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Spezifik des Antikriegsplakates
Versucht man eine typologische Einordnung der politischen Plakate
der DDR, die Krieg und Frieden thematisieren, so zeigt sich zum großen Teil
eine Einbindung in den seit der Antike vorhandenen Formenschatz zur Abbildung
von Gewalt und friedvollem Dasein. Einerseits werden die Schrecknisse des
Krieges, das persönliche Leid drastisch vor Augen geführt, andererseits
die Möglichkeit eines begrenzten Friedens als Resultat des richtigen politischen
Handelns oder der absolute Frieden als Utopie dargestellt.26
Jedoch bringt die Entwicklung neuer Waffentechnik neue Bildinhalte. Seit
Beginn der industrialisierten Aufrüstung um 1860 wurden Friedensallegorien
mit Rüstungsmotiven kombiniert. Die Gestalt der Welt als Bombe geht zurück
auf Honoré Daumiers Graphik "Europäisches Gleichgewicht" von 1867, und doch
hat erst die atomare Kriegssituation die Erde in eine Bombe verwandelt,
die sich selbst vernichtet. Diese finale Metapher bedingt einen Blick von
außen, aus dem Weltraum, der keinerlei Vorstellung von Flucht mehr zuläßt,
wie "the last photo" von Gerda Dassing zeigt. Die Stationierung von Mittelstreckenraketen
Ende der siebziger Jahre fand ihren bildlichen Reflex in den Plakaten und
wurde zur Zementierung des Feindbildes USA eingesetzt.
Auch der Systemvergleich im Bild hat eine lange Tradition, und seit
Ambrogio Lorenzetti auf seinen Sieneser Rathausfresken "schlechte und gute
Regierung" mit Krieg und Frieden attributierte, können Staatsoberhäupter
und ganze politische Systeme mit der Ursache für den einen oder anderen
Zustand gleichgesetzt werden; es sei an "Stalin - Das ist der Frieden!"
erinnert.
Ein weiteres Merkmal ist der Einsatz umgewandelter christlicher Symbolik.
Die Taube ist nicht das einzige Motiv der christlichen Bildwelt, das für
die Antikriegsthematik eingesetzt wurde. Auch die Schlange, der Totenschädel
und die Darstellung der Apokalypse finden sich in säkularisierter Form im
sozialistischen Plakat.27
Die Hauptfunktion solch verwendeter Symbole ist die Reduktion von
Komplexität. Das "pars pro toto"-Prinzip, der stellvertretende Bezug eines
konkreten Teiles auf ein abstraktes Ganzes wird bei politischen Plakaten
besonders sinnfällig. Der Helm, das Schwert, die Bombe stehen für den gesamten
Militärapparat, die Angriffsabsicht, den Atomkrieg; die Taube, das Kind,
der Globus als Friedensbringer, Schutzbedürftiges oder Lebensgrundlage.
Im Überblick ist eine Entwicklungslinie von den reinen Symbolakkumulationen,
wie sie in der frühen DDR die Plakate prägten, bis hin zu einer vielschichtigen
Bildnarration, die zum Nachdenken anregt, festzustellen.
Die Mehrzahl der hier angeführten Plakate arbeitet mit dem für politische
Propaganda charakteristischen Appell: "Fordert: Verbot der …", "Schluß damit!",
"Helft …", "Beteiligt Euch …", "Unser Vorschlag gilt: …". Aber vor allem
in den siebziger und achtziger Jahren tauchen Neologismen und verbale Zusammensetzungen
auf, die mit Doppeldeutigkeit spielen oder aber erst durch den hinzugefügten
Bildinhalt ihren Sinn erhalten, wie "Euroshima?", "k.o. - o.k.", "über Leben"
oder eben die "00-Lösung". Auf eine solche Bild-Text-Dialektik wurde nur
selten verzichtet, denn diese konstituiert den spezifischen Bildwitz des
politischen Plakates, der neben der formalen Auffälligkeit die Aufmerksamkeit
des Betrachters bindet.
Antikriegsplakate der DDR sind in der Tradition der operativen Kunst
der Weimarer Republik, die die Verbindung von Kunst und Agitation in den
Vordergrund stellte, verfertigt worden. Der Konflikt, der durch die symbolischen
Repräsentationen von staatsoffizieller Friedenspolitik und der Zeichengebung
der oppositionellen Friedensbewegung am Ende der DDR auftrat, zeigt, daß
der Bezug von Kunst und "Agitprop" komplexe Bildsysteme ergab, für deren
Mehrschichtigkeit das Medium Plakat ein besonderer Indikator ist.
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Die zerstörte Kanone inmitten
einer Naturidylle ist ein bekanntes Motiv für Abrüstung
als zentrale Friedensbedingung, aber noch kein Motiv für den
Frieden selbst. Vgl. Jürgens-Kirchhoff: Schreckensbilder …, 1993. |
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Doch die Übernahme dieser Symbolik
ist keine Erfindung der DDR, bereits die Künstler der Assoziation
Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands (ARBKD) funktionierten
die christliche Ikonographie für die proletarische Kunst um. |
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