HANDS ON FASSBINDER
DISKUSSIONEN.ASSOZIATIONEN.FILME IM KINO
Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) ist einer der bedeutendsten europäischen Regisseure deutscher Herkunft. Zusammen mit dem Collegium Hungaricum Berlin, dem Zeughauskino, der Rainer Werner Fassbinder Foundation und der Bundeszentrale für politische Bildung möchte die Filmzeitschrift Revolver Fassbinders Werk neu erschließen und zur Quelle von politischen, historischen, kulturellen und filmischen Visionen machen. Im Rahmen von Konferenzen, die noch bis zum November im Collegium Hungaricum Berlin stattfinden werden, sollen Ansätze und Fragestellungen, die Fassbinders mittlerweile historischen Arbeiten zugrunde liegen, auf unsere Gegenwart bezogen werden – eine Einstellung, die Fassbinders Grundhaltung entspricht. Dafür werden Film- und Medienfachleute, Schauspieler, Kritiker, Philosophen und Wissenschaftler eingeladen, aus seinem Nachlass neue Energien zu gewinnen – für das Filmland Deutschland und darüber hinaus. Abgestimmt auf die Themen der Konferenzen lädt das Zeughauskino jeweils im Vorfeld der Veranstaltungen zur Wiederentdeckung der Filme von Rainer Werner Fassbinder ein. Eine aktualisierte Fassung des Veranstaltungsprogramms findet sich unter der Adresse: www.handsonfassbinder.de. Die Veranstaltungsreihe Hands on Fassbinder wird vom Hauptstadtkulturfonds gefördert.
HANDS ON FASSBINDER
Lili Marleen
BRD 1980, R: Rainer Werner Fassbinder, B: Manfred Purzer, K: Xaver Schwarzenberger, D: Hanna Schygulla, Giancarlo Giannini, Mel Ferrer, Hark Bohm, Karl-Heinz von Hassel, 120‘ 35 mm
Die Zusammenarbeit Rainer Werner Fassbinders mit dem Produzenten Luggi Waldleitner, der vor allem als Produzent von seichten Pornos bekannt war, stellte für viele eine Überraschung dar. Papas Kino traf hier sprichwörtlich auf den Neuen Deutschen Film. Basierend auf dem Leben der Lale Anderson erzählt Lili Marleen die Geschichte der jungen Sängerin Willie, die nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit ihrem Lied Lili Marleen zum Star der deutschen Soldaten avanciert. Während sie Karriere macht, hilft ihr Freund Robert Juden das Land zu verlassen. Als Robert von der Gestapo verhaftet wird, gerät auch Willie zwischen die Fronten.
Lili Marleen ist einer von Fassbinders umstrittensten Filmen. Nicht nur kritisierten einige einen kommerziellen Charakter des Projektes; Fassbinders Versuch, die unter den Nationalsozialisten gepflegte Ufa-Ästhetik zu imitieren, stieß bei vielen auch auf Unverständnis, dabei wollte Fassbinder sich gerade mit den Mechanismen der Unterhaltungsindustrie auseinandersetzen. „Von allen Filmen der siebziger und frühen achtziger Jahre, die den Faschismus thematisierten, ging Fassbinder in Lili Marleen mit seiner Kombination aus Faschismus und Unterhaltungsindustrie am Weitesten. (...) Lili Marleen ist eine sarkastische Aufarbeitung des nationalsozialistischen Krieges als ein weiteres Gesicht des Showbusiness.“ (Thomas Elsaesser). (hb)
am 11.11.2012 um 18.00 Uhr
am 15.11.2012 um 20.00 Uhr
HANDS ON FASSBINDER
Eine Reise ins Licht – Despair
BRD/F 1978; R: Rainer Werner Fassbinder, B: Tom Stoppard, K: Michael Ballhaus, D: Dirk Bogarde, Andréa Ferréol, Klaus Löwitsch, Volker Spengler, 119‘ 35 mm, OF
Die deutsch-französische Koproduktion Despair markiert einen wichtigen Einschnitt in Fassbinders Werk. Dank seines Erfolgs stand Fassbinder für Despair das bisher größte Budget zur Verfügung. Fassbinder bereitete das Projekt, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Vladimir Nabakov, minutiös vor. Als Mitwirkende konnte er den Autor Tom Stoppard und die beiden Schauspieler Dirk Bogarde und Andréa Ferréol gewinnen, allesamt Stars des internationalen Kinos. Mit Despair sollte der große internationale Durchbruch gelingen.
Despair erzählt von Hermann Hermann, der Ende der zwanziger Jahre in Berlin eine Schokoladenfabrik besitzt. Hermann steckt in einer schweren Krise. Wirtschaftlich steht es schlecht um sein Unternehmen, die Beziehung zu seiner Ehefrau langweilt ihn und die Nationalsozialisten sind auf dem Vormarsch. Hermann beschließt, sein Leben radikal zu ändern. Sein verrückter Plan: Er überredet einen Landstreicher, dessen Identität mit ihm zu tauschen...
Dem um sich greifenden Wahnsinn Hermanns stellt Fassbinder den Aufstieg der Nationalsozialisten gegenüber. Das Zeitbild, das Fassbinder zeichnet, ist nicht weniger „als ein Abgesang auf eine Gesellschaft, die am verschwinden ist“ (Thomas Elsaesser). Mit Despair gelang Fassbinder kein internationaler Durchbruch. Zwar war der Film1978 im Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes vertreten, doch lief parallel auf dem Filmmarkt eine weitere Produktion, die Fassbinder nur widerwillig gedreht hatte: Die Ehe der Maria Braun. (hb)
am 11.11.2012 um 20.30 Uhr
am 14.11.2012 um 20.00 Uhr
HANDS ON FASSBINDER
Die bitteren Tränen der Petra von Kant
BRD 1972, R/B: Rainer Werner Fassbinder, K: Michael Ballhaus, D: Margit Carstensen, Hanna Schygulla, Irm Hermann, 124‘ 35 mm, OmeU
Petra von Kant, eine erfolgreiche und vermögende Modeschöpferin, lebt mit ihrer Sekretärin Marlene zurückgezogen in ihrer Wohnung. Ihr erster Mann ist verstorben, die zweite Ehe ging vor Kurzem in die Brüche. Als Petra von Kant die gut zehn Jahre jüngere Karin Thimm trifft, verliebt sie sich in die junge Frau und bietet ihr an, als Model zu arbeiten. Karin willigt ein und die beiden werden ein Paar. Doch Karin langweilt sich und kehrt zu ihrem Mann zurück. Petra von Kant verzweifelt.
Die bitteren Tränen der Petra von Kant ist ein virtuoses Kammerspiel, präzise inszeniert und von drei starken Darstellerinnen – Margit Carstensen, Hanna Schygulla und Irm Hermann – getragen. Statt die Emanzipation der Frauen zu kritisieren – was ihm zeitgenössische Rezensenten vorwarfen -, geht es Fassbinder um das Offenlegen von gesellschaftlichen Mechanismen. „Ich finde, die Petra von Kant zum Beispiel ist ein sehr politischer Film, weil er eben gerade mit solchen Mechanismen wie Scheinemanzipation und so was arbeitet oder gegen sie vorgeht, gegen sie arbeitet. Ich bin nicht dafür, politische Filme so mit roten Fahnen zu machen.“ (Rainer Werner Fassbinder, zit. nach Christian Braad Thomsen) (hb)
am 13.11.2012 um 20.00 Uhr
HANDS ON FASSBINDER
Angst essen Seele auf
BRD 1974, R: Rainer Werner Fassbinder, D: Brigitte Mira, El Hedi Ben Salem, Barbara Valentin, Irm Hermann, Walter Sedlmayr, Marquard Bohm, 93‘ 35 mm, OmeU
Fassbinders berühmtester, quasi sprichwörtlicher Film über eine ungewöhnliche Liebe. Der ursprüngliche Titel war Alle Türken heißen Ali. Der neue Titel entstand durch den charmanten Fehler von „Ali“, gespielt von Fassbinders großer Liebe El Hedi Ben Salem, im Gespräch mit der deutschen Witwe (Brigitte Mira), die ihn liebevoll verbessert: „Angst isst Seele auf. Das klingt schön. Sagt man so bei euch?“ Emmi Kurowski war mit einem ehemaligen polnischen Fremdarbeiter glücklich verheiratet gewesen, was sie nicht daran hindert, mit ihrem neuen Mann nach der Eheschließung endlich einmal bei Hitlers Lieblingsitaliener essen zu gehen, sie war ja, „wie eigentlich alle, in der Partei, fast alle“. „Der Hitler weißt du?“ fragt sie ihren Mann. „Hitler, ja“, antwortet der Marokkaner. Noch mehr Figurenspannweite beweist dieses streng gebaute und auch in der Farbkomposition ausgewählte Lehrstück in seinem Ende: Nein, keiner der beiden ungleichen Ehepartner stirbt sofort unter dem immensen Druck der Umwelt. Beide suchen nach Ausgleich und als Ali sich Sex bei der Barbesitzerin (Barbara Valentin) holt, ist Emmi bereit das zu akzeptieren: „Du bist doch ein freier Mensch“ und „Wenn wir zusammen sind, dann müssen wir gut sein zueinander, sonst ist das ganze Leben nichts wert.“
Im Gespräch mit Hans Günther Pflaum bemerkte Fassbinder 1974: „Heute glaub’ ich eher, dass man, wenn man diese deprimierenden Verhältnisse nur reproduziert, sie damit verstärkt. Deshalb sollte man eher die herrschenden Verhältnisse so durchschaubar darstellen, dass sie bewusst werden, und zeigen, dass sie überwunden werden können.“ (sw)
am 16.11.2012 um 19.00 Uhr
am 18.11.2012 um 21.00 Uhr
HANDS ON FASSBINDER
Querelle
BRD/F 1982, R: Rainer Werner Fassbinder, D: Brad Davis, Franco Nero, Jeanne Moreau, Laurent Malet, Hanno Pöschl, Günther Kaufmann, 107‘ 35 mm, DF
Die Verfilmung von Jean Genets Roman Querelle de Brest ist die letzte realisierte Regiearbeit von Rainer Werner Fassbinder. In den CCC-Filmstudios von Berlin errichtete der Szenenbildner Rolf Zehetbauer die in orangenes Licht getauchte, künstliche Welt des Hafens von Brest. Fassbinder beschäftigt sich mit der Erzählweise von Genet und begleitet die „wenig interessante, eher drittklassige Kriminalgeschichte“ (Rainer Werner Fassbinder) mit zwei Erzählerstimmen. Die Reflexionen des Autors übernimmt Leutnant Seblon (Franco Nero). Er spricht seine Betrachtungen über den von ihm heimlich geliebten, ihm untergeordneten Matrosen Querelle (Brad Davis) in ein Diktaphon. Eine anonyme Erzählerstimme und Originaltext-Inserts im Film bilden die zweite Ebene. Verhandelt wird die seltsam unreale, gleichzeitig sehr physische Suche von Querelle, dem alle verfallen, während er nach erotischer und geistiger Erfüllung strebt. Dass diese Suche an Unterwerfung, Mord und Verrat geknüpft ist, machte schon das Buch 1947 zu einem Skandal: „Jean Genet spricht das Intimste und das Öffentlichste aus, die Verwandlungen der Grausamkeit in Entzücken und des Entzückens in Grausamkeit, die Riten der Mörder, Opfer und Henker, die miteinander identisch sind.” (Rowohlt Verlag). (sw)
am 16.11.2012 um 21.00 Uhr |