Zugleich geschah etwas Erstaunliches. Nicht nur
in der DDR, sondern auch in der Bundesrepublik gab
es nicht wenige, die des status quo der Nachkriegsordnung
von Potsdam, nun um einige Punkte verbessert, erhalten
wollten. Eine marktwirtschaftliche Bundesrepublik
und eine sozialistische Republik mit "menschlichem
Antlitz" sollten bei offener Grenze eine Konföderation
bilden.
Bei diesem Ringen im Jahre 1990 um eine brauchbare Alternative zur bisherigen
Zweistaatlichkeit stellte sich immer bohrender die Frage nach dem, was die DDR in den
neuen Staat einbringen könnte. Dieser Prozeß des Nachdenkens war einerseits
überschattet von Ängsten und Vorbehalten gegenüber der Bundesrepublik, andererseits war
er vom Erschrecken über die Machenschaften der DDR-Institutionen und deren heilloser
Nähe zur Staatsdiktatur gelähmt. Der Versuch einer "verbesserten" DDR
mißriet. Das ehemalige Unbehagen über die Gänsefüßchen (fast vierzig Jahre hatten sie
die "DDR" gebrandmarkt) wich der Angst nun als "Fußnote der
Geschichte" behandelt zu werden (Stefan Heym).
Der befürchtete Griff der Bundesrepublik nach der DDR
weckte alptraumartige Ängste, die in der Propaganda der Nachkriegszeit wurzelten. Längst
vergessene, durch jahrzehntelang geführte Konsultationen abgebaute und mithin
totgeglaubte Feindbilder erstanden zu neuem Leben. Unzählige Parolen - "Wir lassen
uns nicht vereinnahmen", "Nie wieder Groß-Deutschland", "Nazis
raus", "Wessi hau ab", "Wieder-Vereinigung", "Kein viertes
Reich" - bedienten sich des Themenkataloges aus der Mottenkiste des Kalten Krieges.
Dem Bundesrepublikaner fröstelte es weniger bei diesen Parolen als bei den sich
überbietenden Hochrechnungen, was diese Einheit kosten werde, und er konterte: "Kein
Geld für rote Socken!"
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