Vor drei Jahren konnte man davon ausgehen, daß die
Nachkriegszeit zur Mitte der fünfziger Jahre beendet,
daß der Kalte Krieg spätestens seit zwei Jahrzehnten
vorbei gewesen sei. Seine bedrohlichen Szenarien
hatte er zu Beginn der fünfziger Jahre entworfen.
Die Epoche des Kalten Krieges besaß keine Aktualität,
lediglich nostalgische Rückblenden auf die Gründungsphasen
von Bundesrepublik wie DDR konnten dem Thema abgewonnen
werden. Der politische Erdrutsch vom Herbst 1989
veränderte schlagartig die Perspektive.
Als die internationale Politik dann feststellte,
der Kalte Krieg sei vorbei, wurde deutlich, in einer
Epoche gelebt zu haben, die erst jetzt als eine
vorübergehende Nachkriegsordnung zu Ende ging. Erst
jetzt entstand eine verbindliche Friedensordnung
für das Nachkriegseuropa. Innerhalb weniger Monate
zerbarst die große gesellschaftliche Alternative
des Sozialismus in den Staaten Osteuropas, verrauchte
die so lange als bedrohlich empfundene Gefahr eines
revolutionären Weltkommunismus gleich einem "Papiertiger".
Die "Wende" in Osteuropa war nicht Aufbruch
in einen neuen Sozialismus, sondern letzter Schritt
eines lange währenden Zerfalls.
Die unerwartete Revision der Nachkriegsordnung
war für die DDR folgenreich: Ihre staatsrechtliche
Existenz hörte im Oktober 1990 auf. Zuvor durchlief
sie innerhalb weniger Monate die Phasen ihrer Gründungsgeschichte
von 1945 bis 1961 ein zweites Mal. Im Zeitraffer
traten die Etappen der deutsch-deutschen Entzweiung,
jetzt als "Rolle rückwärts" vor unsere
Augen. Punkt für Punkt revidierte die DDR, was Herzstück
ihrer staatlichen Substanz war. Das Einparteiensystem
löste sich auf und freie Wahlen wurden durchgeführt.
Die sowjetische Siegermacht hielt sich zurück, und
die politische Öffentlichkeit ließ sich nicht mehr
reglementieren. Eine Massenflucht, wie man sie aus
den fünfziger Jahren kannte, setzte über Ungarn
und die CSSR ein, die Mauer fiel, die Wirtschaft
brach zusammen. Damit erhielten aufmerksame Beobachter
einen Schnellkurs über die wesentlichen Elemente,
die über 45 Jahre den Bestand der DDR gesichert
hatten: Vereinigungsparteitag (1946), währungspolitische
Abtrennung von Westeuropa/Berlin-Blockade (1948),
Unterdrückung der politischen Öffentlichkeit (17.
Juni 1953) und territoriale Abgrenzung bis zum Mauerbau
1961. Das Volk, so widersprüchlich seine Beweggründe
im Jahre 1989 waren, mischte sich in die inneren
und äußeren Angelegenheiten des DDR-Staates ein.
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