Reaktionen in der DDR auf den Kennedy-Besuch
1.Mediale Einstimmung
1.1.Aufruf an
die Medien
Am 7.6.63 bzw. am 14.6.63 gab die "Agitationskommission
beim ZK der SED" einige "Argumentationshinweise"
heraus, wie der Kennedy-Besuch in den Medien kommentiert
werden sollte:
"Wir bitten alle Redaktionen, in der nachfolgend
vorgeschlagenen Richtung zu informieren. Dabei ist der angekündigte
Besuch Kennedys auf keinen Fall überzubewerten."
Weiter hieß es in dem vierseitigen Papier, das an
Presse und Fernsehen verteilt wurde:
"Wir schlagen vor, in den Meldungen ständig
zu beweisen, wie die USA die Menschenrechte und die Selbstbestimmung
mit Füßen treten [...].Oder:"Ausgangspunkt
der Argumentation ist die Anprangerung der abenteuerlichen
und revanchistischen Politik Bonns."
Diese Hinweise wurden in den Wochen darauf von den Medien
sehr genau befolgt und detailreich ausgeschmückt.
1.2. Kritik am Rassismus
Den Richtlinien folgend berichteten die Medien
in der Zeit vor und während des Kennedy- Besuches ausführlich
über rassistische Übergriffe und Rassenunruhen
in den USA. Am 25.6.1963 titelte die Berliner Zeitung
auf Seite eins: "Blut fließt in den USA"
und berichtete über die Ermordung des Afroamerikaners
L. Davis sowie über zahlreiche Protestdemonstrationen
gegen Rassendiskriminierungen in Amerika.
Am Ende des Artikels berief sich das Blatt auf die Forderung
einiger amerikanischer Bürger, Kennedy solle unverzüglich
in die Vereinigten Staaten zurückkehren, denn "es
sei unverständlich [...],dass der amerikanische Regierungschef
das Land verlassen habe, ohne dem Wüten der rassistischen
Horden Einhalt zu gebieten."
Auch die Aktuelle Kamera, Hauptnachrichtensendung
der DDR, zitierte in ihrer Abendausgabe vom 26.6.63 kritische
Stimmen aus den USA:
"An der Westeuropareise des USA-Präsidenten
übt die amerikanische Zeitschrift I.F. Stone's bi-weekly
in ihrer jüngsten Ausgabe scharfe Kritik. Das Blatt
erklärte:
"Bei uns in den USA gibt es eine Mauer, die näher
ist als die in Berlin. Kennedy muß ebenso wie wir
alle aus der Rassenkrise viel lernen. Er sollte lieber zu
Hause bleiben und sich mit der nicht weniger realen Mauer
zwischen schwarz und weiß im eigenen Lande beschäftigen."
Für die USA waren die 1960er Jahre
innenpolitisch eine höchst problematische Zeit. Die
Bürgerrechtler mit Martin Luther King an der Spitze
drängten immer stärker auf die überfällige
Aufhebung der Rassentrennung und die versprochene Gleichberechtigung.
Für die DDR war dies ein willkommender Ansatzpunkt
für Kritik am westlichen System insgesamt.
Denn was war das für eine vielgelobte Freiheit, die
es einem Schwarzen nicht gestattete, sich im Restaurant
an den selben Tisch zu setzen wie ein Weißer?
1.3. Amerikas Unterstützung
für die Revanchisten
Zudem wurden Kennedy und seine Regierung in
der Presse mehrfach der Wiederbewaffnung der revanchistischen
Kräfte in der Bundesrepublik angeklagt.
Als Revanchisten wurden diejenigen (Politiker) bezeichnet,
welche die DDR sowie die Westgrenze Polens nicht endgültig
anerkannten und auf eine Revision dieser Grenzen drängten.
Der DDR-Presse zufolge standen Bundeskanzler Adenauer, Kriegsminister
Hassel und Staatssekretär Globke (alle CDU) an ihrer
Spitze. Die Revanchismus-Vorwürfe der DDR wurden noch
angeheizt als Kennedy mit den "Bonner Ultras"
über die Teilnahme an der Multilateral Force (MLF),
der multilateralen Atomstreitmacht, sprach. Die MLF, die
nie zustande kam, barg die Gefahr der atomaren Bewaffnung
Westdeutschlands. Damit wurde Kennedy in den Augen der DDR-Politiker
zum Handlanger für Bonns Rückeroberungspläne.
Er leite "Wasser auf die revanchistischen Mühlen",
hieß es im Neuen Deutschland vom 26.6.63.
Ähnliche Töne schlug der Fernsehchefideologe,
Karl-Eduard von Schnitzler, im Schwarzen Kanal
an. Der Schwarze Kanal war eine politisch-propagandistische
Ein-Mann-Sendung, die westdeutsche Fernsehbeiträge
stellvertretend für die westliche Politik der Lüge
bezichtigte und die einmal wöchentlich im DDR-Fernsehen
ausgestrahlt wurde. Schwarzer Kanal ist als Synonym
für das 'schmutzige' und 'von Propagandageschwätz
kontaminierte Westfernsehen' zu verstehen.
Schnitzler sprach von den zukünftigen "Atombombenaspiranten"
und war von deren aggressiven Absichten überzeugt.
"Ihr Kaiserreich, das 'Großdeutschland' ihres
Herrn Hitler sind uns in unauslöschlicher Erinnerung",
verkündete er und beschwor die Zuschauer friedlichen
Absichten zu misstrauen, da es den Revanchisten letztlich
um eine Zwangsvereinigung beider deutscher Staaten unter
westlichem Kommando ginge.
link:
Sendemanuskript des Schwarzen Kanal vom 1.7.1963
(Deutsches
Rundfunk Archiv)
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Ein weiterer Anlass zur Kritik stellte
für die ostdeutsche Presse Kennedys Ziel dar,
während seines Besuchs über Handelserleichterungen
zwischen Westdeutschland und den USA sowie eine westdeutsche
Beteiligung an den Kosten zur Unterhaltung der amerikanischen
Truppen auf westdeutschen Territorium zu verhandeln.
Das Neue Deutschland sah dies im Zusammenhang
mit den MLF und fragte: "Für die Zugeständnisse,
die er an die Bonner Politik machte, müssen die
Westdeutschen zahlen.[...] Die westdeutsche Bevölkerung
wird sich daher die einfache Frage zu stellen haben:
Hat sich das gelohnt? War das nicht ein teurer Gast?"
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1.4. Russische
Überlegenheit im Weltraum
Neben der Verurteilung der USA und Westdeutschlands
berichteten die DDR-Medien auch gezielt über die Erfolge
des eigenen Systems.
So beschäftigten sich die Zeitungen intensiv mit der
gelungenen Weltraumexpedition von sechs sowjetischen Kosmonauten
(hier: als bewusste Abgrenzung vom westlichen Astronaut
zu verstehen) feierten deren glückliche Heimkehr und
bauten gleichzeitig mehrere anti-kapitalistische Seitenhiebe
ein.
Das Neue Deutschland schrieb am 25.6.1963 von einem
neuen Rekord. Als erste Frau hatte "Valja", Valentina
Tereschkowa, drei mal die Erde umflogen. In Moskau angekommen,
wurde sie von Wissenschaft und Weltpresse frenetisch gefeiert,
"mit Ausnahme einer kleinen Zahl von Korrespondenten
aus der Bundesrepublik, die die Hände vor dem Bauch
gefaltet [hatten]."
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Berichten des
Neuen Deutschland zufolge muss Valentina Tereschkowa
die perfekte Verkörperung des kommunistischen
Frauenbild gewesen sein.
Sie war die Tochter einer Textilarbeiterin und eines
Traktoristen, der im Krieg gefallen war, und trat
mit 20 Jahren in den Kommunistischen Jugendverband
und kurz darauf in die KPdSU (Kommunistische Partei
der Sowjetunion)ein.
Auf der Pressekonferenz nach ihrem liebsten Menschen
befragt, meinte sie: "Der liebste Mensch ist
mir die Mutter." Als ein Korrespondent wissen
wollte, ob sie Kinderwünsche und Karriere für
vereinbar halte, meinte Valentina: "Gewiss,
die meisten meiner Kosmonautenbrüder sind ja
verheiratet und haben Kinder. Was für Männer
möglich ist, ist für eine Frau auch möglich."
In die selbe Kerbe schlug auch eine kurze Meldung
des Neuen Deutschland unter dem Titel "Schon
Möglich". Dort wurde die Frau eines amerikanischen
Senators zitiert,
"die am Sonntag den Start einer sowjetischen
Weltraumfliegerin mit der ärgerlichen Bemerkung
quittierte, dass die NASA mit dem Start einer amerikanischen
Weltraumfliegerin offenbar so lange zu warten gedenke,
bis die Russen das ganze Leningrader Sinfonieorchester
auf dem Mond gelandet haben.'"
Die Zeitungen feierten also nicht nur die technologischen
Erfolge des Kommunismus sondern auch die emanzipatorischen.
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1.5.Spott über Sicherheitsmaßnahmen
Die aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen, die
in Westberlin vorgenommen wurden, bevor Kennedy dort eintraf,
boten der DDR Anlass für Spott und waren eine gute
Möglichkeit den Kennedy-Besuch herunterzuspielen. Besonders
im Vergleich zum Empfang eigener hochrangiger Gäste
wie etwa vergangene Besuche Chruschtschows oder des Kosmonauten
Titow konnte man hier wieder einmal mit Überlegenheit
auftrumpfen. So schrieb das Neue Deutschland am 26.6.1963:
"Wenn wir in der Hauptstadt der DDR hohe Gäste
haben[...], dann haben wir es noch nie nötig gehabt,
Barrieren zwischen den Gästen und den Berlinern zu
bauen. Doch in Westberlin ist das anders. Dort herrschen
nun einmal keine normalen Verhältnisse."
Damit spielte das Blatt auf die "fünf Kilometer
Eisengitter" an, die von den 16 000 "zusammengekratzten"
Uniformierten aufgebaut wurden.
Die Auflagen, dem Präsidenten keine Geschenke zuzuwerfen,
kommentierte das Neue Deutschland wie folgt:
"Es ist auch strengstens untersagt, dem 'höchsten
Repräsentanten der freien Welt' Blumen zuzuwerfen.
Schauen sie mal, zwischen den Rosen könnten doch Nadeln
oder Atomsprengköpfe stecken."
Autorin: Lena Domröse