ZEITBILD BERLIN
Ergänzend zur Portalausstellung ZERSTÖRTE VIELFALT. BERLIN 1933-1938, die am 31. Januar im Deutschen Historischen Museum eröffnet werden wird, präsentiert das Zeughauskino deutsche Spielfilme, die zwischen Ende der 1920er Jahre und Anfang der 1940er Jahre entstanden sind und die als Zeitbilder Berlins verstanden werden können. Thematische Brücken verknüpfen Produktionen aus der Zeit vor und nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933. Sie laden dazu ein, die Filmkulturen der Weimarer Republik und des ¿Dritten Reichs¿ zu vergleichen und die Auswirkungen wahrzunehmen, die die nationalsozialistische Diktatur auf das Leben in der Hauptstadt und ihre Darstellung im Film hatte.
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Berlin - Alexanderplatz
D 1931, R: Phil Jutzi, B: Alfred Döblin, Hans Wilhelm, D: Heinrich George, Maria Bard, Margarete Schlegel, Bernhard Minetti, 88' 35 mm
Gerade aus der Haft entlassen, beginnt Franz Biberkopf (Heinrich George) damit, auf dem Alexanderplatz einen Straßenhandel aufzuziehen. Durch den Bandenchef Reinhold (Bernhard Minetti) wird er zwar ins kriminelle Milieu hineingezogen und verliert, als er sich widersetzen will, bei einem Autounfall einen Arm. Das Stehaufmännchen Biberkopf kommt aber wieder auf die Beine und findet in Mieze (Margarete Schlegel) eine Frau, die auf ihn achtgibt. Nach ihrer Ermordung fällt der Verdacht auf Biberkopf.
Aus dem Großstadt-Puzzle seines epochalen Romans Berlin Alexanderplatz (1929) gestaltet Alfred Döblin im Drehbuch des Films vor allem das Drama eines Mannes, der in Zeiten der Krise überleben will und versucht, sich aufrecht zu halten. Phil Jutzis Verfilmung überzeugt zwar durch atmosphärische Dichte, avancierte Bild- und Geräuschmontagen und die Schilderung des Lebens in den Berliner Hinterhöfen. Unvergesslich macht den Film aber erst das Spiel von Heinrich George als Biberkopf. Im Berliner Börsen-Courier schreibt Herbert Ihering: „Heinrich George legt eine grandiose Solonummer hin. Er zieht alle Register vom naiven, dumpfen Michel bis zum rasenden Kraftlackel Simson vom Alexanderplatz.“ (9.10.1931). (ps)
am 1.2.2013 um 19.00 Uhr
am 7.2.2013 um 20.00 Uhr
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Silvesternacht am Alexanderplatz
D 1939, R: Richard Schneider-Edenkoben, D: Hannes Stelzer, Carl Raddatz, Karl Martell, Jakob Tiedtke, 86' 35 mm
Die Erlebnisse ganz verschiedener Menschen in einer Silvesternacht: mal tragisch, mal heiter, hier ein Ende, dort ein Neuanfang. Stets bildet der Alexanderplatz das Gravitationszentrum, denn die Episoden nehmen ihren Ausgang in der dortigen ärztlichen Rettungsstelle: Geschichten von Lebensmüden und zerstrittenen Liebespaaren, von Sorgen, Hoffnung, zu viel Alkohol, Geburt und Tod. Mit von der Partie sind ein Schriftsteller, der nach Inspirationen für seinen Großstadt-Roman sucht; ein eifersüchtiger Arzt und sein verzweifelter Freund; ein entlassener Häftling und eine junge Frau, die sich entscheiden muss. Wo der Alexanderplatz und die umliegende Gegend im Kino der Weimarer Republik – etwa in Fritz Langs M (1931) – als düsterer, von Verbrechern und Prostituierten beherrschter Großstadtsumpf beschrieben wurde, zeichnet Silvesternacht am Alexanderplatz ein gewandeltes Bild. Sechs Jahre nach der nationalsozialistischen Machtübertragung und ein halbes Jahr vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs taugt der einst berüchtigte Ort nicht mehr für Ganovenromantik, er ist von Verbrechen bereinigt und befriedet. Noch sind zwar nicht alle sozialen Probleme gelöst, doch wird untergründig suggeriert, dass es damit nicht mehr lange dauern werde. Seinen Protagonisten verschafft der Film ein Happy End und seinen Zuschauern einen zuversichtlichen Blick in die Zukunft. (ps)
am 2.2.2013 um 19.30 Uhr
am 3.2.2013 um 19.00 Uhr
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Urlaub auf Ehrenwort
D 1937, R: Karl Ritter, K: Günther Anders, D: Ingeborg Theek, Fritz Kampers, Rolf Moebius, Berta Drews, René Deltgen, Carl Raddatz, 86¿ 35 mm
Der Film der soldatischen Pflichterfüllung. Kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs legt ein Truppentransport auf dem Weg an die Westfront einen Zwischenhalt in Berlin ein, der Heimatstadt der müden Soldaten. Weil ihnen seit langem der Heimaturlaub gestrichen wurde, hoffen sie nun, ihre Familien kurz besuchen zu dürfen. Entgegen den Warnungen seiner Vorgesetzten gibt der junge Leutnant seinen Männern ein paar Stunden frei und nimmt ihnen das Ehrenwort ab, danach wieder zum Bahnhof zu kommen. Anhand einer Vielzahl von Episoden und Einzelschicksalen erzählt nun Karl Ritter, der Routinier unter den Regisseuren des nationalsozialistischen Kriegsfilms, vom Wiedersehen der Soldaten mit ihren Ehefrauen und Verlobten, vom Hunger und dem Rumoren in der Heimatfront, von Versuchungen und Gewissenskonflikten quer durch die sozialen Milieus. Am Ende melden sich alle wieder beim Leutnant. Der Film-Kurier jubelt: „Der Film bildet den bekrönenden Abschluß einer Trilogie, die, von Karl Ritter gestaltet, in Patrioten die Vaterlandsliebe, in Unternehmen Michael die heldische Opferbereitschaft und in dem jetzt herausgekommenen Werk die Kameradschaft verherrlicht, Kameradschaft, die gegen Ende des Krieges, als die Zersetzung in der Heimat ihren demoralisierenden Einfluß auf die Urlauber ausübte (...), sich als ein fester Zusammenhalt erwies zwischen Männern der Front, die sich gegenseitig menschlich verpflichtet fühlten.“ (20.1.1938). (ps)
Einführung: Tobias Ebbrecht
am 20.2.2013 um 20.00 Uhr
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Zwei in einer großen Stadt
D 1942, R: Volker von Collande, D: Karl John, Monika Burg, Marianne Simson, Käte Haack, 82' 35 mm
Nur einen Tag hat der Fronturlauber Bernd Zeit, um Berlin kennen zu lernen. Kaum ist er am Bahnhof Friedrichstraße eingetroffen, trifft er auch schon zufällig die Krankenschwester Gisela. Die beiden verlieben sich und verbringen den Tag miteinander. Sie erkunden die Stadt, fahren zum Wannsee, genießen den Ausblick vom Funkturm, lassen sich mit einer Droschke kutschieren, sehen den Zoo und den Potsdamer Platz. Am Ende stehen Bernd und Gisela wieder am Bahnhof. Der Mann muss zurück an die Front, doch die Frau verspricht ihm zu warten.
Zwei in einer großen Stadt ist eine Liebesgeschichte in Kriegszeiten: ein Heimatfrontfilm, der an die Treue der Frauen, an Opferbereitschaft und Durchhaltewillen appelliert. Wie ein Fotoalbum reiht der Film Bilder touristischer Sehenswürdigkeiten aneinander und wirkt deshalb merkwürdig zeitentrückt. Davon, dass dieses Berlin-Bild im dritten Kriegsjahr bereits von Luftangriffen bedroht und der Krieg längst in Deutschland angekommen ist, schweigt der Film. Stattdessen lädt Zwei in einer großen Stadt dazu ein, den Kriegsalltag für die Dauer des Kinobesuchs zu verdrängen, in eine Idylle zu flüchten und sich einer romantischen Fantasie hinzugeben. Genau diese Art der Propaganda gefiel der nationalsozialistischen Filmpolitik, weil sie vergleichsweise unauffällig Geschlechterrollen festschrieb, Vorbilder fabrizierte und Träume kanalisierte. Zwei in einer großen Stadt wurde mit dem Prädikat „staatspolitisch und künstlerisch wertvoll, volkstümlich wertvoll“ ausgezeichnet. (ps)
am 21.2.2013 um 20.00 Uhr
am 22.2.2013 um 21.00 Uhr
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Großstadtmelodie
D 1943, R/B: Wolfgang Liebeneiner, D: Hilde Krahl, Werner Hinz, Karl John, Viola Zarell, 108' 35 mm
Ein letztes Mal erstrahlt Berlin in Großstadtmelodie im alten Glanz auf der Leinwand. Kurz danach vernichteten die Bombenangriffe das Gesicht einer Stadt, deren Seele – Toleranz und Vielfalt – schon viel früher zerstört worden war. Wenn in Großstadtmelodie eine ehrgeizige junge Fotografin (Hilde Krahl) nach Berlin kommt und Karriere machen will, sich in einen Journalisten (Werner Hinz) verliebt und die Beiden nur durch ihr unverstandenes Glück aneinander gelegentlich ins Taumeln geraten, so ist das Anlass, die Stadt selbst groß aufspielen zu lassen. Hast und Eile werden abgelöst von idyllischen Momenten, selbst im Verkehrsstrudel findet sich Raum für zarte Beobachtungen, aufgenommen in einer dokumentarisch-reportagehaften Form, mitten im Krieg und im Holocaust. „Der Filmheld Berlin ist ein gefährlicher Partner; er spielt leicht alle anderen an die Wand. (...) Nur einem Mann mit besonderem Takt und einem ausgeprägten Sinn für Rhythmus und Bildmusik, wie Wolfgang Liebeneiner, konnte es gelingen, die Großstadtmelodie zu einer symphonischen Einheit zusammenzuzwingen. Neben den Prestosätzen des Verkehrs, dem Allegro con brio der Arbeit, dem Molto vivace des Sportes, fehlt auch das Scherzo nicht. Auch die zarte Melodie der Liebe klingt auf. (...) Und in einem armseligen Atelier musiziert der Schmerz auf einer verlassenen Seele.“ (Werner Fiedler, Deutsche Allgemeine Zeitung, 5.10.1943). (ps)
am 22.2.2013 um 19.00 Uhr
am 23.2.2013 um 21.00 Uhr
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Die vier Gesellen
D 1938, R: Carl Froelich, D: Ingrid Bergman, Sabine Peters, Ursula Herking, Carsta Löck, Hans Söhnker, 96' 35 mm
Käte, Lotte, Franziska und Marianne haben die Fachschule für Kunstgewerbe in Berlin abgeschlossen und wollen nun als Gebrauchsgrafikerinnen die Welt erobern. Doch so leicht ist das nicht. Frustriert von der vergeblichen Suche nach Arbeit tun sie sich zusammen und gründen ihre eigene Firma für Werbung und Reklame. Kaum rückt nach schwierigem Start der kleine Laden am Kurfürstendamm in greifbare Nähe, da fällt das Gespann auseinander, der Männer wegen. Marianne (gespielt von der umwerfenden Ingrid Bergman in ihrem einzigen deutschen Film) findet als letzte ihr Glück – an der Seite des von Anfang an in sie verliebten, aber überheblichen Lehrers Stefan (Hans Söhnker), den sie erst noch von ihren beruflichen Qualitäten und ihrer Eigenständigkeit überzeugen muss. Ob die jungen Frauen, deren Elan so mitreißend war, am Ende doch alle gebändigt und gezähmt sind? „Die Intensität der Spielführung eines Carl Froelich erweist sich deutlich an den vier Mädchen, die im Verlaufe des Films tatsächlich zu einer Gemeinschaft verschmelzen, an welcher sich der Zuschauer so lebhaft beteiligt, dass er ihre spätere Auflösung ehrlich bedauert. (...) Mit Ingrid Bergman als Marianne erscheint ein neues, sehr beseeltes und ausdrucksstarkes Gesicht auf der Leinwand. Eine gewisse Reserviertheit des Spiels, die (...) von einer inneren Haltung bestimmt wird, kam der Rolle ungemein zugute.“ (Liselotte v. Tiedemann, Berliner Tageblatt, 12.10.1938). (ps)
am 27.2.2013 um 20.00 Uhr
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Das Veilchen vom Potsdamer Platz
D 1936, R: J. A. Hübler-Kahla, D: Rotraut Richter, Wilhelm P. Krüger, Margarete Kupfer, Fritz Kampers, 89' 35 mm
Eine Geschichte vom Pferd, genauer: vom Berliner Droschkengaul. Diesen Gaul namens Gravelotte will der Schlachter und Hausbesitzer zu Wurst verarbeiten, weil Gravelottes Besitzer – der Kutscher – die Miete nicht bezahlen kann. Nun mischt sich Mariechen ein, das Blumenmädchen vom Potsdamer Platz, und spinnt eine Intrige. Ein Mord passiert, und der Schlachter steht schon beinah unterm Galgen, als Mariechen, die ihn entlasten könnte, Gravelotte mit tränenerstickter Stimme fragt: „Woll’n wa ihn uffhängen oder nich? Woll’n wa mit’n Mord uff’m Jewissen weiterleben?“ Gravelotte schüttelt den Kopf und alles klärt sich auf in diesem Milieu-Film, angesiedelt zwischen Berliner Norden und Schlesischem Bahnhof. „Das ‚Veilchen’ ist eine kesse Asphaltpflanze mit Herz, in der Art, wie sie einmal von Blandine Ebinger und zum anderen von Claire Waldoff vor vielen Jahren auf die Kabarettbühne gestellt wurden; Vater Zille hat Pate gestanden. (...) Rotraut Richter spielt dieses kesse, vorlaute, frühreife, mit Herz und Gemüt ausgestattete Veilchen.“ (Lichtbild-Bühne, 17.11.1936). (ps)
am 2.3.2013 um 21.00 Uhr
am 3.3.2013 um 19.00 Uhr
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Emil und die Detektive
D 1931, R: Gerhard Lamprecht, B: Billie Wilder nach dem Roman von Erich Kästner, D: Rolf Wenkhaus, Fritz Rasp, Käte Haack, 72' 35 mm
Dem jungen Emil wird auf der Bahnfahrt nach Berlin das von seiner Mutter mühsam verdiente Geld gestohlen. Als Emil den Diebstahl bemerkt, heftet er sich an die Fersen des Diebes, und so geht es vom Bahnhof Zoo durch den Westen Berlins. Auf den Straßen der Großstadt findet Emil gleichaltrige Freunde und Helfer, die den zunächst ahnungslosen, dann immer nervöser werdenden Dieb verfolgen und nie aus den Augen lassen. Gemeinsam zwingen die Jungen und Mädchen den Dieb zu einem Fehler.
Wo Berlin in Krimis und Melodramen oft klischeehaft als undurchdringlicher Dschungel, als finsterer Ort des Lasters und der Gefahr inszeniert wird, da erscheint die Metropole in Emil und die Detektive in gleißendem Tageslicht: ein wunderbarer Abenteuerspielplatz, nicht dämonisch, sondern ganz irdisch und alltäglich. Verantwortlich dafür sind vor allem Billie Wilder, der Erich Kästners Bestseller kongenial für die Leinwand adaptiert, und Gerhard Lamprecht, der seinen jungen Darstellern Raum lässt für ihr frisches und natürliches Spiel. Darüber hinaus schafft Lamprecht eine ungewöhnliche Mischung aus Realismus und Poesie, aus zeitnahem Porträt, spannendem Detektivfilm und fantasievollem Wunschbild. „Es gibt herrliche Momente in diesem Film. Wenn irgendwo in Wilmersdorf von allen Ecken und Spielplätzen die Kinder lawinenartig zusammenströmen und sich zur Armee formen. (...) Höhepunkt: Ein Bauplatztor öffnet sich, und drinnen stehen, sonnenüberflutet, hunderte von Kindern. Entschlossen, solidarisch. Masse, aus Schwachen geformt, jetzt stark und dem Feinde überlegen.“ (Georg Herzberg, Film-Kurier, 3.12.1931). (ps)
am 16.3.2013 um 18.30 Uhr am 17.3.2013 um 16.00 Uhr
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Zuflucht
D 1928, R: Carl Froelich, D: Henny Porten, Franz Lederer, 92' 35 mm
Nach Jahren des politischen Exils im Ausland kehrt Martin nach Berlin zurück: müde, einsam und verbraucht. Die Marktverkäuferin Hanne hat Erbarmen mit ihm. Sie nimmt ihn in ihre ärmliche Wohnung auf, und zwischen den beiden ganz verschiedenen Menschen entsteht eine große Liebe. Martin findet Arbeit beim Bau der neuen U-Bahn-Linie durchs Tempelhofer Feld. Eines Tages bricht er schwerkrank zusammen, doch trotz ihrer Verzweiflung gibt die schwangere Hanne nicht auf. Zuflucht ist ein soziales Melodram im Stil des Realismus, ohne Schnörkel und Sperenzchen, inszeniert an den Orten, an denen sich das Leben der einfachen Leute abspielt: den Quartieren der Arbeiter, den Wohnküchen, Hintertreppen und Laubenkolonien, den Markthallen, Baustellen und Krankenhaussälen dritter Klasse. Der Film bewahrt sich dabei eine Zurückhaltung, die selten ist, und setzt ganz auf das sensible Spiel der beiden Hauptdarsteller Henny Porten und Franz Lederer. „Daß aus dieser einfachen Geschichte ein wundervoller Film, ja sogar ein fühlbarer Fortschritt auf dem Gebiet des deutschen Films überhaupt wurde – das verdanken wir neben der vorzüglichen Darstellung in erster Linie der Regie. Carl Froelich hat den Mut besessen, offen zu zeigen, was er von der neurussischen Filmkunst gelernt hat. (...) Hier gibt es kaum noch hergebrachtes Schema, hier ist keine verschämte Schminkerei, nichts und niemand macht sich ‚niedlich’ (...). Der Film ist ein Lichtblick.“ (Berliner Lokal-Anzeiger, 1.9.1928). (ps)
am Flügel: Peter Gotthardt
am 16.3.2013 um 20.30 Uhr
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Hitlerjunge Quex
D 1933, R: Hans Steinhoff, D: Jürgen Ohlsen, Heinrich George, Berta Drews, Claus Clausen, Berliner Hitlerjugend, 95' 35 mm
Der Märtyrertod eines Hitlerjungen im Jahr 1932 und die Bekehrung seines Vaters vom Kommunisten zum Nationalsozialisten sind das Thema von Hitlerjunge Quex, dem wirkungsmächtigsten Spielfilm über die HJ. Vor dem Hintergrund von Wirtschaftskrise und Straßenkämpfen muss sich der junge Lehrling Heini Völker im Berliner Arbeiterbezirk Moabit zwischen der Mitgliedschaft in der lässig geführten Kommunistischen Jugend-Internationale und der straff organisierten, vom Geist der Kameradschaft getragenen Hitlerjugend entscheiden. Gegen den Willen des Vaters bekennt sich Heini zu den Idealen des Nationalsozialismus und wird als Abtrünniger von einem kommunistischen Rollkommando gejagt. Der Regisseur Hans Steinhoff erzählt diese Geschichte spannend und effektvoll, wobei er neben den Symbolen des „Dritten Reichs“ auch die Formeln des proletarischen Films geschickt aufgreift. So untermauert er das Angebot des politischen Neuanfangs auch ästhetisch. Die Münchner Premiere in Anwesenheit von Hitler, Hess und Reichsjugendführer Baldur von Schirach geriet zur Machtdemonstration: „Schweigende Ergriffenheit, dann brausender Beifall und Heilrufe. (...) Die Heilrufe schwingen empor bis auf die nächtliche Straße in die dunkelblaue Herbstnacht. Ein Stück Kampf und Sieg, ein Stück Zeitgeschichte wurde im Angesicht der Kämpfer, die den Sieg erzwungen haben, erlebt.“ (Berliner Lokal-Anzeiger, 12.9.1933). (ps)
Einführung: Philipp Stiasny
am 19.3.2013 um 20.00 Uhr
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Asphalt
D 1928, R: Joe May, P: Erich Pommer, D: Gustav Fröhlich, Betty Amann, Albert Steinrück, Hans Albers, 93’ 35 mm
Ein braver Berliner Polizist lässt sich mit einer glamourösen Diebin ein und stolpert schnurstracks ins Verderben. Plötzlich steht er unter Mordverdacht, und alles hängt von der Aussage der Diebin ab. Unterstützt von seinen fabelhaften Hauptdarstellern Betty Amann und Gustav Fröhlich gestaltet Joe May einen Groschenroman als düsteres Drama, das Anklänge eines Film Noir besitzt. May durchleuchtet die Psychologie seiner Figuren und erschafft im Studio eine eigene, komplexe Innenwelt. Kurz vor der Einführung des Tonfilms demonstriert Asphalt noch einmal die ganze Kunst des stummen Films mit elegant schwebender Kamera, wunderbarem Timing und klarem Stilwillen. „Wir wollen uns nicht verhehlen, daß dieser Film eine gefährliche Aufgabe für alle war. Gerade weil er in Spiel und Regie ein so hohes, künstlerisches Niveau hat, hieß es, sehr vorsichtig die Klippen der Trivialität zu umgehen: es hätte leicht ein Rührfilm werden können. Einem schlechten Film verzeiht man vieles, einem guten nichts. Hier gibt es nur Anerkennung. Asphalt? – Nun ja: eine Großstadtgeschichte – aber eine uralte, die erste Geschichte, die überhaupt passiert ist: die von Adam und der Schlange. Adam trägt einen Schupohelm, aber daß die berühmte Schlange eine so gute Schauspielerin gewesen ist, wie diese Betty Amann, das bezweifle ich.“ (Heinz von Lichberg, Berliner Lokal-Anzeiger, 12.3.1928). (ps)
am Flügel: Eunice Martins
am 22.3.2013 um 19.00 Uhr
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Gleisdreieck
D 1937, R: Robert A. Stemmle, D: Gustav Fröhlich, Heli Finkenzeller, Otto Wernicke, Hilde Sessak, 78’ 35 mm
Mit seinen zahllosen Verzweigungen, seinen über- und unterirdischen Gleisebenen, mit seinem Durcheinander, das dennoch einer klaren Ordnung unterliegt, ist das Gleisdreieck in den 1930er Jahren ein topographisches Wahrzeichen des modernen Berlins, ein Mythos der pulsierenden Millionenstadt. Dort, am Bahnhof Gleisdreieck, will sich die verzweifelte Gerda vor einen Zug werfen. In letzter Sekunde wird sie vom Bahnbeamten Hans gerettet. Zwischen Gerda und Hans entwickelt sich eine Liebesgeschichte, während Gerdas krimineller Bruder Max einen großen Coup plant: Vom U-Bahn-Schacht aus will er in eine Bank einbrechen... Das Gleisdreieck fungiert im Film als Handlungsort und als ein zentraler Verkehrsknotenpunkt, an dem sich die unterschiedlichen Erzählstränge – der Krimi und die Liebesgeschichte – kreuzen. Gleisdreieck schildert so zugleich die kleinbürgerliche Lebenswelt der Bahnbeamten und das Milieu der Gangster, dessen Inszenierung an expressionistische Vorbilder erinnert und Stimmungen wie im Film Noir erzeugt. Der Regisseur Robert A. Stemmle legte besonderen Wert darauf, möglichst viele Aufnahmen an Originalschauplätzen zu drehen und den Alltag realistisch abzubilden: „Robert A. Stemmle bleibt einfach und klar in seiner Regie. Fast reportagehaft rollt alles ab; das Bild steht im Vordergrund. (...) Das Leben ist ja oft sonderbar und ‚filmischer’ als der tollste Kriminalfilm. Es kommt nur auf eine ungeschminkte Wiedergabe an.“ (Georg Santé, Der Westen, 28.1.1937). (ps)
am 23.3.2013 um 21.00 Uhr
am 24.3.2013 um 19.00 Uhr
ZEITBILD BERLIN
Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?
D 1932, R: Slátan Dudow, B: Bertolt Brecht, Ernst Ottwalt, M: Hanns Eisler, D: Hertha Thiele, Ernst Busch, Martha Wolter, 80’ 35 mm
Ein Berliner Arbeitsloser nimmt sich das Leben, eine zahlungsunfähige Familie muss ihre Wohnung räumen und in eine Zeltstadt am Müggelsee ziehen, Kleinbürger ertränken ihren Kummer im Alkohol, junge Arbeiter organisieren ein sozialistisches Sportfest und erleben die stärkende Kraft der Solidarität. Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt? entsteht auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise im Kollektiv junger kommunistischer Künstler, unter ihnen Bertolt Brecht und Hanns Eisler. Sie mischen Spiel- und Dokumentarfilm, Alltagsbericht und Agitprop, Satire und revolutionäres Pathos. Zu sehen ist eine zerrissene Arbeiterklasse, deren ältere, mutlose Hälfte sich im Elend einrichtet, während die andere Hälfte, die sozialistische Jugend, sich parteipolitisch organisiert, Geist und Körper stählt und den Kampf für eine gerechtere Welt aufnimmt. Dem Film sind seine schwierigen Entstehungsbedingungen, der Mangel an Geld und Erfahrung und die dauernden Streitigkeiten mit der Zensurbehörde anzumerken. Zum Schluss ähnelt er einem Werbefilm für die Arbeitersportvereine, wobei sich die Aufmärsche der kommunistischen Jugend nicht sonderlich von denen der Nationalsozialisten unterscheiden. Was dennoch begeistert, sind der künstlerische Elan, das Verlangen nach einer radikal neuen Ästhetik und der unbedingte Wille, Filme politisch zu machen. (ps)
am 28.3.2013 um 20.00 Uhr
am 29.3.2013 um 21.00 Uhr
ZEITBILD BERLIN
M
D 1931, R: Fritz Lang, B: Thea von Harbou, K: Fritz Arno Wagner, D: Peter Lorre, Gustaf Gründgens, Otto Wernicke, 112’ 35 mm
„Warte, warte, nur ein Weilchen, dann kommt der schwarze Mann zu Dir. Mit dem kleinen Hackebeilchen macht er Schabefleisch aus Dir.“ Mit diesem makabren Abzählreim eines Kindes beginnt M: der erste Tonfilm von Fritz Lang, der im Rückblick einem Scharnier zwischen seinem deutschen und seinem amerikanischen Werk gleicht. Es geht um die Suche nach einem Kindermörder, der die Millionenstadt Berlin in eine kollektive Hysterie stürzt, und ebenso um den Zustand der modernen Gesellschaft im Ganzen. Wie soll eine Gesellschaft, die auf Recht und Ordnung hält, mit einem psychisch gestörten Kindermörder umgehen? Ist der Kranke womöglich selbst ein Produkt dieser Gesellschaft? Trägt sie eine Mitschuld? Was wäre eine gerechte Strafe?
Diese Fragen stellt M in einer Zeit, in der die Mordtaten von Fritz Haarmann und Peter Kürten in aller Munde sind und den Fantasiehaushalt von Kindern und Erwachsenen möblieren. Fritz Lang beschreibt Berlin als einen Kriegsschauplatz der Moderne, als einen Ort der totalen Mobilmachung: Die Massenmedien und die durch sie geschürte Paranoia regieren, die technischen Mittel zur Kontrolle und Entlarvung werden ständig optimiert, jeder ist verdächtig und wird überwacht, jeder hinterlässt Spuren und verrät sich so. M vibriert vor Spannung, weil die Regie den Schmerz der Mütter und die Tragik des Mörders kühn verschachtelt mit der Dokumentation der Polizeiarbeit und der Organisation der Unterwelt. All das beobachtet der Film mit eiskalter Präzision und großer Distanz. (ps)
Wir zeigen eine Kopie der restaurierten Fassung von 2001.
am 30.3.2013 um 21.00 Uhr
am 31.3.2013 um 18.00 Uhr
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