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Reaktionen in der DDR auf
den Kennedy-Besuch
4. Der Gegenbesuch
4.1. Die Vorbereitung
Während sich die Aufregung in Westberlin
nach Kennedys Weiterflug gen Irland etwas legte, war man im
Ostteil der Stadt fieberhaft damit beschäftigt, das große
Gegenereignis vorzubereiten.
Am Freitag, dem 28.6.1963, sollte Nikita Sergejewitsch Chruschtschow,
der Erste Sekretär des Zentralkomitee der KPdSU und damit
sowjetischer Staatschef, nach Berlin kommen.
Als Anlass wurde der 70.Geburtstag des DDR-Staatschef Walter
Ulbricht angegeben.
Viele Historiker sind sich jedoch einig, dass es sich hierbei
um eine Gegeninszenierung zu Kennedys erfolgreichem Besuch
Westberlins handelte.
Chruschtschows Besuch wurde ebenso wie der von Kennedy in
den Medien umfassend angekündigt.
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Sogar die Fahrtroute "des Führers
des Kosmonautenvolkes" wurde in den Zeitungen mehrmals
abgedruckt und durch einen Aufruf des Minister des Inneren
ergänzt, der lautete:
"Aus Anlaß des Freundschaftsbesuches des
Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei der
Sowjetunion und Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR,
Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, sind die Dienstgebäude
der zentralen und örtlichen Organe und Institutionen
in Berlin in der Zeit vom Donnerstag, dem 27.Juni 1963,
8.00 Uhr, bis zum Tag der Abreise der Freundschaftsdelegation
zu beflaggen."
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Auch auf der Titelseite der Berliner Zeitung
vom 27.6.63 wurden die "Werktätigen der Hauptstadt"
aufgefordert die "roten Fahnen der Arbeiterklasse"
zu hissen.
In einer Sondersendung der Aktuellen Kamera am selben
Tag hieß es daraufhin:
"Die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik
legt ihr Festkleid an. Überall auf den Straßen
und Plätzen sind fleißige Hände dabei, der
Stadt ein farbenfrohes Bild zu geben. Überall herrschen
Begeisterung und Freude."
Die verordnete Beflaggung hatte man beim Kennedy-Besuch
im Westen ganz bewusst unterlassen, da man befürchtete
Erinnerungen an nationalsozialistische Propaganda zu wecken.
4.2. Chruschtschow in Ostberlin
Als Chruschtschow in Berlin ankam, fuhr auch
er wie Kennedy im offenen Wagen durch die Stadt und auch ihm
wurde von begeisterten Menschenmassen, die die Straßen
säumten, zugewunken. Die Kinder bekamen wie schon in
Westberlin schulfrei.
Auch Chruschtschow sollte eine Rede am Rathaus von Ostberlin,
dem Roten Rathaus, halten, wo ihn laut Neues Deutschland
Hunderttausende empfingen und sangen: Hoch soll er leben,
dreimal hoch.
Lauteten die Sprechchöre im Westteil Ken-ne-dy,
Ken-ne-dy, riefen die Menschen nun Ni-ki-ta, Ni-ki-ta.
Was die Rede von Chruschtschow betrifft fällt auf, dass
sie nicht denselben Langzeit-Effekt hatte wie die Schöneberg-Rede
Kennedys. Es war vorwiegend ein Lobrede auf den Kommunismus
und dessen Fortschritte im All. Ferner wurde die DDR für
ihre Umsetzung des "russischen Wunders" auf deutschem
Territorium gepriesen und weiter dazu ermutigt.
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In diesem Zusammenhang griff in seiner Rede nun auch Chruschtschow
das Bild des Pioniers auf.
Während für Kennedy die Westberliner Pioniere auf
einer vom Feind umzingelten Insel waren, sprach Chruschtschow
von Ostberlinern als Pioniere des Aufbau des Sozialismus in
Deutschland.
Als Äquivalent zum "Ich bin ein Berliner" -Satz
soll Chruschtschow "Ich liebe die Mauer" gesagt
haben. Da dies jedoch lediglich von westberliner Zeitungen
behauptet wurde, bleibt fraglich, wie verlässlich diese
Angabe ist. Zeitzeugen auf DDR-Seite können sich daran
nicht erinnern.
Autorin: Lena Domröse
4.3. Reaktionen von Berliner Zeitzeugen
Die Reaktionen der Ostberliner auf den Kennedy-Besuch waren
unterschiedlich, besonders, wenn man die Stimmungen in der
Bevölkerung betrachtet. Die offiziellen Reaktionen der SED
und der Presse waren negativ und versuchten, den Besuch herunterzuspielen.
Unter den Ostberlinern gab es unterschiedliche Meinungen über
Kennedys Person, seinen Besuch in Berlin und seine Rede am
Rathaus Schöneberg: Viele waren gleichgültig oder hatten eine
ablehnende Haltung, andere zeigten Begeisterung für Kennedy
und hofften durch den Besuch auf eine Änderung der politischen
Situation.
Hans Modrow, damaliger Kreissekretär des Bezirks Köpenick
und 1989 nach der Maueröffnung Ministerpräsident der
DDR, ist heute Ehrenvorsitzender der PDS und Mitglied
des Europaparlaments. Er äußerte sich in einem Fax zu
den Besuchen von Kennedy und Chruschtschow, bei dem
deutlich wird, dass beide einen bleibenden Eindruck
auf ihn gemacht haben.
Den Besuch Kennedys und seine Rede am Rathaus Schöneberg
sieht Modrow kritisch, besonders den Rückfall in die
Rhetorik des Kalten Krieges.
Als Kreissekretär war Modrow für die "Spalierbildung"
an Chruschtschows Route zuständig, und beschreibt die
Emotionen der Zuschauer, die stärker waren als bei üblichen
Staatsbesuchen. Darüber hinaus bezweifelt er, dass Chruschtschow
die Mauer geliebt hat, wie es westberliner Zeitungen
dem russischen Staatsoberhaupt in den Mund gelegt hatten.
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Stellvertretend für die gegensätzlichen
Wahrnehmungen der Ostberliner stehen zwei Zeitzeugen, Lieselotte
Kubitza und Gerhard Rietdorff. Obwohl beide unzufrieden mit
der politischen Führung der DDR waren, zeigten sie in einem
Interview auf Fragen zum Kennedy-Besuch sehr unterschiedliche
Meinungen. Auch ihr Bild von Chruschtschow könnte, obwohl
beide seine bäuerliche Art hervorheben, kaum unterschiedlicher
sein.
Gerhard Rietdorff, der Stadtrundfahrten
durch Ostberlin leitete, bewertet den Chruschtschow-Besuch
ähnlich positiv wie Hans Modrow. Obwohl Rietdorff der
DDR-Führung sehr kritisch gegenüberstand und auch in seinen
Beruf des öfteren von seinen Vorgesetzten kritisiert wurde,
bezeichnet er sich, damals wie heute, als Sozialist. Er
hatte eine zufällige Begegnung mit Chruschtschow, die
er als
"tolles Erlebnis" (.mp3) (.real)
beschreibt, wohingegen er Walter Ulbricht, den er auch
gesehen hat, kritischer sah.
Beschreibung
seiner Begegnung mit Chruschtschow (.mp3) (.real)
Rietdorffs Bild von Kennedy sowie generell zu Amerika
war und ist negativ, den Besuch Kennedys hat er kaum wahrgenommen.
Auch sein Kommentar
zu Kennedys Schöneberg-Rede (.mp3) (.real)
ist sehr viel emotionsloser als die meisten westberliner
Stimmen. |
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Eine ganz
andere Sicht auf die Besuche der beiden Staatsmänner hatte
Lieselotte Kubitza. Durch die Schwierigkeiten ihres Mannes
mit dem DDR-System und familiäre Trennungen durch die
Mauer war sie mit der politischen Situation 1963 unzufrieden.
Ihr Mann, der seine politische Meinung nicht versteckte,
fasste immer wieder Fluchtpläne, die er aber mit Rücksicht
auf seine Familie nicht verwirklichte. Für
Frau Kubitza hatte Kennedys Besuch eine große Bedeutung
(.mp3) (.real),
allein seine Person übte eine starke Faszination auf sie
aus. Auch traute sie Kennedy eine Verbesserung der Situation
im Osten zu, was deutlich wird an ihrem Kommentar
zu Kennedys berühmter Rede (.mp3) (.real),
die sie gerne direkt verfolgt hätte und die sie völlig
anders aufnahm als Herr Rietdorff, die Presse oder die
SED. |
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Autor: Malte Frackmann
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