CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Die Retrospektive CINEROMANI – POETIK UND POLITIK stellt sich der Herausforderung, Roma-Filme in einem filmhistorischen Überblick vorzustellen, der nicht auf eine Bestandsaufnahme stereotyper Bilder hinausläuft. Dafür nimmt sie eine Perspektive ein, die Dialoge zwischen unterschiedlichen Roma-Bildkonstruktionen herstellt, die Legitimität tradierter Darstellungsstrategien hinterfragt und unsere Aufmerksamkeit darauf lenkt, was sichtbar wird bzw. unsichtbar bleibt. Die Retrospektive, die von dem Roma-Filmemacher und Festival-Organisator Sami Mustafa und der Nicht-Roma-Filmhistorikerin Andrea Pócsik gemeinsam kuratiert wurde, ist Teil einer Veranstaltungsreihe, die sich Fragen der organisatorischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Befähigung von Roma-Filmemachern widmet. Sie lässt uns die sich wandelnde Poetik der Roma-Filme sinnlich erfahren und hält zugleich die kostbare politische Absicht wach, die mit dem Projekt Cineromani insgesamt verknüpft ist: den intrakommunitären Dialog und die Selbstreflexion zu fördern, um auch für Nicht-Roma einen komplexeren, authentischen und nicht-popularisierenden Zugang zu den sozialen, politischen und kulturellen Herausforderungen der Roma-Gemeinschaft zu schaffen. (Sami Mustafa und Andrea Pócsik)
Die Retrospektive ist Teil des Projekts Cineromani - Empowering Roma Filmmakers des Balassi Institut – Collegium Hungaricum Berlin, das von der Kulturstiftung des Bundes, dem Ministerium für gesellschaftliche Ressourcen, dem Ungarischen Nationalen Kulturfonds und der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird.
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Großstadt-Zigeuner
D 1932, R/K/S/P: László Moholy-Nagy, 11‘ 35 mm, stumm
Korkoro
Liberté
F 2009, R/B: Tony Gatlif, K: Julien Hirsch, D: Marc Lavoine, Marie-Josée Croze, James Thiérrée, 106‘ 35 mm, OmeU
Der Bauhaus-Künstler László Moholy-Nagy drehte seinen kurzen, experimentellen Dokumentarfilm Großstadt-Zigeuner im Jahre 1932, kurz vor seiner Abreise aus Berlin. Großstadt-Zigeuner ist ein kulturelles und soziales Abenteuer, denn Moholy-Nagy versucht, nicht nur seine „Distanz” zu dokumentieren, sondern auch seine eigene Position gegenüber der Zigeunergruppe zu reflektieren. Es ist ein Film „ohne Heimatland”, der weder Teil der deutschen Nationalkinematografie wurde, noch als ungarisch gelten kann. Ein frühes Beispiel für einen reflexiven Dokumentarfilm und einer der Schätze des Roma-Stummfilms.
Korkoro ist ein filmisches Tribut an die während des Porajmos – des Völkermords an den Sinti und Roma – Getöteten. Kritiker lobten den Film für seinen außergewöhnlich bedächtigen, respektvollen Umgang mit dem Holocaust. Während des Zweiten Weltkriegs flieht der neun Jahre alte Franzose Claude aus der staatlichen Obhut eines im ländlichen Frankreich gelegenen Waisenhauses. Als Claude auf eine Roma-Wagensiedlung – eine Großfamilie von 20 Männern, Frauen und Kindern – trifft, beschließen diese kurzerhand, ihn zu adoptieren. Die nomadische Lebensweise seiner Adoptivfamilie fasziniert Claude. Er entscheidet sich, bei ihr zu bleiben. (ap/sm)
Eröffnung der Retrospektive am 1.6.: Im Anschluss an die Vorführung findet eine Podiumsdiskussion in Anwesenheit von Tony Gatlif (angefragt) u.a. statt.
am 1.6.2013 um 19.00 Uhr
am 12.6.2013 um 20.00 Uhr (ohne Vorfilm)
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Das Mädchen ohne Vaterland
D 1912, R/B: Urban Gad, K: Guido Seeber, D: Asta Nielsen, Paul Meffert, Max Wogritsch, Fred Immler, 29‘ 35 mm
The Kid
USA 1921, R/P/B: Charlie Chaplin, K: Roland Totheroh, D: Charles Chaplin, Edna Purviance, Jackie Coogan, 60‘ 35 mm, engl. ZT
Das Spionage-Drama Das Mädchen ohne Vaterland und das Melodram Fante-Anne (1920, R: Rasmus Breistein) gehören zu denjenigen Filmen, in denen Asta Nielsen eine Zigeuner-Heldin verkörpert. Die Charaktere der beiden Filme unterscheiden sich deutlich voneinander, dennoch: Das listige Mädchen, das in Das Mädchen ohne Vaterland seine Fähigkeiten nutzt, um den Feind auszuspionieren, ist letzten Endes ebenso bemitleidenswert wie das arme Findelkind, dessen Portrait Breistein in Fante-Anne zeichnet. Zidra bleibt in Gads Film eine schwache Persönlichkeit, deren Gypsy-Sein und Streben nach Freiheit im Gegensatz zu den verlässlichen deutschen Patrioten stehen.
Einem neu entdeckten Familienerbe zufolge liegen Charlie Chaplins familiäre Wurzeln in einer „Zigeuner“-Gemeinschaft der West Midlands. Diese Herkunft und seine Kindheit am Rande der britischen Gesellschaft scheinen einen wesentlichen Anteil daran zu haben, dass Chaplin etwa in The Kid erade diejenigen zum Lachen bringen wollte, die leiden. (ap)
am Flügel: Eunice Martins
am 2.6.2013 um 16.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Io, la mia famiglia rom e Woody Allen
Me, My Gypsy Family and Woody Allen
I 2009, R/B/K: Laura Halilovic, B: Nicola Rondolino, Davide Tosco, 50’ Beta SP, OmeU
Der mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilm Io, la mia famiglia rom e Woody Allen erzählt die Geschichte der Familie Halilovic, die Ende der 1960er Jahre von Bosnien-Herzegowina nach Italien kam und dort bis 1996 in einer Wohnwagenkolonie hauste: ein intimes Porträt vom Ende einer nomadischen Lebensweise und von den Schwierigkeiten des Sesshaft-Werdens in einer Sozialwohnung. Erzählt in der ersten Person Singular, dokumentiert Laura Halilovic mit Ironie und Witz den Prozess des Akzeptierens ihrer Wurzeln. Ginge es nach ihrer Familie, wäre sie bereits verheiratet. Doch sie ist fest entschlossen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und für ihren Traum zu kämpfen: Laura möchte Filmregisseurin werden. Die Geschichte einer kleinen Community aus der Perspektive eines Mitglieds dieser Community präsentiert neue, sehr persönliche Einblicke in die Kultur der Roma. (sm)
am 2.6.2013 um 18.30 Uhr
am 6.6.2013 um 20.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Lepa Dijana Pretty Dyana
SCG 2003, R/B/P/K: Boris Mitić, 45‘ DigiBeta, OmeU
Hätte sich Boris Mitić, der Regisseur von Lepa Dijana, nur auf das schreckliche Elend der Menschen konzentriert, so wäre ein unerträglicher Film entstanden. Stattdessen wissen die Zuschauer nicht, ob sie zuerst weinen und dann lachen oder zuerst lachen und dann weinen sollen. Mitić arbeitete als Journalist, als er beschloss, für seinen ersten Film eine Kamera zu kaufen und die Aufnahmen zuhause auf dem Computer zu schneiden. Lepa Dijana gewährt einen intimen Blick auf Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo in einem Belgrader Vorort. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Sammeln von wiederverwertbarem Müll. Ihre Recyclingfahrzeuge sind Mad Max-ähnliche Umbauten der Citroën-Klassiker 2CV und Diana, mit denen sie Pappe, Flaschen und Schrott von der Straße aufsammeln. Diese modernen Pferde sind weitaus effizienter als Einkaufswagen, aber was noch wichtiger ist, sie bedeuten für ihre cleveren Eigentümer Freiheit, Hoffnung und Stil. Selbst die Autobatterien werden als Stromerzeuger verwendet, um etwas Licht zu haben, um fernzusehen und Handys aufladen zu können! Ein alchemistischer Traum scheint zum Greifen nah, doch findet die Polizei diese eigentümlichen Gefährte nicht immer lustig... (sm)
am 2.6.2013 um 18.30 Uhr
am 18.6.2013 um 20.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Att vara zigarne Zigeuner sein
S 1970, R/B/K: Peter Nestler, B: Zsóka Nestler, 45‘ Blu-ray, DF
Auf Wiedersehen im Himmel
D 1994, R: Romani Rose, Michael Krausnick, B: Michael Krausnick, K: Günter Wittmann, Christoph Latz, 47‘ DVD
Um 1970 war der Roma-Holocaust kein Teil des kulturellen Gedächtnisses. Roma/Sinti-Überlebende wurden entweder nicht befragt oder schämten sich, öffentlich das Wort zu ergreifen. Att vara zigarne beginnt mit Otto Pankoks Gemälden von Mitgliedern einer Zigeunergemeinschaft aus den dreißiger Jahren. Während wir diese betrachten, berichtet der Autor die Geschichte der Roma. Bei den anschließenden Zeitzeugen-Interviews werden nicht nur die Erinnerungen der Befragten mit starrer Kamera aufgezeichnet, Nestler macht auch den sie umgebenden Raum und den Moment der Aufnahme zu einem ebenso wichtigen Bestandteil seines Films. Nestler stellt nicht einfach nur dar; er inszeniert und komponiert, was und wie wir sehen.
Auf Wiedersehen im Himmel basiert auf Archivmaterial und Zeitzeugeninterviews. Die Sinti-Kinder in der katholischen St. Josefspflege waren Objekte pseudo-wissenschaftlicher Experimente, die letztlich politischen Zwecken dienten: Die Notwendigkeit der Roma-Klassifikation und damit auch der Porajmos, der Roma-Völkermord, sollten nicht aufgrund von rassischen und kriminellen, sondern durch eugenische Gesichtspunkte legitimiert werden. Nachdem die Versuche abgeschlossen waren, wurden die Kinder nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Wenn ein Film eine Gedenkstätte sein kann, so sehen wir in Krausnicks und Roses Arbeit wohl deutlich die Ecke des Museums, in das wir uns stellen, um den Opfern Anerkennung zu zollen. (ap)
am 4.6.2013 um 20.00 Uhr
am 21.6.2013 um 21.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Dom za vešanje Time of the Gypsies
YU 1988, R: Emir Kusturica, B: Emir Kusturica, Gordan Mihic, K: Vilko Filac, M: Goran Bregović, D: Davor Dujmović, Bora Todorović, Ljubica Adzović, 142‘ 35 mm, OmeU
Der Originaltitel des Films Dom za vešanje bedeutet so viel wie „ein Zuhause zum Erhängen“. Emir Kusturicas internationaler Erfolg hat einen kaum zu unterschätzenden Beitrag dazu geleistet, die Welt der Roma und vor allem deren Musikkultur wieder zu entdecken. Am Anfang des Projekts steht eine Pressenachricht, die von organisiertem Menschen- bzw. Kinderhandel innerhalb der Roma-Gemeinschaft handelt. Eine mafiöse Bande schmuggelt Kinder und Behinderte über die Grenze nach Italien, wo sie gezwungen werden, zu betteln oder sich zu prostituieren. Durch seine Kindheit in Sarajevo war der Filmemacher vertraut mit dem Leben der Roma, er hatte sich mit einigen Mitgliedern der Gemeinschaft angefreundet. Während Kusturica deren Sprache erlernte, suchte er nach Informationen und Augenzeugen, die sowohl von den Lebensbedingungen der Roma im damaligen Jugoslawien als auch von den schmutzigsten Details des Menschenhandels berichten konnten. Kusturica versucht in seinem Film Dom za vešanje, ein stilistisches Gleichgewicht herzustellen zwischen den dokumentarischen Aspekten eines gut recherchierten und authentischen Films, einem intuitiv künstlerischen Ansatz und seiner persönlichen Sichtweise. (sm)
am 5.6.2013 um 20.00 Uhr
am 11.6.2013 um 20.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Kenedi se vraća kući Kenedi Goes Back Home
SCG 2003, R/B: Želimir Žilnik, K: Miodrag Milošević, D: Kenedi Hasani, Denis Ajeti, Dzemsit Buzoli, Sabaheta Alijević, Mevlan Alijević, 75‘ 35 mm, OmeU
Kenedi se Vraca kuci erzählt die Geschichte von Kenedi Hasani, Denis Ajeti und der Familie Ibinci, die in 1990er Jahren vor den Balkankriegen nach Deutschland geflohen waren: 2002 wurden sie nach Serbien abgeschoben. Regisseur Želimir Žilnik folgt ihnen während der ersten Tage nach ihrer Ankunft am Belgrader Flughafen; sie sind auf der Suche nach einer Unterkunft, nach Freunden, nach Familienmitgliedern. Der Roma Kenedi Hasani fungiert als Vermittler zwischen den Betroffenen und dem Filmteam. Wie in vielen seiner Filme sucht Želimir Žilnik eine ganz eigene Gratwanderung zwischen Dokumentarfilm und Fiktion. Kenedi geht schließlich nach Kosovska Mitrovica, wo seine Familie einst ein Haus besaß, zu dem ihm nun kein Zutritt mehr gewährt wird. Immer deutlicher wird, wie gefährdet die am Rande der Gesellschaft stehende Roma-Gemeinschaft ist. (sm)
am 6.6.2013 um 20.00 Uhr am 18.6.2013 um 20.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Mire bala kale hin Tales from the Endless Roads. Part I. The Romany Mirror
FIN/CZ/NL 2001, R: Katariina Lillqvist, B: Katariina Lillqvist (nach einer Roma-Legende, geschrieben von Margita Reiznerová), K: Miroslav Spala, 9‘ 35 mm, engl. OF
When the Road Bends: Tales of a Gypsy Caravan
E/F/D/J 2007, R/B/P: Jasmine Dellal, K: Albert Maysles u.a., mit: Fanfare Ciocarlia, Taraf de Haidouks, Antonio El Pipa, Maharaja, Esma Redzepova u.a., 110‘ 35 mm, OmeU
Der Buena Vista Social Club für Gypsy-Musik: Jasmine Dellals Dokumentarfilm feiert die Musik internationaler Gypsy-Stars und verwebt sie mit ergreifenden Geschichten von ihrem Zuhause, ihrem sozialen Hintergrund und den Bedingungen, in denen Roma in vielen Ländern leben. Der Film entstand in Spanien, Mazedonien, Rumänien, Indien und den USA während der vom World Music Institute ins Leben gerufenen Gypsy Caravan-Konzerttour mit den Musikern von Fanfare Ciocarlia, Taraf de Haidouks, Antonio El Pipa, Maharaja, Esma Redzepova und anderen. Hinter der Kamera stand unter anderem die Dokumentarfilm-Ikone Albert Maysles.
Der Animationsfilm The Romany Mirror führt zurück in vergangene Zeiten, als die Vorfahren der Roma sich von Indien aus verbreiteten. Er basiert auf einer Legende von einem persischen König, der die indischen Musiker einlud und sesshaft werden ließ. (sm/ap)
am 7.6.2013 um 21.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Cigányok Zigeuner
H 1962, R/B: Sándor Sára, K: Istvan Gaál, 17‘ 35 mm, OmeU
Cséplő Gyuri Gyuri
H 1978, R/B: Pál Schiffer, B: István Kemény, K: Tamás Andor, 96‘ 35 mm, OmeU
Die sozialen und ökonomischen Reformen im Ungarn der Kádár-Ära nach 1956 sollten die katastrophale Situation der Roma-Minderheit verbessern. Assimilation und oftmals demütigende Zwangsmaßnahmen waren aber ebenso Instrumente einer „sozialistischen Kolonisierung”. Dennoch sahen viele Roma Chancen einer gesellschaftlichen Gleichstellung und denken noch heute mit Nostalgie an die Kádár-Ära zurück.
Cigányok und Cséplő Gyuri sind Klassiker des ungarischen Kinos und Versuche, diese Prozesse zu dokumentieren. Cigányok tut dies in Form eines kurzen, lyrischen Dokumentarfilms; Cséplő Gyuri ist ein hervorragendes Beispiel für die fiktionalen Dokumentarfilme im Stil der berühmten Budapester Schule. Der „Dialog” der beiden Filme schafft Schnittstellen zwischen ethnographischen und soziologischen Ansätzen. Gleichzeitig stehen sie, wie die Titel erkennen lassen, für eine sich verändernde Haltung gegenüber den Roma. In Sáras Film sind „Zigeuner” eine fast homogene Gruppe (wenn auch mit reichen Traditionen), in Schiffers Film treten dagegen Individuen auf, deren sozial bestimmtes Schicksal allgemeinere Merkmale trägt. (ap)
am 8.6.2013 um 18.30 Uhr
am 14.6.2013 um 18.30 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Nekem az élet teccik nagyon I Think Life’s Great Fun
H 1975, R: Katalin Macskássy, 11‘ 35 mm, OmeU
Skuplači perja I Even Met Happy Gypsies,
YU 1968, R/B: Aleksandar Petrović, 92‘ 35 mm, OmeU
Mit ihrem Filmprojekt Nekem az élet teccik nagyon beteiligte sich die Regisseurin Katalin Macskássy an der Arbeit der Kunstwerkstatt einer Grundschule. Die animierten Zeichnungen der teilnehmenden Roma-Kinder zeigen ihren Alltag, Gewohnheiten und Zukunftspläne, und werden von den Kindern selbst erzählt. Die Kurzgeschichten thematisieren oft ihre Identität als Roma und beziehen sich auf die widersprüchlichen Machtverhältnisse während der Kádár-Ära, wobei der Film mit einem Beigeschmack von Propaganda endet.
Skuplači perja ist eine Pionierarbeit des Roma-Films und Teil der jugoslawischen „Nouvelle Vague“. Regisseur Aleksandar Petrović arbeitete bei der Inszenierung seiner Liebesgeschichte mit den Roma der Vojvodina im Nordwesten Jugoslawiens zusammen und ließ sie Szenen aus ihrem Alltag nachspielen. Die Landschaften der Vojvodina, oft in winterlicher Tristesse gezeigt, die auf traditionellen Instrumenten gespielte Gypsy-Musik, die Verwendung der Sprache der Roma, vermischt mit dem Serbischen, verstärken noch den Eindruck von Authentizität. (ap/sm)
am 8.6.2013 um 21.00 Uhr
am 14.6.2013 um 21.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
The Spanish Dancer
USA 1923, R: Herbert Brenon, B: Beulah Marie Dix, June Mathis, K: James Wong Howe, D: Pola Negri, Antonio Moreno, Wallace Beery, 105‘ 35 mm, engl. ZT
The Spanish Dancer stammt aus der Goldenen Ära des Hollywood-Stummfilms. Es ist zu bezweifeln, dass Herbert Brenon jemals von den moralischen Regeln und Lebensweisen der spanischen Gitanos sowie den Unterschieden zwischen ihnen und den Payos gehört hat. Zu bezweifeln ist ebenfalls, dass das damalige Publikum, das Brenons Film zu einem kommerziellen Erfolg werden ließ, jemals versucht hat, in dieser Kostümkomödie Bezüge zu den realen Lebensbedingungen von Roma herzustellen. Pola Negri als „Spanische Tänzerin“ ist der eindeutige Star dieser romantischen Komödie. Ähnlich wie Asta Nielsen und Charlie Chaplin war ihre Kindheit in Polen von extremer Armut geprägt; ihr Vater war zudem ein slowakischer Rom. Brenons Film bedient zwar eine Vielzahl von Stereotypen gegenüber „Zigeunern“, exotisiert diese aber dank der hervorragenden Schauspieler, der Drehbucharbeit und der mise-en-scène nicht bis ins Übermaß. (ap)
Wir zeigen den Film in der restaurierten Fassung von 2012.
am Flügel: Peter Gotthardt
am 9.6.2013 um 18.30 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Szafari
H 2001, R: Róbert Pölcz, Boglárka Pölcz, 9‘
Blestemul ariciului The Curse of the Hedgehog
RO 2004, R/K: Dumitru Budrala, 93’ DigiBeta, OmeU
Mangels früher ethnographischer Filme über Roma ist das Publikum eingeladen, an einem ungewöhnlichen Spiel, einer „Safari“, teilzunehmen. Es ist als würden Bilder aus einer exotischen Kolonie um die Jahrhundertwende an uns vorbeiziehen und nicht aktuelle Aufnahmen aus einer „Zigeunersiedlung“ in Szilágyság, Rumänien: „Der Reisende besucht entfernte Kontinente und führt, nachdem er zurückgekehrt ist, in einem eloquenten Filmtheater der High Society seine Filme von den ’Wilden’ vor. Die eigentlichen Dreharbeiten wurden an einem einzigen Tag durchgeführt. Doch dauerte es fünf Jahre, um einander kennenzulernen vor diesem einen Tag.” (Róbert Pölcz, Boglárka Pölcz)
Dimitru Budrala folgt in Blestemul ariciului über ein ganzes Jahr dem Leben einer Roma-Großfamilie. Er begleitet sie bei ihrem schwierigen Vorhaben, handgefertigte Waren an Bauern und Dorfbewohner zu verkaufen. Seine enge Beziehung zu der „Boyash” Gemeinschaft ermöglicht es, einen genaueren Blick auf diese ungewöhnliche Form der Romani Marginalität und Armut werfen zu können. Ein verspieltes „Zuzwinkern” zwischen Subjekten und Autor unterstreicht den reflexiven Charakter des Films: die Protagonisten sind sich des Filmdrehs bewusst und „spielen“ für den Zuschauer. Insofern ist die dokumentarische Funktion subversiv: ihr Kampf ums Überleben – voller ernster Spiele – wird zur wahrhaftigen Performance. (ap)
am 9.6.2013 um 20.30 Uhr
am 19.6.2013 um 20.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Wir sind Sintikinder und keine Zigeuner
BRD 1981, R: Katrin Seybold, Melanie Spitta, K: Ottmar Schmid, Bert Schweiz, 22‘ 16 mm
Angelus Mortis
D 2007, R/B: Simon Ritzler, K: Deniz Sözbir, 37‘ DigiBeta
Phabaj Berlin
H/D 2012, R/B/K: Árpád Bogdán, B: Krisztina Turna, 20‘ HD
Überzeugt von den sozialen Möglichkeiten des Mediums Film beteiligten sich die Regisseurinnen Katrin Seybold und Melanie Spitta aktiv an der Sinti und Roma-Bürgerrechtsbewegung der 1980er Jahre. Sie interviewten Menschen, die früher nicht dazu in der Lage gewesen waren oder es verweigert hätten, über ihr Leben als Minderheit in Deutschland zu sprechen. Wir sind Sintikinder und keine Zigeuner wird von der 9-jährigen Brigitta in der ersten Person erzählt. Sie lebt mit ihrer Familie am Rand einer kleinen Stadt in Armut, geht dort zwar zusammen mit deutschen Kindern zur Grundschule, wird aber in einer gesonderten Klasse speziell für Sinti-Kinder unterrichtet.
In Angelus Mortis spricht der Sinti Hugo Hoellenreiner über eine Begegnung, die mehr als 60 Jahre in der Vergangenheit liegt und ihn noch heute verfolgt: Hoellenreiner ist ein Überlebender der medizinischen Experimente von Josef Mengele in Auschwitz.
Phabaj Berlin wurde in Berlin im Rahmen eines Workshops der CultureDemocracy Stiftung mit ungarischen und deutschen Jugendlichen unter Leitung des Regisseurs Árpád Bogdán gedreht. Das Drehbuch zu diesem unkonventionellen Holocaust-Gedenkritual wurde zusammen mit den Teilnehmern, die auch in dem Kurzspielfilm mitspielen, entwickelt. (ap/sm)
am 15.6.2013 um 19.00 Uhr
am 21.6.2013 um 19.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Boldog új élet Happy New Life
H 2006, R/B: Árpád Bogdán, K: Márk Györi, Gábor Szabó, D: Lajos Orsós, Michaela Göczi, István Szilvási, 80’ 35 mm, OmeU
Der Regisseur Árpád Bogdán wuchs in einem Waisenhaus auf. Roma zu sein hatte nie eine positive Bedeutung für ihn. In seinem Dokumentarfilm Looking for My Gypsy Roots (2008) beschreibt Bogdán die Suche nach seinen eigenen Wurzeln, zwischen Budapester Nachtleben, „Gypsy-Harlem“ (Budapests achtem Bezirk) und den Roma-Dörfern im Osten des Landes, wo seine Eltern möglicherweise noch leben. Mit diesem Hintergrundwissen wird umso deutlicher, wie nahe Bogdáns Spielfilmdebüt Happy New Life an der eigenen Biografie ist. Die namenlose Hauptfigur lebt in einer Hochhaussiedlung in der Großstadt: er ist Waise und Roma, was aber keine weiterreichende Bedeutung für ihn hat. Eines Tages erhält er Dokumente, die Auskünfte zu seinem familiären Hintergrund geben. Es ist ein düsterer Film, mit sporadischen Rückblenden in helleren Tönen. Unverkennbar sind das visuelle Talent des Regisseurs und sein Hang zur Metaphorik, was ihn mehr zu interessieren scheint als die Narration. Bogdáns Hauptfigur ist besessen von der Ergründung seiner Wurzeln; was auch immer er findet, erweist sich aber letztlich als bedeutungslos für ihn. (sm)
am 15.6.2013 um 21.00 Uhr
am 20.6.2013 um 20.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Cigán Gypsy
SK/CZ 2011, R/B: Martin Šulík, B: Marek Lescak, K: Martin Sec, D: Ján Mižigár, Martin Hangurbadžo, Martina Kotlárová, Attila Mokos, 100 ’ DigiBeta, OmeU
Eine Roma-Siedlung im Osten der Slowakei. Der 14-jährige Adam erfährt, dass sein Vater getötet wurde. Niemand scheint zu wissen wie es passiert ist, es gibt weder Beweise noch Zeugen. Kurz darauf heiratet Adams Mutter ihren Schwager Žiga. Damit ändert sich Adams Leben von einem Tag auf den anderen, plötzlich muss er erwachsen sein. Während eines Streits mit seinem Onkel/Stiefvater bekommt er eine Ahnung davon, wer für den Tod seines Vaters verantwortlich sein könnte… Auf einer zweiten Ebene handelt Cigán davon, wie Adam sich in einer Welt zurechtfinden muss, die ihn innerlich zu zerreißen droht: die harten Bedingungen, die die Mehrheitsgesellschaft an ihn stellt, aber auch die verzerrten Regeln des Ghettos. Ein Ausweg scheint kaum möglich.
Die Dreharbeiten fanden in einer Roma-Siedlung im Osten der Slowakei statt. Roma ohne professionelle Schauspielausbildung spielen die Hauptrollen. Šulíks Film war der große Gewinner beim Karlovy Vary Filmfestival 2011 und wurde von der Slowakei ins Oscar-Rennen geschickt. (sm)
im Anschluss an die Vorführung am 22.6. findet eine Abschlussdiskussion mit den Kuratoren u.a. statt
am 16.6.2013 um 18.30 Uhr
am 22.6.2013 um 19.00 Uhr
CINEROMANI – POETIK UND POLITIK
Mire bala kale hin I-VI
Tales from the Endless Roads. Part I-VI
FIN/CZ/NL 2001, R: Katariina Lillqvist, B: Katariina Lillqvist (Part I. The Romany Mirror: nach einer Roma-Legende, geschrieben von Margita Reiznerová), K: Miroslav Spala, 54‘ 35 mm, engl. OF
Die finnische Animationsfilmerin Katariina Lillqvist hat mit großem Erfolg einen einzigartigen Stil entwickelt, Puppentrick für Erwachsene auf 35mm zu drehen. Sie studierte in der Tschechischen Republik und arbeitete dort auch mit dem Illustrator und Puppentrickspezialisten Jiří Trnka zusammen. Die Kurzfilmserie Tales from the Endless Roads besteht aus sechs voneinander unabhängigen Episoden, die jedoch alle in Verbindung zur Kultur der Roma stehen. Die erste, The Romany Mirror, führt uns zurück in vergangene Zeiten, als die Vorfahren der Roma sich von Indien aus verbreiteten. Die Handlung basiert auf der Legende eines persischen Königs, der die indischen Musiker einlud und sesshaft werden ließ. Lillqvist gestaltet diese Folge mit historischem und mythischem Hintergrundwissen und erschafft damit ein Stück kulturellen Gedächtnisses der Roma in einem Genre, das sich wohl am besten für das Verschmelzen von Realität und Phantasie eignet. Der Animationsfilm endet mit einer Szene, die eine zeitlos-symbolische Vereinigung von Roma auf der ganzen Welt darstellt und die transnationalen Merkmale der Roma-Musik und -Kultur hervorhebt. (ap)
The Romany Mirror läuft als Vorfilm am 7.6. um 21 Uhr
am 16.6.2013 um 20.30 Uhr
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