SLATAN DUDOW
Zwei Jahrestage geben Anlass für diese Retrospektive der Filme Slatan Dudows, einem der wichtigsten kommunistischen Filmemacher. Am 30. Januar diesen Jahres wäre Slatan Dudow 110 Jahre alt geworden; vor 50 Jahren, am 12. Juli 1963 verunglückte er während der Dreharbeiten zum Film Christine tödlich. In Bulgarien geboren, kam Dudow Anfang der 1920er Jahre zum Studium nach Berlin, hospitierte bei den Dreharbeiten zu Fritz Langs Metropolis und engagierte sich im proletarischen Agitationstheater. Für die kommunistische Produktionsfirma Prometheus des „roten Medienunternehmers“ Willi Münzenberg konnte Dudow 1930 seinen ersten Kurzfilm Zeitprobleme. Wie der Arbeiter wohnt drehen, ebenso wie zwei Jahre später den Klassiker Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? Die Exiljahre in Frankreich und der Schweiz blieben ohne filmisches Resultat, doch in den Nachkriegsjahren entwickelte sich Dudow zu einem der wichtigsten Regisseure der DEFA. Film in den Dienst des sozialistischen Aufbaus zu stellen ist Dudows uneingeschränkte Mission, wobei sein sozialistischer Realismus zumeist trotz aller ideologischen Botschaft weder ins plump Illustrative noch simpel Pädagogische abrutscht.
SLATAN DUDOW
Frauenschicksale
DDR 1952, R/B: Slatan Dudow, K: Robert Baberske, M: Hanns Eisler, D: Sonja Sutter, Hanns Groth, Lotte Loebinger, Anneliese Book, 105‘ 35 mm
Lebemann Conny verführt in allen Sektoren Groß-Berlins die Frauen reihenweise. Vier von ihnen rücken ins Zentrum des Geschehens. Die Beamtentochter Renate wird zur Diebin, um den materiellen Ansprüchen ihres Geliebten zu genügen. Auch Barbara, KZ-Überlebende und Jurastudentin, verfällt dem Glücksversprechen, besinnt sich aber bald. Näherin Anni Neumann wird von Conny schwanger und begreift zu spät dessen egozentrisches Wesen. Die abgehalfterte Adlige Isa von Trautwald schließlich passt zum Zynismus ihres Partners, die Beiden geben ein dekadentes Paar ab. Frauenschicksale war der zweite Farbfilm der DEFA. Er stellt sein allegorisches Personal ganz in den Dienst eines Systemvergleichs zwischen Ost und West, zwischen höheren Idealen hier und blinder materieller Gier sowie Vergnügungssucht dort. Es ist klar, für welche Seite Partei ergriffen wird. Kein geringerer als Bertolt Brecht reimte mehr schlecht als recht für den Film das moralische Credo: „Und weil uns unsre Mütter / nicht für das Leid gebor’n / haben wir alle gemeinsam / glücklich zu leben geschwor’n.“ (cl)
am 11.7.2013 um 20.00 Uhr
SLATAN DUDOW
Zeitprobleme. Wie der Arbeiter wohnt
D 1930, R: Slatan Dudow, K: Walter Hrich, P: Willi Münzenberg, 17’ 35 mm
Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?
D 1932, R: Slatan Dudow, B: Bertolt Brecht, Ernst Ottwald, K: Günther Krampf, M: Hanns Eisler, D: Hertha Thiele, Ernst Busch, Martha Wolter, Adolf Fischer, Lili Schoenborn, 71’ 35 mm
In den vier Kapiteln von Kuhle Wampe werden Situationen aus dem Leben von proletarischen Berlinern aufgefächert, deren Alltag von Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und privaten Problemen geprägt ist – aber auch von Widerstandsgeist. Obwohl Kuhle Wampe heute nur in einer von der Zensur verstümmelten Fassung vorliegt, stellt der Film ein einmaliges historisches Dokument dar. Er ist gleichzeitig ein künstlerisches Werk von hohem Rang; vor allem in der ersten Hälfte. Hier gibt es atemberaubende Szenen, die durch ihr strenges Arrangement und die verfremdenden Zwischentitel deutlich die Handschrift Bertolt Brechts tragen. In der zweiten Hälfte dominieren mit Massenaufmärschen, agitatorischen Aktionen und Sportübungen dann eher propagandistische Momente. Zuletzt läuft der Film mit seiner berühmten S-Bahn-Szene wieder zu Höchstform auf. Noch einmal ertönt das leitmotivische „Solidaritätslied“ und Ernst Busch schmettert: „Wessen Welt ist die Welt?“
Bereits zwei Jahre vorher drehte Dudow im Auftrag des legendären, später ermordeten Willi Münzenberg den kommunistischen Kurzfilm Zeitprobleme. Wie der Arbeiter wohnt. Gezeigt werden katastrophale Lebensbedingungen in Berliner Mietskasernen. (cl)
Einführung am 12.7.: Claus Löser
am 12.7.2013 um 20.00 Uhr
am 16.7.2013 um 20.00 Uhr
SLATAN DUDOW
Unser täglich Brot
DDR 1949, R: Slatan Dudow, B: Hans Joachim Beyer, Ludwig Turek, K: Robert Baberske, M: Hanns Eisler, D: Paul Bildt, Viktoria von Ballasko, Inge Landgut, Harry Hindemith, 105’ 35 mm
1948 kehrte Slatan Dudow aus dem Schweizer Exil nach Deutschland zurück. Sein Ziel war selbstverständlich die sowjetische Besatzungszone, wo er alte Mitstreiter zu treffen und an die Netzwerke der Weimarer Zeit anzuknüpfen hoffte. Bereits kurze Zeit später konnte er bei der DEFA ein erstes Projekt realisieren. Unser täglich Brot wurde in der Sowjetischen Besatzungszone begonnen und erlebte in der DDR im November 1949 seine Premiere. Der 1946 spielende Film wählt eine Berliner Familie als Fallbeispiel für unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten nach dem Kriegsende und wirbt für die Chancen eines Neubeginns. Während Vater Karl resigniert das Haus hütet, wählen seine beiden Söhne völlig entgegengesetzte Wege. Ernst engagiert sich für den Wiederaufbau, Harry sucht sein Glück als Spekulant und Schieber. Er hat damit wenig Erfolg, kommt immer mehr herunter. Zuletzt überfällt er den eigenen Vater, den er nachts auf der Straße nicht als solchen erkennt. Erst dieses Erlebnis öffnet Karl die Augen: Er besucht Ernst in einer wiedererrichteten Fabrik und beschließt, ebenfalls dort zu arbeiten. (cl)
13.7.2013 um 20.00 Uhr
17.7.2013 um 20.00 Uhr
SLATAN DUDOW
Familie Benthin
DDR 1950, R: Kurt Maetzig, Slatan Dudow, Richard Groschopp, B: Johannes R. Becher, Slatan Dudow, Kurt „Kuba“ Barthel, Ehm Welk, K: Robert Baberske, Karl Plintzner, Walter Roßkopf, M: Ernst Roters, D: Maly Delschaft, Charlotte Ander, Hans-Georg Rudolph, Werner Pledath, Brigitte Conrad, 98’ 35 mm
Propagandistischer Kriminalfilm, der zur ideologischen Vorbereitung der „Volkswahlen“ im Herbst 1950 in Auftrag gegeben wurde. Dabei sollte die unterschiedliche Entwicklung in den beiden deutschen Staaten anhand einer verzweigten Familiengeschichte dargestellt werden. Die „Merkur“-Werke gibt es dies- und jenseits der Elbe: In Braunschweig sitzt Theo Benthin, der gemeinsam mit seinem in Magdeburg lebenden Bruder Gustav die deutsche Teilung geschickt für kriminelle Machenschaften ausnutzt. Mit wertvollen Gütern beladene Lastkraftwagen fahren von Ost nach West, die Schmuggeltouren werden als Dienstfahrten getarnt. Als die Volkspolizei dem Treiben auf die Spur kommt, wird Gustav verhaftet, sein Fahrer flieht in den Westen, wo er bald in der Fremdenlegion landet. Dem ursprünglich alleinigen Regisseur Dudow wurde per Parteiauftrag zunächst Kurt Maetzig zur Seite gestellt, später noch der in Dresden lebende Richard Groschopp (nicht im Vorspann genannt). Am Drehbuch schrieben Johannes R. Becher, Kurt Barthel („Kuba“) und Ehm Welk mit – also gleich drei mit hoher SED-Reputation ausgestattete Autoren. Dennoch (oder gerade deshalb) fiel das Ergebnis äußerst diffus und holzschnittartig aus. (cl)
am 19.7.2013 um 20.00 Uhr
SLATAN DUDOW
Stärker als die Nacht
DDR 1954, R: Slatan Dudow, B: Jeanne und Kurt Stern, K: Karl Plintzner, Horst E. Brandt, M: Ernst Roters, D: Wilhelm Koch-Hooge, Helga Göring, Kurt Oligmüller, Rita Gödikmeier, 117’ 35 mm
Gleich nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, gerät der Hamburger Arbeiter Hans Löning in „Schutzhaft“. Nach sieben Jahren im KZ wird er entlassen. Die Gestapo erhofft sich, durch seine Observation der Widerstandsbewegung auf die Spur zu kommen. Zunächst versuchen Hans und seine Frau Helga, ein unauffälliges Leben zu führen. Doch nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion schreiten sie wieder zur politischen Tat. Durch Verrat fällt Hans erneut in die Fänge der Nazis. Stärker als die Nacht ist einer der ersten DEFA-Filme mit einem explizit „antifaschistischen“ Sujet. Das Thema hatte allerhöchste Priorität, da es zu den identitätsstiftenden Grundpfeilern des offiziellen DDR-Selbstverständnisses gehörte. Entsprechend eindeutig fielen die Charaktere und ihre Handlungen aus. „Das Filmwerk ist eine Tragödie, aber eine optimistische Tragödie, weil es den Glauben an die Kraft der einfachen deutschen Menschen ausstrahlt. Und brauchen wir ihn nicht, diesen Glauben, heute, wo im Westen die Kriegstreiber schon wieder in Amt und Würde sitzen und Tausende die bange Sorge um Deutschland erfüllt?“ (Progress-Programmheft).(cl)
20.7.2013 um 20.00 Uhr
24.7.2013 um 20.00 Uhr
SLATAN DUDOW
Der Hauptmann von Köln
DDR 1956, R: Slatan Dudow, B: Henryk Keisch, Michael Tschesno-Hell, Slatan Dudow, K: Werner Bergmann, Helmut Bergmann, M: Wilhelm Neef, D: Rolf Ludwig, Erwin Geschonneck, Else Wolz, Christel Bodenstein, 118’ 35 mm
Politsatire auf die Remilitarisierung in der jungen Bundesrepublik: Der arbeitslose Kellner Albert Hauptmann wird mit einem gleichnamigen Wehrmachtsoffizier verwechselt und von dessen einstigen Kameraden protegiert. Rasend schnell macht er Karriere, schafft es bis auf den Direktorensessel der „Montan AG“ und in den Bundestag. Er ist raffiniert genug, um die Vorteile der Verwechslung für sich auszunutzen, ist aber außerstande, die skandalösen Dimensionen zu durchschauen. Als er auf diverse Einflüsterungen hin eine Generalamnestie für Kriegsverbrecher durchsetzt, meldet sich der „richtige“, bis dahin unter falschem Namen lebende Albert Hauptmann und zeigt ihn wegen Betrugs an. Der falsche „Hauptmann von Köln“ muss hinter Gitter. Der Film hat mit Carl Zuckmayer wenig, dafür mit der Tagespolitik des Kalten Krieges umso mehr zu tun. Rolf Ludwig spielt den Hochstapler wider Willen mit komödiantischer Verve, kommt aber gegen die ideologischen Strickmuster nicht an. Für die drei Drehbuchautoren gab es 1957 den Nationalpreis der DDR. (cl)
25.7.2013 um 20.00 Uhr
28.7.2013 um 20.00 Uhr
SLATAN DUDOW
Verwirrung der Liebe
DDR 1959, R: Slatan Dudow, K: Helmut Bergmann, D: Annekathrin Bürger, Angelica Domröse, Willi Schrade, Stefan Lisewski, 107’ 35 mm
Mit Verwirrung der Liebe hat Slatan Dudow einen leichtfüßigen Film um zwei junge Paare gedreht, die nach einigen Turbulenzen den jeweils richtigen Partner finden. Die Komödie war nicht nur Dudows erste weitgehend ideologiefreie Arbeit, sie stieß beim Publikum auch auf offene Augen und Ohren und wurde zu einem großen Kassenerfolg. (Für die gerade einmal 17-jährige Angelica Domröse begann damit eine lange Filmkarriere.) Nicht unbedingt ein Produkt des „Tauwetters“, so steht der Film doch für den Wunsch nach politischer Entkrampfung nach den tristen Jahren des Stalinismus. Folgerichtig kritisierte Karl-Eduard von Schnitzler dann auch: „Wenn wir in Verwirrung der Liebe einige DDR-Termini herausnehmen würden, könnte dieser Film genausogut in Frankreich oder Italien, ja sogar in Westdeutschland gedreht worden sein; denn diese jungen Menschen sind unverbindlich in einem gesellschaftlich fast luftleeren Raum angesiedelt. So bleibt nur die Hoffnung, dass uns Slatan Dudow in naher Zukunft einen Film schenken möge, statt eines Filmchens.“ (Filmspiegel 25/1959). (cl)
27.7.2013 um 20.00 Uhr
30.7.2013 um 20.00 Uhr
SLATAN DUDOW
Christine
DDR 1963/1974, R: Slatan Dudow, K: Helmut Bergmann, M: Wilhelm Neef, D: Annette Woska, Günther Haack, Horst Schulze, Armin Mueller-Stahl, Friedo Solter, Günter Schubert, 106’ DVD
Slatan Dudow verstarb am 12. September 1963 unweit von Berlin nach einem Verkehrsunfall. Sein achter und damit letzter Spielfilm Christine war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig abgedreht. Nach Frauenschicksale (1952) und Verwirrung der Liebe (1959) widmete sich der Regisseur darin einmal mehr den sich wandelnden Geschlechterrollen. Mit der Titelheldin Christine entwarf er eine eher labile Persönlichkeit, die sich allzu leicht wechselnden Männerbekanntschaften hingibt und vier Kinder von vier verschiedenen Vätern austrägt. Nach einem Rummelplatz-Mitarbeiter, einem Wirtschaftsfunktionär, einem katholischen Familienvater und einem Heiratsschwindler lernt sie während einer Weiterbildung endlich den Mann kennen, der es ernst mit ihr zu meinen scheint. Der Film blieb mehr als zehn Jahre als Torso im DEFA-Studio liegen, bevor man sich dort zu einer vorsichtigen Rekonstruktion entschloss. 1974 erlebte eine teilweise nachvertonte Rohschnittfassung ihre Erstaufführung. Das Ergebnis überrascht durch seine Ironie und Frische. Die Figurenkonstellation mutet dabei teilweise wie eine Vorwegnahme von Egon Günthers Der Dritte (1972) an. (cl)
Eintritt frei
am 1.8.2013 um 20.00 Uhr
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