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Einführung
Den Anstoß zu der Ausstellung gab die Erwerbung des Bildes Der Streik
(1886) von Robert Koehler. Das Bild wurde zu einer Zeit geschaffen, als es
in allen europäischen Industriestaaten und auch in Nordamerika zu heftigen
und spektakulären Arbeitskämpfen kam. Der Verlauf der realen Ereignisse fand
seinen symbolischen und ästhetischen Reflex auch in der bildenden Kunst. In
allen europäischen Ländern entstanden großformatige Streikgemälde, gleichsam
Heldenepen der Arbeiterbewegung. Koehlers Der Streik ist eines der
ersten dieser Bilder. Es ist insofern Zentrum und Bezugspunkt der
Ausstellung, als sie den historischen Hintergrund für die Entstehung des
Gemäldes aufzeigt und dann seine Wirkungsgeschichte beleuchtet. Ausgestellt
im offiziellen Salon wird deutlich, dass dieses Bild und die Werke anderer
Künstler sich an ein Publikum wandten, das nicht dem dargestellten
gesellschaftlichen Milieu entsprach. Dies geschah nicht mehr im Sinne
unterhaltender Genremalerei, sondern als Beitrag zur sozialpolitischen
Diskussion der Zeit.
Die Geschichte des Streiks zerfällt im Rückblick in mehrere Phasen, die sich
auch in der Ausstellungskonzeption spiegeln. Die ersten Exponate zeigen die
historischen Wurzeln des Streiks auf. Kollektive Arbeitseinstellungen sind
im Bergbau und im Handwerk seit dem Mittelalter nachgewiesen. Im 18.
Jahrhundert waren Streiks von Handwerksgesellen innerhalb der Zünfte eine
häufige Erscheinung. Als wesentlicher Bestandteil der Gesellenkultur waren
sie durch ein hohes Maß von Planung und Organisation gekennzeichnet.
In die industriellen Streikkämpfe des 19. Jahrhunderts mündete außer den
Traditionsüberhängen aus dem Handwerk der Traditionsstrom der Hungerrevolten
ein: Subsistenzunruhen begleiteten in allen Ländern den Durchbruch der
Industriellen Revolution, und in Deutschland lag ihr Höhepunkt beim Ausbruch
der industriellen Streikkämpfe gerade erst eine Generation zurück. In den
vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatten Hunderttausende von Menschen
ihr Existenzminimum auch durch kollektive Gewaltanwendung zu sichern gesucht,
entweder indem sie direkt Lebensmittel erbeuteten, oder indem sie
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durchsetzten. Ebenso wurde die Verbesserung
von Arbeitsbedingungen und Löhnen während der Revolution von 1848 weniger
durch Arbeitsniederlegungen als vielmehr durch tumulthafte Massenaktionen
auf der Straße erreicht.
Die Phase der fabrikindustriellen Arbeitskämpfe begann in Deutschland Mitte
der sechziger Jahre, was auch daran abzulesen ist, dass das englische
Wort strike Eingang in die deutsche Umgangssprache fand. Die erste
große Streikwelle parallel zum Gründerboom (1871-73) fand ihren bildlichen
Ausdruck zunächst und vor allem in Karikaturen, die dem Phänomen des
"Strikes" gewidmet waren. Die Streikplakate der Chemnitzer Metallarbeiter,
eine einzigartige Form der Überlieferung, die ansonsten für diese Zeit
fast ganz auf Aktenmaterial oder Zeitungsartikel beschränkt ist, erlauben
es, die Bedingungen des Streikens, aber auch die Unausgegorenheit der
Arbeitskampforganisation zu beleuchten.
Genauso wenig wie bei den Hungerrevolten von 1846/47 wurde von der
bürgerlichen Öffentlichkeit bei der Streikwelle der siebziger Jahre ein
Zusammenhang zwischen dem Massenprotest und den Lebens- und
Arbeitsbedingungen hergestellt, sondern nach "Unruhestiftern" gesucht. Die
Streikwelle der Gründerjahre, die den gerade erst entstandenen
Arbeiterparteien angelastet wurde, war damit auch ein Auslöser für die
staatliche Repressionspolitik, die 1878 im Sozialistengesetz gipfelte.
Trotz der Unterdrückung gewerkschaftlicher Organisationen und der
Arbeiterpresse kam es in den Jahren 1889/90 im Deutschen Reich zu einer
Streikwelle viel größerer Dimension als 1869-74. Zwischen Januar 1889 und
Mai 1890 fanden etwa dreimal so viele Arbeitskämpfe mit dreimal so vielen
Beteiligten statt wie während des streikintensivsten Jahres der Gründerzeit
(1872). Höhepunkt der Streikkämpfe bildete der Bergarbeiterstreik vom Mai
1889, der mit 90.000 Streikenden praktisch alle Bergarbeiter des Ruhrgebiets
erfasste und mit 14 Toten auch der blutigste Arbeitskampf des Kaiserreichs
war. Obwohl er faktisch nur durch Archivbestände überliefert ist, wird er
in der Ausstellung vorgestellt. Er markiert einen Wendepunkt in der
Geschichte des Arbeitskampfes, da er staatliches Handeln, verstärkte
Organisierung auf beiden Seiten der Konfliktparteien und schließlich
auch Versuche einer Verrechtlichung der Auseinandersetzung durch
Tarifverträge herbeiführte. Dieser Arbeitskampf, der die Energieversorgung
des Kaiserreichs, d. h. die Industrieproduktion und den Eisenbahnverkehr,
zu lähmen und in der Folge die Kriegsbereitschaft in Frage zu stellen
drohte, löste u. a. auch deshalb sozialpolitische Reformbestrebungen aus,
weil er in den Augen der Öffentlichkeit durch offenkundige Miss-Stände
und nicht durch die Agitation der Sozialdemokraten verursacht war.
Wilhelm II. griff persönlich in das Streikgeschehen ein. Die
Arbeiterschutzgesetzgebung, die Bismarck bewusst hinausgezögert hatte,
wurde in Angriff genommen, das Sozialistengesetz nicht verlängert. Die
gegensätzliche Beurteilung des Bergarbeiterstreiks und der
Sozialgesetzgebung führte in Verbindung mit anderen Konfliktstoffen
schließlich zur Entlassung Bismarcks durch Wilhelm II. Da die
Ruhrindustriellen jedoch weder ihre eigenen Zusagen noch die Forderungen
der Regierung erfüllten, endete der Streik für die Bergleute mit einer
Niederlage - auch wenn in der Folgezeit, gleichsam als indirekte Auswirkung,
die Löhne stiegen. Aus ihrer Streikniederlage zogen die Bergleute die
Lehre, ihre Interessen nur dann wirksam vertreten zu können, wenn sie
sich zu einer starken Organisation zusammenschlössen. Noch im August
1890 wurde daher von ihren Delegierten der "Verband zur Wahrung und
Förderung der bergmännischen Interessen im Rheinland und Westfalen"
gegründet, der sogenannte "Alte Verband". Auf Unternehmerseite wurde
dagegen die Organisation durch die Gründung des
"Ausstands-Versicherungsverbandes" und schließlich des Zechenverbandes
ausgebaut, was die Unterdrückung gewerkschaftlicher und betrieblicher
Arbeiterrechte auf lange Sicht erleichterte. |
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Der Streik, Robert Koehler 1886. [größeres Bild]
Belegschaft der Textilmaschinenfabrik Richard Hartmann, um 1875. [größeres Bild]
Barrikadenkampf in der Rue Soufflot, Anonym 1848/50. [größeres Bild]
Die vom Militär besetzte Hauptwache auf dem Rathaus der Stadt
Dortmund, Mai/Juni 1889. [größeres Bild] |