Die Harnische aus dem 15. und 16. Jahrhundert gehören
zum Urbestand unserer kulturhistorischen Museen. Was erwartet man gemeinhin,
wenn man ein solches Haus betritt? Folterkammern und "Ritterrüstungen".
Die meistens im 19. Jahrhundert nach Abbildungen aus dem 18. gebauten
Folterinstrumente repräsentieren das dunkle Mittelalter, an dem man
sich gleichwohl lustvoll erbaut. Die Harnische stehen für Glanz und
Ritterherrlichkeit. Auch sie sind oft genug in jüngerer Zeit geschmiedet
worden, aber viele von ihnen sind alt, weil sie stets geschätzt wurden
und bessere Erhaltungs-Chancen hatten als das meiste von dem, was unsere
Museen aus alter Zeit heute aufbewahren. Fürstliche und städtische
Waffenkammern sind an vielen Orten zu Museumsbauten geworden, und noch
länger ist die Reihe der Museen, zu deren ältesten Beständen
Waffen aus dem späteren Mittelalter und der frühen Neuzeit gehören.
Für das Deutsche Historische Museum im Berliner Zeughaus gilt beides:
sein Domizil geht auf das Militärmagazin des brandenburgisch-preußischen
Staates zurück, und seine Waffensammlung stellt den ältesten
Teil seiner Bestände dar.
Dennoch machen die Waffen und die Harnische Schwierigkeiten. Auf welche
Art soll man sie präsentieren? Wie anders denn als das, was sie waren,
möchte man antworten, also als Waffen, als militaria. Doch
was heißt das? Selbst im Zeitalter des technisierten Krieges ist
militärisches Gerät mehr als bloß Werkzeug für einen
bestimmten Zweck. Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um sich ausmalen
zu können, daß heutige Panzer und Kampfflugzeuge späteren
Historikern nicht nur etwas über die Kriegstechnik unserer Zeit verraten,
sondern auch Auskunft über den Umgang mit Gewalt, über die Mentalität
derer, welche diese Gewalt übten und über kollektive Ideale
geben werden.
Bei den Harnischen aus dem 15. und 16. Jahrhundert kommt hinzu, daß
sie uns Quellen ersetzen können, die wir nicht haben. Kleider aus
der damaligen Zeit gibt es nur in geringer Zahl und nur als Fragmente.
So haben wir wenigstens die Eisenkleider. Die aber waren in ihrer besseren
Ausführung dem Körper dessen, der sie in Auftrag gegeben hatte,
wenigstens so genau angepaßt wie textile Kleidung, und so haben
wir in den Harnischen sozusagen Abdrücke von Körperlichkeit,
die wir aus diesen Jahrhunderten sonst nicht besitzen.
Käme es nur darauf an, wären vom Körper genommene Abgüsse
- die es für Körperteile im Ausnahmefalle sogar gibt - noch
besser. Aber die Harnische sind nicht nur das. Sie sind Zeugnisse avancierter
Technik und Handwerkskunst, also Produkte spezifischer Formen menschlicher
Arbeit. Sie verraten uns etwas über die Meister und die Werkstätten,
in denen sie hergestellt worden sind. Diesen Meistern und ihren Auftraggebern
aber verdanken wir nicht nur Metallgeräte von außerordentlicher
Qualität, sondern auch Kunstwerke. Es hat einen guten Sinn, von spätgotischen
und von Renaissance-Harnischen zu sprechen. So problematisch umfassende
Stilbegriffe auch sind: daß ein den Körper eines Fürsten
schützender Harnisch um 1500 so etwas war wie eine spätgotische
Metallskulptur, läßt sich nicht nur in bildlicher Redeweise
sagen. Denn es gibt - in der Innsbrucker Hofkirche oder in Römhild
im südlichsten Thüringen - um 1500 gegossene Metallbildwerke,
welche die dargestellten Personen in Panzer der Zeit hüllen und auf
den ersten Blick so wirken können, als habe da jemand einen Harnisch
ausgegossen.
Keine Frage, daß diese prächtigen Harnische als Kunstwerke
bestellt und gearbeitet wurden, daß es nicht erst eine nachträgliche
Perspektive ist, welche sie der bildenden Kunst zuordnet. Doch faßt
man damit nur einen Teil der einstigen Realität. Auch wenn die Harnische
noch im 16. Jahrhundert in der Rüstkammer als frühe Museumsstücke
aufbewahrt wurden: zuvor hatten sie selbst dann, wenn sie unbeschreiblich
teuer gewesen waren, ihrem Zweck gedient, also dem Kampf, hatten sie ihren
Besitzer eingezwängt und beschwert, ihn geschützt, aber auch
mit besonderen Risiken bedroht. Der Sturz vom Pferd verlief im allgemeinen
glimpflicher, wenn man nicht in einen solchen Stahlblechkäfig eingesperrt
war. Gewiß gehörte zu den Qualitäten der Harnische, daß
sie den Lanzenstoß von der Brust ihres Trägers und den Schwerthieb
von seinem Haupt ablenkten. Doch auch damals hatte Sicherheit ihren Preis,
in diesem Falle Schweiß, Prellungen und eine derart eingeschränkte
Beweglichkeit, daß der Träger des Harnischs sich als Ziel einer
Attacke geradezu anbot.
Wie man sich das im einzelnen vorzustellen hat, hängt davon ab, wozu
die Harnische gebraucht, ob sie im Kampf oder im Schaugefecht, im "Turnier"
eingesetzt wurden. Daß die reichen Harnische des 15. und 16. Jahrhunderts
im allgemeinen nicht in der Feldschlacht verwendet wurden, ist offensichtlich.
Doch folgt daraus nicht, daß man sie als Spielgeräte betrachten
sollte - so spielerisch die Ritter-"Spiele" auch waren.
Wie hat man sich den Umgang mit solchen Waffen vorzustellen? Darüber
verraten die Waffen selbst so gut wie nichts. Wir brauchen schriftliche
Zeugnisse. Unter denen aber möchte man den aus dem Umgang mit den
Waffen hervorgegangenen Schriften, den Turnierbüchern und ähnlichen
Quellen, solche Dokumente vorziehen, aus denen die Träger der Waffen
selbst sprechen. Es gibt solche Zeugnisse durchaus. Es gibt subjektive
Dokumente, Briefe vor allem und memoirenartige Texte, Chroniken aus der
Perspektive der Harnisch-Träger, und gelegentlich gibt es beiläufige
und deshalb umso deutlichere Zeugnisse.
Der Augustiner-Chorherr Johannes Busch, der nach der Mitte des 15. Jahrhunderts
einer der energischsten Klosterreformer war, berichtet davon, wie er im
Jahre 1455 im Auftrage und im Beisein des Landesherrn den Versuch unternahm,
das Benediktinerinnen- Kloster Wennigsen bei Hannover zur alten Regel
Benedikts zurückzuführen. Man bekommt einen lebhaften Eindruck
davon, wie da der Landesfürst und der nichtadlige Geistliche teils
mit Überredung, teils mit Drohung zusammenwirkten, um die adligen
Klosterfrauen von ihrer hergebrachten Lebensweise abzubringen. Die beiden
praktizieren geradezu das aus dem modernen Kriminalfilm bekannte Spiel
Böser Polizist/Guter Polizist. In diesem Sinne fügt Busch einer
Drohung des Herzogs hinzu: "Schwester, tut was der Herr Herzog wünscht.
Wir wollen fromm und milde mit Euch umgehen." Die Situation ist außerordentlich
kritisch. Der Herzog hat nämlich damit gedroht, die Klosterfrauen
aus ihrem Kloster zu werfen. Die Wagen für den Abtransport stehen
schon bereit. Das Ganze erinnert fast an Überwältigungen, die
wir aus Diktaturen des 20. Jahrhunderts kennen. Dennoch reagiert die angesprochene
Nonne nicht auf die Situation, sondern auf die in ihren Augen anmaßende
Rede des nichtadligen Klerikers. Sie antwortet verärgert: "Ihr
seid nicht mein Bruder. Warum nennt Ihr mich Schwester? Mein Bruder ist
in Eisen gekleidet und Ihr in ein leinenes Kleid."
Selbstverständlich konnte einen Harnisch kaufen, wer ihn bezahlen
konnte. Nichtadlige Söldner trugen einfache Harnische, schützten
wenigstens die Brust durch einen Panzer. Und in reichen süddeutschen
Städten leisteten sich vermögende Bürger Turnieraus-rüstungen,
welche viele Adlige niemals hätten bezahlen können. Dennoch
war der Harnisch ein Standes-Abzeichen. Die wütende Bemerkung der
Nonne von Wennigsen kennzeichnet einen allgemeinen Sachverhalt, der auch
durch die umgekehrten Nachrichten bezeugt wird.
In der Chronik der Grafen von Zimmern ist von einem Mitgliede der Familie,
dem Grafen Johann Werner, die Rede, der sich durch seine Kleidung gar
nicht als Adliger zu erkennen gibt. Er ist freilich nicht der einzige,
der das tut, und der Autor sieht darin ein Stück guter alter Zeit,
welche er der Pracht gegenüberstellt, wie sie für die MaximilianZeit
charakteristisch sei:
Als Herr Johann Werner aus Straßburg zurück nach Seedorf
reiste, begab es sich, als es Sommerzeit und sehr warmes Wetter war, daß
er die Schiltacher Steige als letzter hinaufritt und sein Gesinde vor
ihm herzog. Und da er ganz einfach gekleidet und ausgerüstet war,
in derArt, wie Graf Christoph von Werdenberg und der alte Graf Michael
von Wertheim, hätten ihn Unbekannte eher für einen Dorfschultheißen
oder einen anderen Amtmann gehalten als für einen Herren, wie sich
die Alten früher überhaupt schlicht hielten und sich insbesondere
nicht teuer kleideten, wenn sie über Land reisten, wie das Herr Froben
von Hutten auch tat und deshalb von Kaiser Maximilian als Heckenreiter
angesprochen wurde. Denn da er die ritterlichen Zeichen nicht führte,
hätte man ihn eher für einen alten Soldknecht gehalten. So war
auch das Äußere von Herrn Johann Werner.
Das heißt natürlich nicht, daß in der neuen Zeit,
in welcher, dem Autor der Zimmerischen Chronik zufolge, die alte Schlichtheit
außer Mode gekommen war, in vollem Harnisch über Land geritten
worden wäre. Unbewaffnet reiste man jedoch nicht und das galt für
den adligen Herrn wie für den Söldner. Man erfährt das
aus einer Anekdote, die sich in der Lebensbeschreibung findet, die Ludwig
von Eyb der Jüngere dem Wilwolt von Schaumberg gewidmet hat, einem
fränkischen Reichsritter und Verwandten. Die Geschichte soll als
Aventiure im Sinne der höfischen Epik gelten. Sie mag also fingiert
sein. Doch was als Wirklichkeit zugrundegelegt wird, war die zeitgenössische
Realität.
Ich will die Sache, von der ich nun schreibe, vergleichen, wie die
alten Tafelrunde-Gefährten einstmals allein auf der Suche nach Abenteuern
ausgeritten sind. Wilwolt von Schaumberg ritt allein von Ansbach zu Jörg
von Schaumberg seinem Bruder, der damals Pfleger von Arberg war. Und als
er beim Rückritt beim Schloß Sommersdorf durch den Tannenwald
ritt, hat ihn ein Soldknecht, ein gebürtiger Schweizer, mit angelegtem
Pfeil durch den Wald verfolgt. Da Wilwolt ihn zuvor gesehen hatte, hatte
er auch angelegt. Er drückte seine Armbrust so dicht wie möglich
an sich, so daß der Soldknecht das nicht sehen konnte. Der stürmte
mit kriegerischem Geschrei los: Wilwolt solle still halten, oder er wolle
ihm den Hals abstechen. Wilwolt wandte sich um und sagte lachend: "Wie
kommst du so frisch daher? Kennst du mich nicht?"
Der Ritter wie der - wohl ebenfalls aus adliger Familie stammende
- Söldner sind unterwegs bewaffnet, mit der Armbrust, aber auch mit
dem Schwert, wie man im folgenden erfährt, und sie tragen wohl einen
Helm. Und sie folgen beide einem bestimmten Verhaltens-kodex. Was der
im einzelnen vorschreibt, geht aus der Geschichte nicht hervor. Namens-Nennung
spielt gemäß dem literarrischen Vorbild eine Rolle, wenn man
sich so begegnet wie hier. Man darf sich offenbar angreifen, aber nicht
jeder Angriff ist erlaubt. Die Geschichte soll die adlige Vortrefflichkeit
des Wilwolt Schaumberg bezeugen. Der Autor, Ludwig von Eyb, verfolgt mit
seinem Buch, wie er ausdrücklich sagt, eine didaktische Absicht.
Es kommt ihma auf eine Erziehung des Adels an. Doch gibt er eine offensichtlich
realistische Szene, in der sich nicht einfach Schwarz und Weiß gegenüberstehen.
Wilwolt ist dem Soldknecht, der ihn zunächst überfallen und
dann dergestalt überlisten will, daß er Jagdbereitschaft beim
Ritt durch den Wald in einen Angriff übergehen läßt, über-legen.
Aber der Soldknecht hat seinerseits Anspruch auf Ehre. Seine Berufschancen
drohen durch die Niederlage, die ihm Wilwolt zugefügt hat, vermindert
zu werden. So kommt es am Ende zu einem Ausgleich. Wilwolt muß etwas
zahlen.
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