Träger des höchsten preußischen Ordens, des Pour le Mérite. In der von ihnen abgelehnten, als Hort von Kommunisten, Schiebern und Feiglingen gezeichneten Weimarer Republik schlagen sich die frustrierten Offiziere auf unterschiedliche Weise durch: Einer muss ins Gefängnis und wandert später nach Südamerika aus, einer anderer wird Fluglehrer. Als die Nationalsozialisten 1933 den Aufbau einer neuen Luftwaffe ankündigen, melden sich die Männer freudig zurück. Welchen Stellenwert der als „staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll“ ausgezeichnete Film in der Propaganda einnahm, zeigt sich daran, dass Hitler bei der Uraufführung anwesend war und den Regisseur Karl Ritter persönlich beglückwünschte. Die Deutsche Allgemeine Zeitung rühmt am 23. Dezember 1938 den reportageartigen Stil und die hervorragende Kameraarbeit dieses „gewaltigen Heldenlieds der deutschen Fliegerei“: „Der Film Pour le Mérite stellt in jeder Beziehung das Beste dar, was die deutsche Filmkunst und Filmproduktion bisher geleistet hat.“ (ps)
Einführung: Rainer Rother
am 4.7.2012 um 20.00 Uhr
UNTER VORBEHALT
D III 88
D 1939, R: Herbert Maisch, Hans Bertram, K: Georg Krause, Heinz von Jaworsky, D: Christian Kayßler, Otto Wernicke, Heinz Welzel, Hermann Braun, Paul Otto, 109' 35 mm
Nachdem Pour le Mérite die Brücke zwischen den Fliegern des Ersten Weltkriegs und dem „Dritten Reich“ geschlagen hatte, wurde D III 8 als der erste Spielfilm über die neue nationalsozialistische Luftwaffe gefeiert. Wieder beschwört der Titel die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, denn mit einem alten Kampfflugzeug des Typs D III 88 rettet ein ehemaliger Angehöriger der Richthofen-Staffel zwei junge Marineflieger aus höchster Not. Zusammen verkörpern alt und jung die Tugenden Kameradschaft, Pflichtgefühl und Einsatzwillen. Als der mit dem Prädikat „staatspolitisch besonders wertvoll“ ausgezeichnete Film kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die Kinos kam, sollte er mit seinen spektakulären Luftaufnahmen auch die Überlegenheit der deutschen Luftwaffe und ihrer Piloten demonstrieren. Im Völkischen Beobachter bemerkt der Militärschriftsteller und Weltkriegsveteran Wilhelm Ritter von Schramm: „So wie hier wurden und werden unsere Flieger erzogen und geschult. Sie standen schon im Frieden an der Front, und der Krieg bedeutete für sie nur einen Schritt weiter.“ (29.10.1939). In der Rolle eines Generals sehen wir den „Staatsschauspieler“ Paul Otto, dessen lange geheim gehaltene jüdische Abstammung 1943 bekannt wurde. Um der Deportation zu entgehen, nahm sich Otto gemeinsam mit seiner Frau das Leben. (ps)
Einführung: Erhard Schütz
am 5.7.2012 um 20.00 Uhr
UNTER VORBEHALT
Kampfgeschwader Lützow
D 1941, R: Hans Bertram, K: Georg Krause, Heinz von Jaworsky, Walter Roskopf, D: Christian Kayßler, Heinz Welzel, Hermann Braun, 100' 35 mm
Dem Hohelied auf die Luftwaffe vor Kriegsbeginn in D III 88 folgt in Kampfgeschwader Lützow mit den gleichen Hauptdarstellern das Hohelied auf die Luftwaffe im Krieg und zugleich dessen propagandistische Rechtfertigung. Bevor sich der berühmte Pilot, Reiseschriftsteller und 1942 wegen „Rassenschande“ aus der Reichskulturkammer ausgeschlossene Regisseur Hans Bertram jedoch dieser Fortsetzung widmete, drehte er im Auftrag des Reichsluftfahrt-Ministeriums den „Bildbericht“ Feuertaufe (1940) über den Einsatz der Luftwaffe im Krieg gegen Polen. Sein Spielfilm Kampfgeschwader Lützow ergänzt dies um abenteuerliche Begebenheiten und eine Liebesgeschichte zwischen zwei deutschen Fliegern und einer „Volksdeutschen“, die vor den Polen flüchtet. Doch ihre Rivalität um die gleiche Frau bringt die beiden Freunde nicht auseinander, und so starten sie nach dem Sieg über Polen am Ende gleich gegen England.
Über den feierlich im Beisein von Goebbels und Himmler uraufgeführten und als „staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll“ ausgezeichneten Film schreibt Hans-Walther Betz in Der Film: „Die Reihe der Großfilme, die den Geist und den Kampf der jungen deutschen Wehrmacht zum packenden Inhalt haben, ist um ein weiteres Werk bereichert worden. Es fügt sich in seiner klaren Gliederung, in seinem künstlerischen Format und seiner schlichten Formung würdig in die Phalanx jener aufrüttelnden Filme ein, die als Bilddokumente aus der Zeit einer europäischen Schicksalswende oder als künstlerischer Niederschlag eines gewaltigen Gegenwartserlebnisses in dramatisch unterbauter Handlung den Geburtsprozess eines neuen Zeitalters sinnfällig zur Darstellung brachten.“ (1.3.1941).
Einführung: Erhard Schütz
am 6.7.2012 um 21.00 Uhr
|