3. Lateinamerika: Landflucht und Chaos in den Städten
Die jüngere Geschichte Lateinamerikas
ist geprägt durch die Zuwanderung von Millionen Landbewohnern
in die Städte. Da das beste Ackerland sich seit den Zeiten
der Kolonialherrschaft in den Händen einer kleinen reichen
Minderheit befindet, hat die ländliche Bevölkerung immer
ums Überleben kämpfen müssen. Die Mechanisierung
der Landwirtschaft und die Umwandlung von gutem Ackerboden in Viehweiden
lassen Arbeitsplätze in der Landwirtschaft zur Mangelware werden.
Wenn die Familien wachsen, scheint Abwandern der einzige Ausweg
zu sein.
Es gibt Gruppierungen, die nicht aufgeben: Die Amazonasindianer
kämpfen um ihr Stammesgebiet, nach dem Goldspekulanten und
Holzfirmen schon die Hände ausstrecken; die Zapatisten im Süden
Mexikos kämpfen um die Rückgabe von Land, das ihnen unrechtmäßig
von den Stützen des Regimes weggenommen wurde; die brasilianische
Bewegung der Landlosen, heute eine gut organisierte politische Macht,
besetzt, trotz aller Repressionen von Seiten der Landbesitzer, immer
wieder unproduktive private Güter.
Für den größten Teil der ländlichen
Bevölkerung Lateinamerikas ist die Schlacht verloren: in den
Bergdörfern Ecuadors leben fast nur noch Frauen und Kinder,
weil die Männer in die Städte und an die Küste gezogen
sind. Auf dem gesamten Kontinent hat dieser Exodus unabsehbare Folgen:
Entstanden sind zum Beispiel riesige, unregierbare Metropolen wie
Mexiko-Stadt und São Paulo, wo die Privilegierten in ihren
von Slumgürteln umgebenen Vierteln unter einer Art Belagerungszustand
durch städtische Gewalt leben.

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