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  DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE EINE KLEINE WERKSCHAU ZU GERHARD LAMPRECHT

 

DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE EINE KLEINE WERKSCHAU ZU GERHARD LAMPRECHT

 

Im August 1951 veröffentlichte der Berliner Kurier eine kleine Geschichte von Gerhard Lamprecht mit dem Titel Das Schiffchen. Darin erzählt der Filmregisseur und Gründer der Deutschen Kinemathek (1897-1974) davon, wie er an einem verträumten Nachmittag in einem Fluss ein Papierschiffchen auf den Wellen schaukeln sah und es mit Mühe herausfischte. Es erschien ihm wie ein Gruß seines kleinen Freundes, der zuvor eine Zeit lang mit ihm auf den Fluss geschaut hatte. Nun erfand er eine Geschichte zu diesem Schiffchen, sorgfältig gefaltet, so erdachte er sich’s, aus dem frischen Liebesbrief eines einstigen Geliebten der Mutter des Jungen. Am Ende seiner kleinen Fantasie klappt der Erzähler Lamprecht das nasse Papier auseinander und liest mit Mühe einen Reklametext: „Ich warf das Blatt Papier ins Wasser, wo es langsam versank.“ Als eine Enttäuschung, eine falsche Erinnerung und auch als ein falsches Versprechen. Ein etwas kitschiger Text, der aber einen Hinweis gibt auf die Intentionen von Gerhard Lamprecht.
Er war ein Dokumentarist des alltäglichen Lebens, das ihm unzählige Sensationen bot, wollte das Archiv einer Welt anlegen, die er verschwinden sah. Und so versammelte er, ob inszeniert oder einfach vor die Kamera gekommen, seine eigene Gegenwart und ihre Werte und Gefühle. War er ein politisch denkender Mensch? Wohl interessierte er sich für die Lebensumstände der einfachen Leute und der Armen, doch politisch war er eher konservativ. Steckte in ihm ein politischer Mitläufer des Nationalsozialismus? Konnte er sich politischen Vorgaben entziehen? Oder blieb er auch in der NS-Diktatur ein Dokumentarist des Alltags? Solchen Fragen spürt diese Werkschau nach, die kaum bekannte Dokumentarfilme Lamprechts aus den 1920er Jahren mit Filmen aus der Zeit von 1933 bis 1945 zusammenbringt und beispielhaft auch Nachkriegsproduktionen hinzuzieht. „Das Schiffchen“ – es könnte eine Metapher sein für Lamprechts filmisches Œuvre, das auf den bewegten Wellen unruhiger Zeit schaukelt. Heutige Zuschauer seiner Filme müssen es mit Geduld entfalten, wobei manchmal weniger ihr manifester Inhalt als die immensen Assoziationsmöglichkeiten zu faszinieren vermögen. (Rolf Aurich / Wolfgang Jacobsen)
Eine Filmreihe in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen

 

DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE

Mädchen im Vorzimmer
D 1940, R: Gerhard Lamprecht, B: Walther von Hollander, unter Verwendung eines Motivs von Edmund Sabott, D: Magda Schneider, Heinz Engelmann, Erich Fiedler, Rudolf Platte, 85' 35 mm

Um einen Betriebsfrieden ganz besonderer Art geht es in Mädchen im Vorzimmer, der am 31. Mai 1940, zwei Wochen vor dem Einmarsch deutscher Truppen in Paris, Premiere hatte. Handlungsort ist ein Zeitungsverlag in Berlin, Hauptperson die Sekretärin Beate Wilmerding, von Magda Schneider auf unnachahmliche Weise und mit hochgeschlossenem Sex Appeal durch den Film geboxt. Der Verlag braucht frisches Geld, doch um welchen Preis! Die ideologische Botschaft lautet, dass nicht der Einzelne das Maß der Dinge sei, sondern der Verlag. Denn der Verlag ist Heimat. Und in der Heimat sollen alle in Frieden leben können. Beate Wilmerding agiert als Friedensstifterin, während zwei Männer um sie streiten und Krieg miteinander führen. Den Sieg erringt der von Heinz Engelmann geradlinig gespielte Ingenieur, der für ein nationales Aufbauwerk, die Autobahn, schuftet. Die Geschichte ist fest situiert im nationalsozialistischen Alltag der 1940er Jahre. Dieser Alltag, akkurat mit allen nur denkbaren Symbolen der NS-Kultur ins Bild gesetzt, bietet die Folie für einen zuweilen auch melodramatisch aufgeladenen Appell, in Zeiten der äußeren Konflikte, des Krieges, die inneren Differenzen auszugleichen. (ra, wjc)
Einführung am 2.4.: Rolf Aurich

am 2.4.2013 um 20.00 Uhr
am 14.4.2013 um 20.30 Uhr


DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE


Misdroy
D 1928, R: Gerhard Lamprecht, 16' 16 mm

Frau im Strom
D 1939, R: Gerhard Lamprecht, B: Gerhard Menzel, D: Hertha Feiler, Attila Hörbiger, Oskar Sima, Fritz Rasp, 94' 35 mm

Misdroy ist ein filmisches Stück privater Ferienpoesie. Neugierige Lamprechtsche Beobachtungen im Badeort Misdroy, an der Pommerschen Bucht auf der Insel Wollin gelegen, akzentuiert durch inszenierte Eingriffe in das dokumentierte Sommer- und Wasservergnügen.
Frau im Strom wurde in Wien gedreht und ist innerhalb des Œuvres von Lamprecht, bezogen auf jene Filme, die in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur entstanden, ein Einzelstück, nicht nur weil er außerhalb von Lamprechts eigentlichem Terrain, Berlin, realisiert wurde. Während der Dreharbeiten überfielen deutsche Truppen Polen. Dass Krieg ausgebrochen ist, findet keinen Widerhall im Film. Auf geradezu beiläufige Weise wird eine Liebesgeschichte aus dem Jahr 1939 erzählt, die auch eine Sozialreportage ist. Wiener Milieu. Im Mittelpunkt stehen drei Freunde, die am rechten Donauufer, auf einem schäbigen Industriegelände, eine Autoreparaturwerkstatt betreiben. Attila Hörbiger, Oskar Sima und Fritz Rasp spielen diese drei Männer mit Witz, Granteln und einer zuweilen überraschenden Hellhörigkeit für das, was – noch unsichtbar – ihren Alltag verändert. Eine Frau, Hertha Feiler, bringt Unruhe, die sich zu einem Kriminalstück auswächst, weil sie geliebt wird, aber sich nicht lieben lassen will. Eine kleine Gesellschaft in einer großen, beide Gesellschaften werden sich einer Bewährungsprobe stellen müssen. „Das Leben ist schön“, so eine Zeile im Schlusslied. Doch diese Harmonie, die Lamprecht zulässt und mit naiver Geste ins Bild setzt, ist trügerisch. Ja, das Leben ist schön, doch geht es auch weiter, nun, wo Krieg ist? (ra, wjc)

am 3.4.2013 um 20.00 Uhr

DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE

Am Fuße des Aetna
D 1927, R: Gerhard Lamprecht, 14' 35 mm

Clarissa
D 1941, R: Gerhard Lamprecht, B: Ela Elborg, Georg C. Klaren, nach einer Idee von Georg Rothkegel, D: Sybille Schmitz, Gustav Fröhlich, Gustav Diessl, 88' 35 mm

„In seltsamer Laune hat der alles vernichtende Strom einzelne Häuser verschont“, sagt ein von Lamprecht selbst geschriebener Zwischentitel – und der Dokumentarist schwenkt Am Fuße des Aetna mit der Kamera über die Lavafelder des letzten Vulkanausbruchs von 1923. In Italien regieren die Faschisten. Der Gast aus Deutschland richtet den Blick auf eine der Großstadt vollständig abgewandte Welt. Auf die Kinder in diesem verkrusteten Landstrich Siziliens schaut er mit besonderer Aufmerksamkeit. Was haben sie gemeinsam mit den Berliner Hinterhofgören?
Unter dem Decknamen Ela Elborg zeichnete die jüdische Autorin Hilde Finkelnburg, Stieftochter des Schauspielers Rudolf Klein-Rogge, für das Drehbuch von Clarissa mit. Ob Lamprecht von ihrer Identität wusste, ist nicht bekannt. Das stille Potsdam und das wilde Berlin sind die Antipoden in diesem Film, dessen Protagonisten für noch verschiedene Lebensentwürfe stehen, die im Verlauf der Geschichte ideologisch gleichgeschaltet werden. Da ist die adlige, einer alten und als veraltet dargestellten Gesellschaft verpflichtete Clarissa von Reckwitz, von Sybille Schmitz verkörpert, kühl und bis in die Fingerspitzen distanziert; und da ist Lutz Bornhoff, wie sie in der gleichen Bank beschäftigt, aber ein so ganz anderer Typ, ein Mann seiner Zeit, ein „Kamerad“ – und dieser Begriff ist politisch aufgeladen. Gustav Fröhlich spielt ihn, zupackend und von sich überzeugt. Wie können Menschen so unterschiedlichen Wesens so ganz anders gesellschaftlich geprägt zueinander kommen? Die zentrale Szene des Films ist ein „Kameradschaftsabend“, der üppig mit Hakenkreuzfahnen drapiert ist. Angestrebt ist eine Gleichschaltung von „preußisch“, was für individuell steht, und nationalsozialistisch, Synonym für die neue Gemeinschaft. Doch der Film changiert – auch im Personal der Chargen. (ra, wjc)

am 5.4.2013 um 21.00 Uhr
am 10.4.2013 um 20.00 Uhr


DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE

Taormina auf Sizilien
D 1927, R: Gerhard Lamprecht, 10' 16 mm

Du gehörst zu mir
D 1943, R: Gerhard Lamprecht, B: Walther von Hollander, Richard Riedel, nach Motiven des Bühnenstücks Kaland (Das letzte Abenteuer) von Sándor Márai, D: Willy Birgel, Lotte Koch, Viktor Staal, 90' 35 mm

Lamprecht weilt unter südlicher Sonne und präsentiert gleichmütig seine Urlaubseindrücke „aus dem Lande der Citronen“. Gleichsam wie Goethe schaut er auf Taormina, zeigt das Amphitheater, den Ätna, das Meerufer bis nach Catania und Syrakus.
Du gehörst zu mir beginnt mit einer Rückblende. Professor Burckhardt, Chefarzt einer städtischen Klinik, wird verabschiedet. Willy Birgel stellt ihn von Beginn an als einen Heroen dar. In dieser Rückblende wird sogleich die zentrale Frage des Films gestellt – von Burckhardts Assistenten Groone, den Viktor Staal verkörpert: Lohnt es, eine Operation zu wagen, wenn für den Patienten durch den Eingriff nur wenige Lebensjahre gewonnen werden können? Burckhardt bejaht diese Frage, doch ist die Antwort nicht endgültig. Als Variation wird sie hier immer wieder gestellt. Denn im Subtext des Films, der sich äußerlich als ein Melodram gibt und Burckhardts menschliches Versagen seiner Frau gegenüber thematisiert sowie Groones Verlangen nach dieser, geht es um „wertes“ und „unwertes“ Leben. Und in diesem Kontext wird für einen „Systemwechsel“ geworben. Diese in der Dramaturgie geschickt verdeckte politische und zutiefst nationalsozialistische Forderung rückt den Film retrospektiv in die Nähe von Wolfgang Liebeneiners Ich klage an (1941), der propagandistisch die Euthanasie bewarb. Lamprechts Filme, die zwischen 1933 und 1945 entstanden, sind keineswegs frei von NS-Formulierungen und -Vorstellungen, sondern sie sind zeitverhaftet und zuweilen, mehr oder weniger deutlich, auch zeitverpflichtet. Das fordert ein genaues Hinsehen heraus! (ra, wjc)

am 6.4.2013 um 19.00 Uhr

DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE

Erstarrte Märchenwelt
D 1928, R: Gerhard Lamprecht, 7' 35 mm

Einer zuviel an Bord
D 1935, R: Gerhard Lamprecht, B: Fred Andreas, Philipp Lothar Mayring, Kurt Heuser, nach dem Roman von Fred Andreas, D: Lida Baarova, Albrecht Schoenhals, Willy Birgel, René Deltgen, 84' 35 mm

Eine Winterreise in den Harz – die zeigt Lamprecht in seinem Film Erstarrte Märchenwelt. Tiefverschneite Landschaft, Bäume und Felsen zu eisigen Fabelwesen erstarrt.
War es Mord? Oder ein Unfall? Der Kapitän eines Frachters ist auf hoher See verschwunden. Er könnte über Bord gestürzt sein, doch stellt sich bei der Untersuchung heraus, dass es in der Mannschaft mindestens zwei Männer gab, die den Kapitän hassten. Ermittlungen und auch ein Prozess klären den Fall nur scheinbar, der eine unvermutete Entwicklung nimmt. Schon in den 1920er Jahren hatte Lamprecht sich am kriminalistischen Sujet versucht. Nicht Rasanz ist das Kennzeichen dieser Filme, und auch hier nicht, sondern ein beharrliches und akkurates Recherchieren. Action bleibt die Ausnahme, schauspielerische Kabinettstücke dagegen sind manche zu sehen. Eines liefert Rudolf Platte ab, der einen drittklassigen Schauspieler unter Mordverdacht gibt. Aber wie Platte einen schlechten Schauspieler auf die Bretter bringt, auf denen er hier stehen darf, und nicht auf die Planken des Schiffes, das ist fulminant – und auch ein erstaunlicher Verweis auf den zurückliegenden Film der Weimarer Republik. Platte spielt in Einer zuviel an Bord, als käme er geradewegs aus dem Blauen Engel. (ra, wjc)

am 6.4.2013 um 21.00 Uhr

DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE

Madonna in Ketten
BRD 1949, R: Gerhard Lamprecht, B: Theo Rausch, nach einer Idee von H.C. Pelmann, D: Lotte Koch, Elisabeth Flickenschildt, Richard Häußler, 88' 35 mm

Mütter und Kinder, deren Schicksal lag Lamprecht am Herzen. Häufig variiert er in seinen Filmen dieses Motiv. Er erzählt von Verlustängsten, von Müttern, denen ihre Kinder genommen werden. Weil das Gesetz es so will. Weil ihnen durch andere, Männer zumal, Unrecht geschieht. Und er erzählt – mit dokumentarisch geschultem Blick – von der Brutalität, die Kindern angetan wird. In den Familien, auf der Straße, überall. Im Mittelpunkt von Madonna in Ketten steht eine von Lotte Koch verkörperte Ärztin, die, falsch beschuldigt, ins Gefängnis gesperrt wird und deren Kind in ein Waisenhaus kommt. Nach ihrer Entlassung macht sie sich auf die Suche nach der Tochter. Was Lamprecht hier in Szene setzt, das könnte man einen seelischen Trümmerfilm nennen. Nicht die politische Vergangenheit wird problematisiert, sondern eine moralische Grundhaltung. Was ist Menschlichkeit? Das ist Lamprechts Frage. Man mag seine Inszenierung als melodramatisch verbogen ansehen, als naiv und pathetisch aufgeladen, doch gelingen ihm auch Bilder, die deutlich machen, dass er ein Regisseur des genauen Blicks ist, der immer wieder aus eigenem Erleben erzählt, von dem, was er gesehen hat. So sind es Szenen, die in der Frauenhaftanstalt Anrath im Ruhrgebiet gedreht worden sind, Aufnahmen von Insassinnen des Gefängnisses, denen er einen individuellen Ausdruck ihrer Schuld, ihres Leids und ihrer Buße zugesteht. (ra, wjc)

am 7.4.2013 um 20.30 Uhr
am 14.4.2013 um 18.30 Uhr



DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE

Das Haus ohne Lachen
D 1923, R: Gerhard Lamprecht, B: Luise Heilborn-Körbitz, Gerhard Lamprecht, D: Henrik Galeen, Mathilde Sussin, Harry Nestor, Edith Posca, 68‘ 35 mm, restaurierte Fassung

Die nackte Lust am Leid anderer, die treibt einen Familientyrannen an. Henrik Galeen führt diese Figur in eine bedrohliche Entäußerung. Das Haus ohne Lachen ist eine psychopathologische Studie. Das Wort Sex kennen die zeitgenössischen Zwischentitel noch nicht, doch Sex ist das Triebwerk dieses Mannes, der durch die Hand seiner Frau stirbt. Eine andere gerät in Verdacht und nimmt die Schuld auf sich – aus Mitleid und Mitleiden mit der geschundenen Geschlechtsgenossin. Als Regisseur hat Lamprecht schon jetzt ein Gespür für die kleinen Dinge des alltäglichen Lebens, in denen er eine Ordnung erspürt, die ihm verloren zu gehen scheint. Er zeigt, wie eine Apfelsine geschält wird, eine Serviette gefaltet oder ein Fenster verglast wird. Er lässt dies in Realzeit aufnehmen, so dass diese Szenen aus der Erzähldramaturgie herausfallen, doch enthalten sie den Kern seines erzählerischen und filmischen Interesses. Im Anschluss an den Film, der in einer vom Bundesarchiv-Filmarchiv restaurierten Fassung hier erstmals gezeigt wird, gibt Barbara Schütz Auskunft über diese Arbeit wie über die Sicherung der Filme von Gerhard Lamprecht überhaupt. (ra, wjc)
Am Flügel: Peter Gotthardt
Einführung: Barbara Schütz


am 9.4.2013 um 20.00 Uhr



DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE

Buch + Film: Edition Gerhard Lamprecht

Ohne Gerhard Lamprecht wäre die Deutsche Kinemathek nicht denkbar. Der Berliner Regisseur, 1897 geboren und 1974 gestorben, war an knapp 70 Filmen als Schauspieler, Autor und Regisseur beteiligt und trug bereits als Zehnjähriger Filme, Geräte und Dokumente, die zum Film gehören, zusammen. Aus seiner über Jahrzehnte gewachsenen Privatsammlung entstand 1963 die Deutsche Kinemathek, eine öffentliche Institution, deren Gründungsdirektor Lamprecht wurde.
50 Jahre später würdigt die Deutsche Kinemathek das Gesamtwerk ihres Gründers mit einer dreibändigen Edition Gerhard Lamprecht. Sie beschreibt das filmische Werk Lamprechts, führt ein in die Geschichte des Filmsammelns in Deutschland und spürt der Entstehung einer filmhistorischen Methode nach – dem auf Tonband fixierten Zeitzeugeninterview, dessen Ziel die subjektiv angeordnete Versammlung von möglichst vielen geschichtlichen Fakten ist. Im Rahmen der Buchvorstellung werden Auszüge aus Lamprechts privat entstandenem und bislang unveröffentlichtem Biografischen Querschnitt von 1943 gezeigt.
Gespräch mit den Autoren Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen und Eva Orbanz
Eintritt frei


am 11.4.2013 um 20.00 Uhr



DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE

Meines Vaters Pferde. Teil 1: Lena und Nicoline BRD 1954, R: Gerhard Lamprecht, B: Horst Budjuhn, nach dem Roman von Clemens Laar, D: Martin Benrath, Curd Jürgens, Eva Bartok, Ernst Stankovski, 111’ 35 mm

Eine groß angelegte filmische Geschichtserzählung über Deutschland und ein Heimkehrerfilm. Einem Mutlosen und Maladen wird zu Beginn der 1950er Jahre die Geschichte seines Vaters erzählt, die dieser aufgeschrieben hat, um zu fixieren, was er seit dem späten 19. Jahrhundert erlebt hat. Am Krankenbett sitzt eine Frau – eine psychologische Maßnahme, um den jungen Mann zu kräftigen, ihm Mut für eine Operation zu machen. Deutschland hat zu dieser Zeit zwei Weltkriegskatastrophen hinter sich – und der zeitliche Abstand zwischen beiden war so gering, daß der historische Hintergrund hier mit demselben Personal erzählt werden kann. Den Garde-Ulanen Michael Godeysen, von Martin Benrath beeindruckend gespielt, haben zwei Dinge sein Leben lang begleitet: das Militär und die Pferde. Die Tiere sind unverzichtbarer Teil der Kriegsführung vor der Moderne, sind Kriegsmaterial, bevor die Tanks die Schlachtfelder dominieren. Das Militär, die Monarchie und der Kapitalismus sind die Verbindung, an der der Film Interesse zeigt. Wenn er von Mentalitäten, von sozialem Gefüge, von Schichten und Klassen redet, so redet er – immer konkret – von den Grundlagen und Voraussetzungen für die Kriege. Der damals junge Schauspieler Ernst Stankovski empfand eine „angenehm patriarchalische Stimmung“ bei den Dreharbeiten mit Lamprecht und verglich dessen Inszenierungsmethode mit dem lockeren Lenken von Pferden: „an der langen Leine“. (ra, wjc)

am 13.4.2013 um 18.30 Uhr



DAS SCHIFFCHEN. REALISMUS UND FANTASIE

Meines Vaters Pferde. Teil 2: Seine dritte Frau BRD 1954, R: Gerhard Lamprecht, B: Horst Budjuhn, nach dem Roman von Clemens Laar, D: Josef Sieber, Reinhold Schünzel, Dagmar Altrichter, Otto Gebühr, 109’ 35 mm

Michael Godeysens Heimkehr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erinnert in seiner Intensität und Tiefe an eine ähnliche Szene in Nicholas Rays Film The Lusty Men (1952), der während Lamprechts Dreharbeiten in die deutschen Kinos kam: Das tote Inventar ist geblieben, trägt die Erinnerungen, doch die Menschen sind gestorben, verstümmelt oder abwesend. Meines Vaters Pferde leistet eine Analyse des Übergangs zwischen Gesellschaftssystemen und Epochen, der Film untersucht den Preis, den die Menschen dann zu zahlen haben – dies auch für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der es auf zweierlei ankommt, das hier untrennbar miteinander verbunden ist: Mut machen und aus der Geschichte lernen. Gerhard Lamprecht meinte 1962, dass ihm der zweite Teil sehr ans Herz gewachsen sei, „da er im Gegensatz zum vielleicht bloß unterhaltenden ersten Teil menschlich sehr vertieft ist. Ganz herrlich Schünzel in seiner letzten Filmrolle. Wir hatten wundervoll zusammengearbeitet.“ Hier irrt der Filmhistoriker Lamprecht leicht – der im Herbst 1954 verstorbene Reinhold Schünzel war zu dieser Zeit noch in weiteren Filmen engagiert. (ra, wjc)
am 13.4.2013 um 20.30 Uhr



 

 
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