Deutsches
Historisches
Museum
Streiks im 18. Jahrhundert?
Reinhold Reith, Seite 1 3
Die Schreiner als "eine der aufsässigsten Gesellen Klassen", wie das Braunschweiger Polizei-Departement vermutete, zählten zu den streikfreudigsten Berufen, gefolgt von den Schuhmachern, Schlossern, Schneidern, Schmieden und Gerbern, also den kleinbetrieblich produzierenden Handwerkern mit meist mobilen Gesellen. Der Arbeitsmarkt im Handwerk beruhte im 18. Jahrhundert wesentlich auf der Migration der Gesellen und hatte eine überregionale Dimension, wenngleich sich berufsspezifische Unterschiede, also Teilarbeitsmärkte, deutlich abzeichneten. Neben Handwerken mit ausschließlich mobilen Gesellen gab es auch solche mit einem hohen Anteil ortsgebundener und verheirateter Gesellen: Im Baugewerbe hatte sich ein Arbeitsmarkt herausgebildet, bei dem die einheimischen, meist verheirateten Gesellen und Pendler (aus den umliegenden Dörfern) durch Wandergesellen und Saisonwanderer ergänzt wurden. Auch im Textilgewerbe gab es neben den mobilen Gesellen verheiratete. In den Nahrungsmittelhandwerken waren die Gesellen meist ledig und kamen aus dem Umland, d. h. sie waren regionaler Herkunft. In den Massenhandwerken dominierten dagegen die mobilen Gesellen. Da diese Handwerke für den alltäglichen Bedarf produzierten, waren sie weit verbreitet, und die Gesellen bewegten sich in einem dichten Netz von Arbeitsmöglichkeiten.
Dieser Umstand, die relativ homogene Gruppenstruktur sowie die Herbergskultur waren wesentliche Faktoren für die Streikbereitschaft. In den kleineren Handwerken, die fast ausschließlich in großen Gewerbestädten zu finden waren, dominierten die weit gewanderten Gesellen. Ihre Arbeitsmöglichkeiten waren begrenzt, doch bedingt durch die Fernwanderung konnte hier der Boykott wirkungsvoll angewandt werden. Mit der Migration der Gesellen war schließlich die "Ökonomie des ganzen Hauses" verbunden. Abgesehen vom Bauhandwerk (sowie zum Teil auch in den Textil- und Metallhandwerken) wohnten und aßen die Gesellen im Meisterhaus. Dies bedingte natürlich auch spezifische Konfliktlagen wie zum Beispiel die Auseinandersetzung um Qualität und Quantität der Kost.

Bei der Frage nach den Gründen für die Arbeitsniederlegungen der Gesellen im 18. Jahrhundert lassen sich drei große Bereiche unterscheiden: die Konfliktfelder Ökonomie, Autonomie und Ehre. Die meisten Streiks standen im Zusammenhang mit ökonomischen Problemen, und sie betrafen die Arbeitszeit, die Arbeitsbedingungen, den Lohn und die Kost sowie vor allem den Arbeitsmarkt. Streiks um die Autonomie der Gesellenschaften entzündeten sich an Konflikten um die Strafgerichtsbarkeit, um das Versammlungsrecht und die Selbstverwaltung der Gesellenschaften, die freie Wahl der Herberge, das Brauchtum sowie die Sozialfürsorge. Streiks, in denen die Frage der Ehre dominierte, konnten zum Beispiel durch Verbalinjurien, Unzuchtsvergehen sowie auch durch kompetitive Konflikte und Statusfragen provoziert werden.

Im Verlauf des 18. Jahrhunderts erwiesen sich zunächst die zwanziger Jahre als ein unruhiges Jahrzehnt, danach zeichneten sich Mitte der vierziger Jahre Streikwellen ab. Seit Mitte der 1780er Jahre setzte erneut ein erhöhtes Streikaufkommen ein (wobei der Höhepunkt 1795 erreicht wurde), das aber besonders nach der reichsweiten Aufhebung der Gesellenladen (1803/05) zurückging. Der Zusammenbruch der Streikbewegung im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts leitete dann eine Phase der Streikgeschichte ein, die durch ein zunehmendes Maß an Staatlichkeit, durch ein repressives Vorgehen gegen die Gesellenstruktur und starke Einschränkungen des Koalitionsrechts gekennzeichnet war.
 
Passierschein für einen Erlanger Schuhknecht, 1726
Passierschein für einen Erlanger Schuhknecht, 1726.
[größeres Bild]




Der Weberaufstand 1794 in Augsburg, Franz Thomas Weber 1794

Der Weberaufstand 1794 in Augsburg,
Franz Thomas Weber 1794.
[größeres Bild]




Aufstellung über die beim Streik der Clausthaler Bergleute
                entstandenen Kosten, 1738

Aufstellung über die beim Streik der Clausthaler Bergleute entstandenen Kosten, 1738.
[größeres Bild]
Link: zurück Link: weiter
zurück zur letzten Seite dieses Beitrags