10. Der Reichstag und die „Hottentottenwahl“ von 1907
 
   
 

Der Reichstag heute.

 

1904 hatten sich die Herero in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika gegen die Deutsche Kolonialmacht erhoben. Dieser Aufstand war zwar bereits im Oktober 1904 blutig niedergeschlagen worden, doch dann erhoben sich die Nama, von den Weißen abschätzig „Hottentotten“ genannt. Sie lieferten den Deutschen einen vierjährigen und für beide Seiten sehr verlustreichen Guerillakrieg. Dieser Krieg blieb nicht ohne Auswirkungen auf Deutschland.

1906 forderte die Reichsregierung einen Nachtragshaushalt von 29 Millionen Mark zur Unterstützung der Kolonialtruppen in Deutsch-Südwestafrika und für den Bau einer Eisenbahn, die ebenfalls militärischen Zwecken dienen sollte. Mit den Stimmen der SPD, des Zentrums und der polnischen Fraktion wurde am 13. Dezember 1906 die Regierungsvorlage abgelehnt. Unmittelbar danach wurde der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen angesetzt, die als „Hottentottenwahlen“ bezeichnet wurden.

Bei den anschließenden Reichstagsdebatten standen sich die Positionen der Kolonialbefürworter und die der Kolonialgegner gegenüber. Reichskanzler Fürst von Bülow, ein glühender Kolonialbefürworter, erklärte:

„Die Frage steht nicht so: ob wir kolonisieren wollen, oder nicht; sondern wir müssen kolonisieren, ob wir wollen oder nicht. Der Trieb zur Kolonisation, zur Ausbreitung des eigenen Volkstums ist in jedem Volke vorhanden, das sich eines gesunden und kräftigen Wachstums erfreut.“ [58]

 

   
 

Weit weniger eindeutig war die Position der Gegenseite. So kritisierte die Zentrumspartei zwar die Kriegsgräuel der „Schutztruppen“ in Deutsch-Südwestafrika, lehnte aber die koloniale Eroberung fremder Völker nicht grundsätzlich ab. Dem Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger schwebte eine Art Patronagesystem zwischen den Kolonialherren und dem kolonisierten Volk vor:

„Das Verhältnis der Deutschen zur eingeborenen Bevölkerung ist nicht das des Feindes zum Feind, sondern kann nur das des Vormundes zum Mündel sein. Der Eingeborene ist das schwarze Kind mit seinen Vorzügen und all seinen großen, großen Schattenseiten.“[59]

Sogar die SPD, die noch zehn Jahre zuvor jede Form des Kolonialismus scharf verurteilt hatte, machte nun Zugeständnisse an den Zeitgeist. Etwa der sozialdemokratische Abgeordnete August Bebel:

„Meine Herren, dass Kolonialpolitik betrieben wird, ist an und für sich kein Verbrechen. Kolonialpolitik zu betreiben kann unter Umständen eine Kulturtat sein, es kommt nur darauf an, wie die Kolonialpolitik betrieben wird...Kommen die Vertreter kultivierter und zivilisierter Völkerschaften...zu fremden Völkern als Befreier, als Freunde und Bildner, als Helfer in der Not, um ihnen die Errungenschaften der Kultur und Zivilisation zu überbringen, um sie zu Kulturmenschen zu erziehen, geschieht das in dieser edlen Absicht und in der richtigen Art und Weise, dann sind wir Sozialdemokraten die ersten, die eine solche Kolonisation als große Kulturmission zu unterstützen bereit sind.“[60]

Dieses vorsichtige Lavieren nützte den Kolonialgegnern allerdings nichts. Während des Wahlkampfes zur so genannten „Hottentottenwahl“ entfaltete das konservative politische Spektrum eine Hetzjagd gegen die Zentrumspartei und vor allem gegen die SPD. „Vaterlandsverrat“ oder „nationale Unzuverlässigkeit“ waren u.a. die Attribute, mit denen die Vertreter dieser Parteien bedacht wurden. So schrieb etwa der Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg:

„Die Mehrheit der bisherigen Volksvertreter hat versagt da, wo nationale Ehre und einfachste Pflicht gegenüber unseren in harten Kämpfen ihr Blut und Leben für des Reiches Wohlfahrt opfernden südwestafrikanischen Truppen einstimmige Annahme der Regierungsvorlage erheischten...Mit dem ablehnenden Beschluss sollten unsere tapferen Krieger dort draußen gezwungen werden, vor den wilden räuberischen Hottentotten das Feld zu räumen.“[61]

 

 

 

Fußnoten:

[58] Reichskanzler Fürst von Bülow in der Reichstagssitzung vom 28.Nov. 1906. Zit. nach: Henning Melber: „...dass die Kultur der Neger gehoben werde!“ – Kolonialdebatten im deutschen Reichstag. In: Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. Berlin 2002. S. 67 – 72.
[59] Matthias Erzberger/Zentrum, Reichstagssitzung vom 6. März 1913. Zit. nach: ebd.
[60] August Bebel/SPD, Reichstagssitzung vom 1. Dez. 1906. Zit. nach: ebd.
[61] Zit. nach: Ulrich van der Heyden: Die „Hottentottenwahlen“ von 1907. In: Jürgen Zimmerer / Joachim Zeller (Hg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen. Berlin 2003. S. 97-102.

 

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Der Reichstagsabgeordnete August Bebel.

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