Alptraum und Entfremdung, Angst und große Worte
belebten und bestimmten den Gefühlshaushalt der
Vereinigungs-Deutschen. Nach der euphorischen Kontaktaufnahme
im Herbst 1989 und den Wahlen im März 1990 offenbarte
er wider Erwarten eine Militanz, als gelte es erneut
den Streit der Väter auszufechten. In den Köpfen
von Ost und West kam vehement zum Vorschein, wozu
die Potsdamer Konferenz einen Grundstein gelegt
und was durch den Mauerbau zu einer trügerischen
Ruhe in Europa geführt hatte: ein erbittert geführter
Glaubenskrieg, der an Heftigkeit dem oftmals beschworenen
Bruderkrieg nicht viel nachsteht.
Das Unterstreichen eines gänzlichen
Versagens des Sozialismus ist dem einen genauso wichtig wie dem anderen das Insistieren
auf Widerstand gegen den "Manchester-Kapitalismus". Die verheerenden Folgen, die
der Kalte Krieg in den Köpfen angerichtet hatte, offenbarten sich bei den
deutsch-deutschen Begegnungen nach der Vereinigung. Mit seinen Texten und Bildern war der
Kalte Krieg mehr als Drohrhetorik und hämische Satire: Er hat unser Denken geformt, noch
lange nachdem die Propagandasprüche und -bilder nicht mehr opportun waren.
Nimmt man die Deformation des Denkens wahr,
die hinter der sprichwörtlichen "Mauer im Kopf" zum Vorschein kommt, so
offenbaren sich Zerrbilder, die ungebrochen mehr als drei Jahrzehnte überwintert haben.
Das durch die Teilung persönlich Erlittene wie auch die propagandistischen Bilder der
Nachkriegszeit bis zum Mauerbau treten als Gespenster wieder auf. Zu sehr sind wir in
Mitteleuropa Kinder des 20. Jahrhunderts, seiner Konflikte und Konfrontationen. In den
Glaubenskrieg der Ideologen hat sich Deutschland immer wieder verwickelt, an dem Streit
zwischen Demokratie und Diktatur hat es mit eigenen Varianten teilgenommen. Seit dem Sieg
des Bolschewismus 1917 in Rußland trat es einerseits mit seinem Antibolschewismus hervor,
andererseits schürte es mit seiner sowjetischen Bündnispolitik Unbehagen in Westeuropa. |