MOSKAU IM FILM
EINE PASSAGE DURCH DIE RUSSISCH-SOWJETISCHE FILMGESCHICHTE
Die russische Hauptstadt hat ein eigenes Filmgenre hervorgebracht. Im Laufe der Jahrzehnte sind in der Sowjetunion und in Russland regelmäßig außergewöhnliche Filme entstanden, die von Moskau erzählen, von seinen Plätzen und Bauten, seiner Geschichte und visionären Kraft und vor allem von seinen Bewohnern, dem Leben und Lieben der Moskauer. Unter diesen Filmen „made in Moscow“ sind tragische und amüsante Geschichten, sozialkritische Dokumente und kühne Visionen, klassische Erzählformen und aufsehenerregende Experimente. Die Retrospektive MOSKAU IM FILM bietet einen historischen Querschnitt durch den Moskau-Film und präsentiert einzigartige Zeitdokumente eines Moskaus im Um- und Aufbruch. „In Moskau leben die Menschen zwar in einer Stadt, aber wie auf verschiedenen Planeten“, sagen die Moskauer. Mit den ausgewählten Filmen sind wir zu Gast auf einigen dieser Planeten. MOSKAU IM FILM ist Bestandteil des Kulturprogramms der Moskauer Tage in Berlin, die in diesem Jahr auch im Zeichen des 20jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft Moskau-Berlin stehen. Die Retrospektive wurde von Julia Kuniß kuratiert.
Eine Filmreihe der Interkultura Kommunikation in Zusammenarbeit mit dem Zeughauskino und mit freundlicher Unterstützung der Wintershall
MOSKAU IM FILM
EINE PASSAGE DURCH DIE RUSSISCH-SOWJETISCHE FILMGESCHICHTE
Moskwa
Moskau
UdSSR 1927,R: Michail Kaufman, Ilja Kopalin, 78’ 35 mm, OF mit russ. + dt. ZT
Anlässlich des zehnten Jahrestags der Oktoberrevolution werden Michail Kaufman und Ilja Kopalin von Sowkino damit beauftragt, eine Filmskizze über Moskau zu drehen. Es entsteht eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Stadt aus dem Geiste des russischen Konstruktivismus der 1920er Jahre. Der einzigartige Film über das Moskau vor der Rekonstruktion der 1930er Jahre dokumentiert das Leben in der sowjetischen Metropole, das Treiben auf den Bahnhöfen und Marktplätzen, in den Fabriken und Vororten aus ungewöhnlicher, revolutionärer Perspektive: ausgefallene Kameraeinstellungen, eine experimentelle Filmmontage und eine neuartige, bewegliche Kamera. Wie bei anderen berühmten filmischen Stadtporträts der 1920er Jahre – allen voran Berlin – Die Sinfonie der Großstadt (1927) – bestimmt die Stadt mit ihren verschiedenen Facetten Rhythmus und Handlung des Films. „Moskau ist bei Kaufman neu und überraschend, es ist nicht so, wie wir, die Moskauer, es tagtäglich zu sehen gewohnt sind (...) – eine ungewöhnliche Stadt und doch eine echte, nicht ausgedachte, nicht ‚inszenierte’.“ (Lew Kuleschow, Die Leinwand heute, in: Nowy lef, Moskau 1927, Nr. 12). (jk, ve)
Klavierbegleitung: Eunice Martins
Eröffnung der Filmreihe mit Gästen
am 18.11. um 20.00 Uhr
MOSKAU IM FILM
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Moskwa sljesam ne werit
Moskau glaubt den Tränen nicht
UdSSR 1979, R: Wladimir Menschow, D: Vera Alentowa, Alexej Batalow, Irina Murawjowa, Raissa Rjasanowa, Juri Wassiljew, Natalia Wawilowa, 140’ 35 mm, OmU
Die Lebensentwürfe dreier Freundinnen, die das Schicksal in einem Moskauer Arbeiterwohnheim zusammenführt, könnten zwar kaum unterschiedlicher sein, doch eines vereint sie: der Traum vom großen Glück in der Hauptstadt. Moskau glaubt den Tränen nichtist eine liebenswürdige, heitere Charakterstudie, die auf unsentimentale Weise die Lebenslinien ihrer drei Protagonistinnen nachzeichnet und einen einzigartigen Einblick in den Alltag der sowjetischen Hauptstadt in den 1950er bis 1970er Jahre gibt. Nicht zuletzt aufgrund der glänzenden schauspielerischen Leistungen – vor allem der Hauptdarstellerin Vera Alentowa – wurde Moskau glaubt den Tränen nicht in der Sowjetunion zum Publikumserfolg und fand auch im Westen große Beachtung. Bei der Berlinale 1981 wurde der Film mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, im folgenden Jahr erhielt er den Oscar für den besten fremdsprachigen Film: „ein ausgesprochener Publikumsfilm, voller Humor und gespickt mit kritischen Anspielungen auf die falschen Träume der fünfziger Jahre, die auch in Moskau ehrgeizige Aufbaujahre waren.“ (Der Tagesspiegel, 17.1.1985). (jk, ve)
am 19.11. um 18.00 Uhr
am 26.11. um 20.00 Uhr
MOSKAU IM FILM
EINE PASSAGE DURCH DIE RUSSISCH-SOWJETISCHE FILMGESCHICHTE
Rusalka
Alisa, das Meermädchen
RUS 2007, R: Anna Melikian, D: Mascha Schalajewa, Jewgenij Zyganow, Maria Sokowa, Nastja Donzowa, 115’ 35 mm, OF mit dt. und frz. UT
Ein quirliges, kleines Mädchen lebt mit seiner Familie am Meer. Sein Leben verläuft recht gewöhnlich, bis es eines Tages entdeckt, dass es die Fähigkeit besitzt, Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen. Mit 18 Jahren verlässt die zauberhafte junge Frau ihre Heimatstadt am Meer und zieht nach Moskau, wo sie einem Mann begegnet, der Grundstücke auf dem Mond verkauft. Eine wunderbare Liebesgeschichte beginnt. Rusalka eröffnete 2008 die Panorama-Sektion der Berlinale. Dessen Katalogtext beschreibt Rusalka als „ein modernes Märchen, in dem sich alte Mythen und jugendliche Imagination zu einer surrealen Großstadtromanze verbinden. Und ebenso ‚traumhaft’ wie deren Handlung ist der visuelle Stil, in dem Anna Melikian von den Abenteuern ihrer ins Binnenland gespülten ‚Meerjungfrau’ erzählt“. Die talentierte Regisseurin Anna Melikian zählt zu den prominentesten Vertreterinnen des jungen russischen Kinos. (jk, ve)
am 19.11. in Anwesenheit von Anna Melikian
am 19.11. um 21.00 Uhr
am 27.11. um 18.30 Uhr
MOSKAU IM FILM
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Ja schagaju po Moskwe
Zwischenlandung in Moskau
UdSSR 1963,R: Georgij Danelija, D: Aleksej Loktjew, Nikita Michalkow, Galina Polskich, Jewgenij Steblow, 75’ 35 mm, OF (deutsch eingesprochen)
Wolodja, ein junger Bauarbeiter und angehender Schriftsteller aus Sibirien, verbringt auf der Durchreise einen Tag in Moskau. Es wird ein langer Tag, denn Wolodja hat ein wichtiges Treffen mit einem bekannten Schriftsteller, vor allem aber lernt er die beiden Moskauer Freunde Kolja und Sascha und das Mädchen Aljona kennen und zieht mit ihnen kreuz und quer durch die Stadt, von einer zufälligen Begegnung zur nächsten. Mit dieser wunderbar leichten, heiteren Stadtkomödie, die zu einem der wichtigsten Filme während Chruschtschows Tauwetterperiode wurde, schuf Regisseur Georgij Danelija nicht nur seinen ersten großen Film, sondern auch ein neues, typisch russisches Genre – die „lyrische Komödie“. Zwischenlandung in Moskau wurde von der Jury der Filmfestspiele in Cannes 1964 mit einer besonderen Erwähnung bedacht. Mehrmals ausgezeichnet wurde die Kameraarbeit von Wadim Jussow, dem ein ganz besonderer Blick auf die Stadt Moskau gelang und der vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Andrej Tarkowski bekannt ist. (jk, ve)
am 20.11. um 20.00 Uhr
MOSKAU IM FILM
EINE PASSAGE DURCH DIE RUSSISCH-SOWJETISCHE FILMGESCHICHTE
Moskwa
Moskau
RUS 2000, R: Aleksandr Seldowitsch, M: Leonid Desjatnikow, D: Ingeborga Dapkunajte, Tatjana Drubin, Natalja Koljakanowa, Aleksandr Balujew, Stanislaw Pawlow, 139’ DigiBeta, OF (deutsch eingesprochen)
Moskau in den 1990er Jahren – eine Stadt ohne Vergangenheit und Zukunft; eine Stadt, in der schnelles Geld, Vergnügen, Sex und Gewalt das Leben bestimmen und niemand mehr den Boden unter den Füßen zu spüren scheint. Die Moskauer Bohème, die neuen Russen, die alte Intelligenz, hartgesottene Kriminelle – alle ertrinken in der Oberflächlichkeit des neuen Lebens und in der Angst vor dem, was nun kommen wird. Im Mittelpunkt des Films stehen Irina und ihre beiden Töchter Olja und Mascha, die eine schicke Bar unterhalten. Umgeben sind sie von Männern, die mehr oder weniger in kriminelle Machenschaften verwickelt sind. Alles steuert auf ein tragisches Ende zu. Regisseur Aleksandr Seldowitsch hat in Moskau, dessen Drehbuch aus der Feder des umstrittenen postmodernen Schriftstellers Wladimir Sorokin stammt, Motive aus Tschechows Drei Schwestern zu einer avantgardistischen Mischung aus Thriller und Psychodrama über die Krise der Weltanschauungen verflochten. (jk, ve)
In Anwesenheit von Arsen Gottlieb
am 22.11. um 20.00 Uhr
MOSKAU IM FILM
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Mne dwazat let
Ich bin zwanzig Jahre alt
UdSSR 1962/64, R: Marlen Chuzijew, D: Valentin Popov, Nikolaj Gubenko, Stanislaw Ljubschin, Marianna Wertinskaja, Swetlana Swetlitschnaja, 189’ 35 mm, OF (deutsch eingesprochen)
Serjoscha, Nikolaj und Slava, jeweils zwanzig Jahre alt und Freunde seit der Kindheit, leben im Moskauer Bezirk Zastava Iljitscha, der dem Film seinen ersten Verleihtitel gegeben hat. Jeder der drei Freunde versucht zwar den Alltag auf seine Weise zu meistern, doch suchen alle nach dem Sinn des Lebens. Da Ich bin zwanzig Jahre alt zu viele offene Fragen aufwarf, fiel der Film bei Chruschtschow in Ungnade. Zwei Jahre nach der Fertigstellung kam er 1964 in einer stark zensierten und um einige Szenen ergänzten Fassung unter dem Titel Ich bin zwanzig Jahre alt zum zweiten Mal in die Kinos.
Ich bin zwanzig Jahre alt gilt als ein Meilenstein der sowjetischen Kinematographie. Mit einer wunderbaren Natürlichkeit fängt die Kamera die verlorengegangene Romantik der nächtlichen, menschenleeren Moskauer Straßen ein, was der Geschichte eine poetische Leichtigkeit verleiht. Aber nicht allein diese Leichtigkeit macht Ich bin zwanzig Jahre alt zu einem Meisterwerk und einem einzigartigen Zeitdokument: Vor und hinter der Kamera waren die wichtigsten Vertreter der jungen künstlerischen und intellektuellen Elite der Zeit beteiligt, darunter Andrej Tarkowski und Andrej Kontschalowski sowie die Dichter Ewgenij Evtuschenko, Andrej Woznesenski und Bella Achmadulina. (jk, ve)
am 23.11. um 19.30 Uhr
MOSKAU IM FILM
EINE PASSAGE DURCH DIE RUSSISCH-SOWJETISCHE FILMGESCHICHTE
Tretja Meschtschanskaja – Ljubow wtrojom
Dritte Kleinbürgerstraße – Liebe zu dritt
UdSSR 1927,R: Abram Room, D: Nikolaj Batalow, Ljudmila Semjonowa, Wladimir Vogel, 73’ 35 mm, OF mit dt. ZT
Moskau in den 1920er Jahren: eine Stadt im Aufbruch. Fortschritt und Technik haben Einzug gehalten, doch dahinter verbirgt sich eine extreme Wohnungsnot, die die Menschen zwingt, auf engstem Raum zusammenzuleben. So teilen sich der Bauarbeiter Nikolaj, seine Frau Ljudmila und Nikolajs Freund Wladimir, der als Drucker Arbeit in der Hauptstadt gefunden hat, ein Zimmer in der Dritten Kleinbürgerstraße. Aus der Enge entsteht bald eine Liaison zu Dritt, aus der keiner der Drei flüchten kann. Abram Rooms berühmtester Stummfilm besticht durch eine differenzierte Charakterzeichnung, durch soziologischen Scharfblick und ein Gespür für Details des Moskauer Alltags. „Rooms Film, durch den er in Erinnerung bleiben wird, war ein Meisterwerk der minutiös beobachteten, intimen Beziehungen. (…) Ein derart realistischer Ansatz hat keine Fortsetzung gefunden – weder im sowjetischen Film noch andernorts.“ (Jay Leyda, Kino, a History of the Russian and Soviet Film). Room und Drehbuchautor Wiktor Schklowskij, ein Freund Majakowskis und später ein berühmter Literaturwissenschaftler, mussten sich allerdings für ihre „Freizügigkeiten“ bei den Zeitgenossen heftige Kritik gefallen lassen. (jk, ve)
Klavierbegleitung: Eunice Martins
am 25.11. um 20.00 Uhr
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