DER AUFSTAND IM WARSCHAUER GHETTO
Am 19. April 1943 erheben sich die im Warschauer Ghetto gefangenen Juden, und es setzt ein verzweifelter Aufstand gegen die deutsche Besetzung ein, der mehrere Wochen andauern wird und dessen Niederschlagung mit der Sprengung der Großen Synagoge am 16. Mai ein brutales, erbarmungsloses Ende findet. Anlässlich des 70. Jahrestags des Aufstands präsentiert die Retrospektive des Festivals filmPOLSKA ein Programm, das an das polnisch-jüdische Leben vor, während und nach der deutschen Besetzung erinnert. Zu sehen sind unter anderem Dokumentarfilme, die sich mit der Überlieferung der raren historischen Aufnahmen des Warschauer Ghettos auseinandersetzen, und frühe Beispiele filmischen Gedenkens an den Aufstand im Warschauer Ghetto. Die Retrospektive ist zugleich Teil unserer Reihe DIE WELT IN WAFFEN, die sich der Vor- und Nachgeschichte des Kriegsendes in Europa widmet und von The Canine Condition kuratiert wird.
DER AUFSTAND IM WARSCHAUER GHETTO
Dzień w Warszawie A Day in Warsaw
PL 1938, R: Paul Goskind, Text: Asher Lerner, K: V. Kaszimierczak, 10' 35 mm, jiddisch-englische Fassung
Der finfter Jorezeit fun Oipsted in Warschawer Getto Piata Rocznica w Getice Warsawskim Der fünfte Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto
PL 1948, R: Saul Goskind, Nathan Gross, 30' 35 mm, jiddische Fassung
Requiem dla 500 tysięcy Requiem für 500.000
PL 1963, R: Jerzy Bossak, Wacław Kaźmierczak, 28' 35 mm, OF englisch eingesprochen
Pod Jednym Niebem Unter demselben Himmel
PL 1955, R: Kurt Weber, B: Bronisław Wiernik, Kommentar: Tadeusz Różewicz, 19' 35 mm, OmeU
Polnisch-jüdisches Leben vor dem Krieg und Gedenken an den Aufstand im Warschauer Ghetto. In den Jahren 1938 und 1939 produzierten Saul und Itzhak Goskind für die Warschauer Produktionsfirma Sektor Films sechs Filme über jüdische Gemeinschaften in Polen, von denen fünf Filme überliefert sind. Einer davon ist Dzień w Warszawie, der unter anderem das jüdische Viertel in Warschau porträtiert. Zu sehen sind das Jiddische Theater, der jüdische Gemeinderat, Krankenhäuser, Schulen und Synagogen. Der Film endet mit einer Alltagsbeobachtung im Kraschinsky-Park.
Es folgen Krieg, Ghetto und Vernichtung: Fünf Jahre nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto und drei Jahre nach der Befreiung Warschaus dokumentiert Der finfter Jorezeit... eine Gedenkfeier für den Aufstand. Requiem dla 500 tysięcy und Pod Jednym Niebem
sind zwei frühe Beispiele filmischen Gedenkens an den Aufstand im Warschauer Ghetto und zugleich wegweisende Filme der polnischen Dokumentarfilmgeschichte, wobei Jay Leyda in seinem Standardwerk über Kompilationsfilme Film Begets Film (1964) die Verwendung der Händelmusik in Requiem dla 500 tysięcy als sentimental aufstieß. (ft)
Mit freundlicher Unterstützung des Steven Spielberg Jewish Film Archive
Grußwort: Tomasz Dąbrowski (Direktor des Polnischen Instituts Berlin)
Einführung: Fabian Tietke
am 19.4.2013 um 19.00 Uhr
DER AUFSTAND IM WARSCHAUER GHETTO
Ulica Graniczna Grenzstraße
PL 1948, R: Aleksander Ford, K: Jaroslav Tuzar, D: Mieczysława Ćwiklińska, Jerzy Leszczyński, Władysław Walter, 126‘ 35 mm, OmeU
Ein Ausnahmefilm. Nachdem der in Kiew als Mosche Liwczyc geborene Filmregisseur Aleksander Ford mit der Roten Armee nach Polen zurückgekehrt war, realisierte er auf Anregung von Saul Goskind mit Ulica Graniczna den ersten fiktionalen Film über den Aufstand im Warschauer Ghetto. Ulica Graniczna spiegelt in der Geschichte einer Warschauer Straße, die an das Ghetto grenzt, die Auswirkungen der deutschen Besatzung auf die polnische Gesellschaft. Im Mittelpunkt stehen die Erlebnisse einiger Familien, insbesondere der Kinder, die trotz aller Not fest zusammenhalten. Die Entscheidung Aleksander Fords, die jüdische Bevölkerung ins Zentrum seines Films zu stellen und die nicht-jüdische polnische Bevölkerung in all ihren Facetten von Solidarität bis zur hin Kollaboration zu zeigen, fand wenig Begeisterung bei der zeitgenössischen Politik, die Ford „antipolnische Tendenzen“ vorwarf. Ausländische Kritiker wiesen auf Fords besondere Ansprüche an das Publikum hin. „Einer jener Filme, die, weil sie von der Nazivergangenheit handeln und sie so, wie sie sich dem Auge eines unterdrückten und gequälten Volkes darbot, schonungslos offen und anklagend wiedergeben, ernstliche Ansprüche an den Betrachter stellen: an seine Einsicht, an seine Aufrichtigkeit sich selber gegenüber, an seine Aufnahmebereitschaft, sein Mitfühlenwollen, an seine politische Reife schließlich.“ (Hans Ulrich Eylau, Tägliche Rundschau, 18.8.1949). (ft)
am 19.5.2013 um 21.00 Uhr
DER AUFSTAND IM WARSCHAUER GHETTO
Im Warschauer Ghetto
D 1942, 9' 16 mm
Shtikat Haarchion Geheimsache Ghettofilm
D/IL 2010, R/B: Yael Hersonski, K: Itai Ne'eman, S: Joel Alexis, 89' DigiBeta, OmeU
Filmaufnahmen, die ein Nazi-Propagandateam 1942 im Warschauer Ghetto drehte, prägen bis heute unsere Vorstellungen vom Leben der Juden im Ghetto. Als vermeintlich objektive Darstellungen tauchen sie in unzähligen Dokumentationen über das Warschauer Ghetto auf. In ihrem Film Geheimsache Ghettofilm konfrontiert die Filmemacherin Yael Hersonski Überlebende, die sich an die Dreharbeiten des Propagandafilms erinnern, mit diesen vermeintlich authentischen Aufnahmen. Hersonski recherchiert Aufzeichnung in Tagebüchern und entdeckt das Verhörprotokoll des Kameramanns der Aufnahmen. Sichtbar wird die durchgängig gewaltsame, propagandistische Zurichtung der Bilder. „Mehr noch als mündliche oder schriftliche Zeugnisse eignen sich Bilder für Interpretationen und Manipulationen. Mit dem Archivmaterial zum Holocaust setzte die erste systematische Film-Dokumentation von Kriegsverbrechen ein. Nachdem die Welt einen Teil der Verbrechen mit eigenen Augen hatte sehen können, waren die Bilder nicht länger, was sie zuvor waren. Etwas hat sich verändert, ein typisch menschlicher Schutzreflex wurde entfernt, und der Schleier aus Taubheit, der über dem Unfassbaren lag und den reinen Horror verbarg, wurde gelüftet.“ (Yael Hersonski). (ft)
am 20.4.2013 um 19.00 Uhr
DER AUFSTAND IM WARSCHAUER GHETTO
Wielki tydzień Die Karwoche
PL/D/F 1995, R/B: Andrzej Wajda nach der gleichnamigen Erzählung von Jerzy Andrzejewski, D: Beata Fudalej, Wojciech Malajkat, Wojciech Pszoniak, Magdalena Warzecha, Cezary Pazura, 93‘ 35 mm, OmeU
Nachdem Andrzej Wajda vor allem von französischen Intellektuellen der Vorwurf gemacht wurde, er habe in Korczak den polnischen Antisemitismus ausgeblendet, wendet er sich in Die Karwoche explizit diesem Thema zu. Ins Zentrum der im Jahr 1943 spielenden Geschichte stellt er die Jüdin Irena, die aus dem Ghetto flieht und von Jan, einem früheren Freund, in einem Mietshaus in der Warschauer Vorstadt versteckt wird. Die Bewohner dieses Hauses und ihre Beziehungen zu der jungen Frau stehen für Wajda prototypisch für die Verhaltensweisen der Polen unter der deutschen Okkupation. – Das filmische Gruppenbild, das viele Facetten menschlichen Handelns zwischen Nächstenliebe und Hass, Mut, Feigheit und Gier spiegelt, entstand nach einer Erzählung von Jerzy Andrzejewski, der auch die Vorlage zu Asche und Diamant ieferte. (rs)
am 20.4.2013 um 21.00 Uhr
DER AUFSTAND IM WARSCHAUER GHETTO
Kronika powstania w Getcie Warszawskim wg Marka Edelmana
Chronik des Aufstandes im Warschauer Ghetto
Chronicle of the Warsaw Ghetto Uprising According to Marek Edelman
PL 1993, R/B/K: Jolanta Dylewska, S: Wanda Seeman, 74' Beta SP, OmeU
Auch Jolanta Dylewskas Chronik des Aufstandes im Warschauer Ghetto arbeitet mit den nationalsozialistischen Propagandaaufnahmen aus dem Warschauer Ghetto. Dylewska verschränkt ihren forschenden Zugang zu den visuellen Quellen mit der präzisen, lebendigen Erzählung Marek Edelmans. Edelman hatte sich bereits als Jugendlicher der wichtigsten Organisation sozialistischer Juden in Osteuropa, dem Allgemejne Jidischer Arbeter-Bund in Russland, Lite un Poiln (kurz: Bund) angeschlossen, ehe er im November 1942 dem Bund der Jüdischen Kampforganisation (Żydowska Organizacja Bojowa) beitrat. Als der letzte Überlebende des Führungsstabs, der den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto organisierte, legt Edelmann in Dylewskas Film ein bewegendes Zeugnis ab. (ft)
am 21.4.2013 um 19.00 Uhr
DER AUFSTAND IM WARSCHAUER GHETTO
Pamiętam I remember
USA, PL 2001, R: Andrzej Wajda, K: Jacek Knopp, Andrzej Adamczak, 58' DigiBeta, OmeU
Beauftragt von der Shoah Foundation widmet sich Andrzej Wajda in seinem Dokumentarfilm Pamiętam dem Verhältnis von Polen und Deutschen, Juden und Christen. Wajda greift auf Aufnahmen der Interviewsammlung der Shoah Foundation zurück, stellt die persönlichen Erinnerungen von vier Überlebenden vor und kombiniert diese mit neu gedrehtem Material etwa vom „Marsch der Lebenden“ („March of the Living.“). Historisches Filmmaterial und ein Kommentar kommen nicht zum Einsatz. „Der Film befasst sich mit den dramatischen Beziehungen zwischen Juden und Polen im nazistisch besetzten Polen. Wenn ich nur eine geringe Anzahl von Berichten verwende, so dient das dazu, sich auf die Geschichte dieser Menschen zu konzentrieren, deren Erlebnisse die historischen Tatsachen, die damalige Atmosphäre und den Geist dessen, was geschehen ist, wiedergeben.“ (Andrzej Wajda). Pamiętam, der Bestandteil der fünfteiligen Broken Silence-Reihe der Shoah Foundation ist, verdeutlicht beispielhaft die aktuelle pädagogische Vermittlungsarbeit. (ft)
am 21.4.2013 um 20.30 Uhr
DER AUFSTAND IM WARSCHAUER GHETTO
Mir lebn geblibene We Are Still Alive
PL 1947, R: Natan Gross, P: Kinor-Film-Kooperative, 70' Beta SP
Ein Kompilationsfilm, der mit Schwung und Optimismus das jüdisch-polnische Leben der Nachkriegszeit aus wochenschauähnlichen Materialien der Filmkooperative Kinor kompiliert, die der kurz zuvor aus der Sowjetunion zurückgekehrte Produzent Saul Goskind mit Władysław und Adolph Forbert 1945 gegründet hatte. Die Produktionskooperative stellte Natan Gross als Regisseur an, der für Kinor eine Reihe von Wochenschauen realisierte. Goskind entwickelte die Idee zu einem abendfüllenden Film über das jüdische Leben in Polen nach dem Krieg. Ästhetisches Kernstück von Mir lebn geblibene ist eine Montagesequenz mit Aufnahmen von Drehbänken und Maschinen als Eloge auf die Arbeit im Stile der Avantgarde der 1920er Jahre. Der Film besteht aus zehn Teilen, die jeweils ein anderes Thema behandeln: die Erinnerung an die Shoah; die Überlebenden der Konzentrationslager; zionistische Jugend, die ihre Auswanderung nach Palästina plant; Gedenkfeiern zur Erinnerung an die Shoah; das Leben und die jüdische Kultur nach dem Krieg. (ft)
Einführung: Stewart Tryster
am 22.4.2013 um 20.00 Uhr
DER AUFSTAND IM WARSCHAUER GHETTO
Sie sind frei, Dr. Korczak
BRD/IL 1975, R: Aleksander Ford, K: Jerzy Lipman, D: Leo Genn, Orna Porat, Efrat Levi, 99' 35 mm, DF
Seit den gedenkpolitischen Wenden der 1980er Jahre fand die Figur Janusz Korczaks als Kinderarzt und Alternativpädagoge regelmäßig den Weg auf die Leinwand. Mitte der 1970er Jahre war hingegen die Geschichte dieses couragierten Mannes, der nicht nur im Warschauer Ghetto ein Waisenhaus betrieb, sondern sich, als den Kindern die Deportation drohte, weigerte, diese allein zu lassen, wenig präsent. Der Berliner Produzent Artur Brauner, der sich neben populären Stoffen immer wieder auch der Aufklärung über den Holocaust widmete, betraute 1975 Aleksander Ford, der seit Ende der 1968er Jahre in Israel lebte, nachdem er im Zuge einer antisemitischen Kampagne seine Hochschulstellung in Polen verloren hatte, mit dem Film Sie sind frei, Dr. Korczak. Die zeitgenössische Kritik war gespalten, lobte aber vor allem die Leistung von Leo Genn in dessen letztem Film: „Sie sind frei, Doktor Korczak[…] ist ein ehrenwerter, aber auch ein ehrenwert altmodischer Film. Der pingelige Naturalismus der Inszenierung, ungemein sorgfältig photographiert und ausgeleuchtet, schafft eine gelegentlich arg sterile Kulissen-Atmosphäre, die angesichts der furchtbaren Realität unangemessen bieder wirkt. Dagegen ist Leo Genn als Korczak bewegend in seiner nüchternen Menschlichkeit.“ (Die Zeit, 18.4.1975). (ft)
am 23.4.2013 um 20.00 Uhr
DER AUFSTAND IM WARSCHAUER GHETTO
The Pianist Der Pianist
GB/PL/D/F 2002, R: Roman Polański, B: Ronald Harwood nach der Autobiographie von Władysław Szpilman, K: Paweł Edelman, D: Adrien Brody, Thomas Kretschmann, Emilia Fox, 148' 35 mm, OF
Eigentlich unglaublich, dass Władysław Szpilmans 1946 geschriebene Autobiographie nicht schon früher verfilmt wurde: Szpilman ist ein erfolgreicher Pianist, ehe er mit seiner Familie von den Deutschen ins Ghetto gezwungen wird, diesem entflieht, den Abtransport vieler Einwohner des Ghettos (unter anderem den Abtransport von Janusz Korczak und der Kinder) beobachtet, durch Warschau irrt und ausgerechnet von einem deutschen Offizier gerettet wird. Roman Polański verfilmte die Autobiographie zwischen seinem eher kruden The Ninth Gate und der gediegenen Oliver Twist-Adaption und drehte einen seiner besten Filme, für den dieser 2002 die Goldene Palme in Cannes und am 23. März 2003 drei Oscars für Regie, Drehbuch und Hauptdarsteller Adrien Brody erhielt. „Man beginnt die Wahrnehmung von Polanskis Film mit dem Empfinden einer sehr klassischen Bilderwelt, aber mit dem Fortschreiten der Erzählung verändert sich unser Blick. Die Ikonografie des Grauens wird wie ein Vorhang vor der Geschichte weggezogen.“ (Georg Seeßlen). (ft)
am 24.4.2013 um 19.30 Uhr
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