WIEDERENTDECKT
Wiederentdeckt – so heißt unsere filmhistorische Reihe, kuratiert von CineGraph Babelsberg, die einmal im Monat vergessene Schätze der deutschen Filmgeschichte vorstellt. Zu sehen sind Werke, die oftmals im Schatten jener Filme stehen, die den deutschen Filmruhm begründet haben. Sie sind Zeugnisse einer wirtschaftlich leistungsfähigen und handwerklich ambitionierten Filmindustrie. Erstaunlich viele dieser Filme „aus der zweiten Reihe“ sind erhalten. In enger Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv recherchieren die Mitarbeiter von CineGraph Babelsberg diese Filme und analysieren sie im historischen Kontext. Sie erstellen Begleitblätter für das Publikum, führen in die Filme ein und dokumentieren ihre Forschungsergebnisse im Filmblatt, der Zeitschrift von CineGraph Babelsberg.
Eine Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit CineGraph Babelsberg und dem Bundesarchiv-Filmarchiv
WIEDERENTDECKT Hans im Glück
Ein heiteres Spiel im Volksliedton
D 1936, R/B/Bauten: Robert Herlth, Walter Röhrig, D: Erwin Linder, Georgia Holl, Rudolf Platte, Oskar Sima, Käthe Haack, Lola Chlud, 59’ 35 mm
Robert Herlth und Walter Röhrig sind vor allem als Filmarchitekten bekannt: Für Der letzte Mann (1924) und Faust (1926) verantworten sie die Filmbauten. Seit Ende der 1920er Jahre schreiben beide an dem Drehbuch für einen Film, dessen Regie sie auch übernehmen möchten. Herlth und Röhrig haben sich das Grimmsche Märchen vom Hans im Glück ausgesucht: Hans tauscht einen Klumpen Gold gegen ein Pferd, eine Kuh, ein Schwein, eine Gans und zuletzt gegen einen Wetzstein. Herlth und Röhrig planen aber keinen Märchenfilm für Erwachsene, sondern einen Avantgardefilm, ein filmisch-märchenhaftes Experiment, das vor allem auf Bildsprache, Symbolik und Filmtricks setzt – und Dialoge der Protagonisten eher ausspart.
Doch die beiden Drehbuchautoren finden lange keine Produktionsfirma. Die Ufa lehnt das Projekt mehrmals ab. Begründung: schwaches Manuskript, hohes Flop-Risiko. Die Delta-Film-GmbH sieht das anders und produziert Hans im Glück 1935/36 – mit Unterstützung des Reichsfilmdramaturgen und der Reichspropagandaleitung der NSDAP. Die Partei will in dem ehrlichen Hans den „deutschen Michel“ wiedererkennen – ausgenutzt, belächelt, verachtet, aber seinen Weg findend. Und: Hans im Glück soll filmisch auch Themen wie „Heimat“ und „Boden“ positiv besetzen und einen Beitrag zur NS-Propaganda leisten. Dafür werden aufwändige Außenaufnahmen im Westerwald, in der Uckermark und in Rothenburg ob der Tauber gedreht. Da die Filmhandlung in die Dürer-Zeit verlegt wird, entstehen zudem auf dem Gelände von Neu-Babelsberg Nachbauten mittelalterlicher Häuserzeilen und ein Marktplatz. Als Hans im Glück am 3. Juli 1936 im Ufa-Palast am Zoo uraufgeführt wird, kommt es allerdings zu einem Eklat... (rs)
Einführung: Ron Schlesinger
am 10.6.2011 um 19.00 Uhr
WIEDERENTDECKT
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten…“
Der 13. August 1961 in Wochenschau und Fernsehen aus Ost und West
DEFA-Augenzeuge 34/1961, 10’ DVD
Fox-Tönende Wochenschau 77/1961 vom 18.8.1961, 10’ 35 mm DEFA-Augenzeuge 35/1961, ca. 6’ (Ausschnitt) DVD Fox-Tönende Wochenschau 78/1961 vom 25.8.1961, ca. 6’ (Ausschnitt) 35 mm DEFA-Augenzeuge, Schnittreste (stumm), gedreht nach dem 15.8.1961, ca. 14’ DVD
SFB-Drehmaterial vom 22.8.1961, ca. 5’ DVD Die Aktuelle Kamera – Hauptausgabe vom 15.8.1961, DFF, ca. 2’ (Ausschnitt) DVD Fox-Tönende Wochenschau 77/1962 vom 10.8.1962, ca. 7’ DVD DEFA-Augenzeuge 34/1966 vom 19.8.1966, ca. 7’ 35 mm
Verstummte Stimmen
BRD 1962, R: Roger Fritz, 12’ 35 mm
Eine Einladung zum Medienvergleich anlässlich des 50. Jahrestags des Mauerbaus. Die Ereignisse des 13. August 1961 bewerteten die Wochenschauen und Fernsehbeiträge aus Ost und West zwar ganz unterschiedlich, die Aufnahmen, die dabei verwendet wurden, sind teilweise jedoch identisch. Deutlich kommen die technologischen Unterschiede von Fernsehen und Wochenschau zum Tragen. Arbeiteten die TV-Beiträge bisweilen mit O-Tönen und setzten auf Aktualität, so musste die Wochenschau die Nachrichten mehrerer Tage verdichten.
Längst nicht alle Filmaufnahmen vom 13. August 1961 sind damals veröffentlicht worden. Das nicht verwendete Material gibt Auskunft über politische Vorbehalte und Rücksichtnahmen. So vermied es die DEFA, im Augenzeugen Kampfgruppenangehörige zu zeigen, die Mobiliar aus den geräumten Grenzhäusern tragen und Wohnungsfenster zumauern. Und die SFB-Abendschau sah von Sequenzen des Adenauer-Besuches am Potsdamer Platz ab, die mit der deutlich hörbaren Propaganda-Beschallung durch das ostdeutsche „Studio an der Mauer“ versetzt sind. Ein weiterer Aspekt des Kurzfilmprogramms widmet sich der retrospektiven Sicht auf das Ereignis. So schwingt im Rückblick der Fox Tönenden Wochenschau das stille Eingeständnis mit, dass man im Westen die Mauer nicht habe rückgängig machen können. Der DEFA-Augenzeuge indes triumphiert, spricht 1966 von einer Maßnahme zur Sicherung des Friedens und lichtet westliche Touristen in der „Hauptstadt der DDR“ ab. Eine poetische Note schlägt indes der Dokumentarfilm Verstummte Stimmen an: Die Kamera gleitet die Mauer entlang und plötzlich ist es, als begännen die Steine zu reden. Es sind die Stimmen der Menschen, die hier lebten. Und am Brandenburger Tor tönt wie zum Hohn Ulbrichts berühmter Satz: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ (rf)
Einführung: Ralf Forster
am 1.7.2011 um 18.30 Uhr
WIEDERENTDECKT
Der Mauerbau als Geschichtslektion Geschichten jener Nacht
DDR 1967, Gesamtlänge 109’ 35 mm
I. Phönix, R: Carl Heinz Carpentier, D: Hans Hardt-Hardtloff, Peter Reusse, Peter Sindermann, 19’
II. Die Prüfung, R: Ulrich Thein, D: Dieter Mann, Jenny Gröllmann, 40’
III. Materna, R: Frank Vogel, D: Ulrich Thein, Angelika Waller, 14’
IV. Der große und der kleine Willi, R: Gerhard Klein, D: Erwin Geschonneck, Jaecki Schwarz, 31’
Der Episodenfilm Geschichten jener Nacht ist die erste Historisierung des Mauerbaus im DEFA-Spielfilm. Anhand von vier fiktiven Biografien werden die Ereignisse des 13. August 1961 in die Vergangenheitssicht der SED eingepasst und damit der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung einverleibt. Im Kern beschwört der Film eine politische und intellektuelle Teilung Deutschlands, die schon vor dem Mauerbau bestanden habe: hier die fortschrittlichen Kräfte (Kommunisten, Antifaschisten, die DDR-Aufbaugeneration), dort die Mitläufer und Reaktionäre (Nationalsozialisten, Republikflüchtlinge, der Monopolkapitalismus). Alle vier männlichen Hauptfiguren sind Kampfgruppenangehörige, die in der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 die Grenze nach Westberlin sichern und dabei entweder auf ihr bisheriges Leben oder in die Zukunft schauen. Mit diesem individuellen Zugang wollte die DEFA dem unmenschlichen Akt wohl eine menschliche Hülle verpassen. Man wirbt um Verständnis. Dennoch bleibt es bei einer eindimensionalen Rechtfertigung. So kommt Geschichten jener Nacht mit viel Moral daher, sein Thema wird künstlerisch nur im letzten Teil Der kleine und der große Willi ansatzweise bewältigt. Die ohne Reue vorgetragene Erinnerung an den Mauerbau lässt sich auch als Reaktion und Pflichtübung der DEFA im Nachgang des 11. Plenums des ZK der SED lesen, als ein Film, mit dem der gescholtene Filmproduzent im Vorfeld des VII. Parteitags seine Linientreue demonstrieren sowie Schauspieler und Regisseure rehabilitieren wollte. (rf)
Einführung: Ralf Forster
am 1.7.2011 um 21.00 Uhr
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