Zeughauskino

 

Kino im Zeughaus | Programm | Programmarchiv


April | Mai
Berlin.Dokument | Das Schiffchen | FILM POSKA | Lebende Bilder | Umbrüche
S wie Sonderprogramm | Unter Vorbehalt | Wagner-Kino | Wiederentdeckt

 


  UMBRÜCHE: FILM ALS ZEITGENÖSSISCHER AKTEUR

 

UMBRÜCHE: FILM ALS ZEITGENÖSSISCHER AKTEUR

 

Wie bilden sich gesellschaftliche Umbrüche im Kino ab? Wie wird kollektiv Erlebtes zu Film? Wann greifen Filme in Geschichtsverläufe ein? Anhand markanter Beispiele untersucht die Reihe UMBRÜCHE: FILM ALS ZEITGENÖSSISCHER AKTEUR die Wechselwirkungen zwischen Film und Zeitgeschichte. Meist kann die Filmarbeit auf einschneidende Ereignisse erst nachträglich reagieren, mischt sich aber oft umso nachhaltiger in ihre Geschichtswerdung ein. Indem Filme reinszenieren, Rollen zuschreiben, Gegenschnitte einführen und Höhepunkte setzen, machen sie aus disparaten Geschichtsverläufen Erzählungen und liefern uns die Bilder, die im kollektiven Gedächtnis hängen bleiben. Als fortlaufende Reihe, die in den kommenden Monaten fortgesetzt werden wird, hat UMBRÜCHE nicht den Anspruch einer Gesamtschau, sondern lädt ein zur Revision einschneidender Momente, in denen Film- und Zeitgeschichte sich überlagert haben. UMBRÜCHE nimmt bekannte Daten aus weniger bekannten Perspektiven in den Blick und konfrontiert die eurozentrische Geschichtsschreibung mit Gegenerzählungen. Die Programme im April und Mai umfassen Filme von Ruy Guerra, Thomas Harlan, José Filipe Costa und Abderrahmane Sissako. Sie setzen filmgeschichtlich in Afrika an und folgen von dort Spiegelungen und Spätfolgen nach Portugal und Russland. UMBRÜCHE: FILM ALS ZEITGENÖSSISCHER AKTEUR wird von Tobias Hering kuratiert. Die Reihe entsteht in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut e.V.

 

UMBRÜCHE: FILM ALS ZEITGENÖSSISCHER AKTEUR

Mueda, Memória e Massacre
Mueda: Erinnerung und Massaker

MOC 1981, R: Ruy Guerra, B: Ruy Guerra, K: Ruy Guerra, Fernando Silva, D: Romão Canapoquele, Filipe Gunoguacala, Mauricio Machimbuco, Baltazar Nchilema, 75' 35 mm, OmU

Ruy Guerras Mueda, Memória e Massacre ist ein Meilenstein des mosambikanischen Kinos. Zu sehen ist ein öffentliches Re-Enactment der Ereignisse von Mueda, wo am 16. Juni 1960 portugiesische Soldaten das Feuer auf eine protestierende Menge eröffneten und hunderte Menschen töteten. Das Massaker ist als Auslöser des anti-kolonialen Kampfes in die Geschichtsschreibung Mosambiks eingegangen. Seit 1968, also bereits während des Befreiungskrieges (1964-1974), wurde das Ereignis in populären Theaterinszenierungen erinnert. Das von Ruy Guerra gefilmte Re-Enactment war eines der ersten nach der Unabhängigkeit und fand am Originalschauplatz statt. Im Vordergrund steht nicht so sehr die Brutalität der Kolonialmacht, sondern die Ignoranz und Lächerlichkeit ihres Personals. Mueda, Memória e Massacre entstand in Zusammenarbeit mit dem neu gegründeten nationalen Filminstitut und wurde als „erster Spielfilm des unabhängigen Mosambik“ vermarktet. Guerra war sich jedoch bewusst, dass die Inszenierung der Ereignisse Teil der kollektiven Geschichtsarbeit war, und ging das Filmprojekt dokumentarisch an. Durch seine ambivalente Form erzählt der Film daher auch von unterschiedlichen Erwartungen an ein Kino der Dekolonisierung. (th)
Einführung: Tobias Hering
Nach der Vorführung findet ein Filmgespräch auf Englisch statt, zu Gast: Catarina Simão (unabhängige Filmforscherin, Lissabon).

am 16.4.2013 um 20.00 Uhr

UMBRÜCHE: FILM ALS ZEITGENÖSSISCHER AKTEUR

Torre Bela
P/F/I/CH 1975, R: Thomas Harlan, B: Thomas Harlan, K: Russell Parker, 106‘ Beta SP, OmU

Im April 1975, ein Jahr nach der portugiesischen „Nelkenrevolution“, filmt Thomas Harlan die Besetzung des Großgrundbesitzes „Torre Bela“ in der Region Ribatejo durch die Bevölkerung der Umgebung. Über mehrere Monate begleiten er und sein Team die Umwandlung einer der größten portugiesischen Latifundien in eine sozialistische Kooperative. Der Film Torre Bela ist laut und erregt, alles geschieht live und spontan, so scheint es: die Wut, das Zögern, die Aneignung, das Finden einer neuen Sprache, die Erweiterung der Welt; später das Misstrauen, der Frust, die Hackordnung. Aber Torre Bela ist nicht nur ein einzigartiges Zeitdokument, sondern auch ein Grenzfall des dokumentarischen Arbeitens. Allen voran Harlan selbst hat ihn als einen Film beschrieben, der den Dokumentarismus auf den Kopf gestellt habe. „Das meiste, was vor der Kamera passiert, wäre ohne uns nicht geschehen“, sagte er im Gespräch mit Christoph Hübner in dessen Film Thomas Harlan – Wandersplitter: „Es wurde Wirklichkeit hergestellt, Wirklichkeit, die es sonst gar nicht gegeben hätte.“ (th)
Einführung: Tobias Hering
Nach der Vorführung findet ein Filmgespräch statt, zu Gast: Bert Rebhandl.

am 17.4.2013 um 20.00 Uhr

UMBRÜCHE: FILM ALS ZEITGENÖSSISCHER AKTEUR

Linha Vermelha
Red Line

P 2011, R: José Filipe Costa, B: José Filipe Costa, K: Paulo Menezes, Pedro Pinho, João Ribeiro, 80' DigiBeta, OmeU

In Linha Vermelha rekapituliert José Filipe Costa die von Mythen und Gerüchten durchsetzte Entstehung von Thomas Harlans Film Torre Bela. Einen Anlass dafür findet er in Harlans wiederholter Auskunft, dass er und sein Team die dokumentierte Wirklichkeit seinerzeit aktiv manipuliert hätten. Mag dieses Bekenntnis letztlich Harlans Integrität belegen, so ist es ebenso sehr Teil des Mythos' „Torre Bela“ geworden. War die Kollektivierung des Landguts weniger real, weil sie Teil einer filmischen Dramaturgie war? Haben Harlans Motive das Handeln der aufständischen Bauern kompromittiert? Und was ist aus der Revolution geworden, auf die sich Portugal bis heute beruft? Gibt es eine klare Linie zwischen Mythos und Geschichte? Costa zieht in seinem dichten Essayfilm alle Register der filmischen Recherche, führt Gespräche mit Zeitzeugen, seziert Schlüsselszenen von Harlans Film, lauscht den Zwischentönen auf der begleitenden Tonspur und stellt letztlich auch die Legitimität seiner eigenen Geschichtskonstruktion zur Diskussion. (th) Mit freundlicher Unterstützung des Goethe-Instituts Lissabon.
Einführung: Tobias Hering
Nach der Vorführung findet ein Filmgespräch auf Englisch statt, zu Gast: José Filipe Costa.

am 18.4.2013 um 20.00 Uhr

UMBRÜCHE: FILM ALS ZEITGENÖSSISCHER AKTEUR

Oktjabr
Oktober

RIM/F/RUS 1993, R: Abderrahmane Sissako, B: Abderrahmane Sissako, K: Georgi Rerberg, D: Irina Apeksimowa, Wilson Buyaya, 36' 35 mm, OmU

Rostov – Luanda
ANG/RIM/F/D/B 1997, R: Abderrahmane Sissako, B: Abderrahmane Sissako, K: Jacques Besse, 76' Beta SP, OmU

Mit der politischen Unabhängigkeit begann in den meisten afrikanischen Staaten auch der Aufbau einer nationalen Filmarbeit, die jedoch selten völlig unabhängig war. Als Gegengewicht zum Einfluss der ehemaligen Kolonialmächte spielten innerafrikanische Allianzen, aber auch die Unterstützung sozialistischer Staaten wie Kuba und der Sowjetunion eine wichtige Rolle. Als Abderrahmane Sissako 1982 zum Sprachstudium nach Rostov und dann zum Filmstudium nach Moskau ging, gehörte er bereits zur dritten Generation afrikanischer Filmemacher, die in der Sowjetunion ausgebildet wurden. Als er dann in Moskau seinen Abschlussfilm drehte, war die Sowjetunion schon in Auflösung begriffen. Oktober (1992) erzählt von der scheiternden Liebe zwischen einem Afrikaner und einer Russin und fängt im Moskauer Winter Momente der Desillusionierung und des Stillstands ein. In Rostov –Luanda (1997) nimmt Sissako die Spuren seiner Studienzeit auf. Die Suche nach einem ehemaligen Kommilitonen führt ihn von Mauretanien nach Angola, in ein von Jahrzehnten des Bürgerkriegs gezeichnetes Land, in dem sich ihm viele Türen öffnen, der Gesuchte jedoch ein blinder Fleck bleibt. Als er schon fast zum Phantom geworden ist, spürt ihn Sissako schließlich doch noch auf: in einem Reihenhaus in Berlin. (th)
Mit freundlicher Unterstützung des Institut Français Paris.
Einführung: Tobias Hering
Nach der Vorführung findet ein Filmgespräch statt, zu Gast: Marie-Hélène Gutberlet (Filmwissenschaftlerin).

am 24.5.2013 um 20.00 Uhr

 

 
  Filmarchiv