Zeughauskino

 

Kino im Zeughaus | Programm | Programmarchiv


November | Dezember
Berlin.Dokument | Hands on Fassbinder | Ohne Genehmigung | Rekonstruktion. Finnland Rumänien
Günter Reisch | Unter Vorbehalt | Verführung Freiheit | Wiederentdeckt

 


  VERFÜHRUNG FREIHEIT

 

VERFÜHRUNG FREIHEIT

VERFÜHRUNG FREIHEIT – unter diesem Titel präsentiert das Deutsche Historische Museum noch bis zum 10. Februar eine Kunstausstellung, die in zwölf Kapiteln die künstlerischen Auseinandersetzungen mit den Idealen der Aufklärung, dem Glauben an universale Menschenrechte und den Vorstellungen von Freiheit, Gleichheit und Demokratie untersucht. Die begleitende Filmreihe erweitert die Ausstellung um die filmkünstlerischen Auseinandersetzungen. Ihre Programmauswahl, die wie die Ausstellung Werke aus verschiedenen europäischen Ländern berücksichtigt, orientiert sich an den Themen der Ausstellung.

 

VERFÜHRUNG FREIHEIT
Die Patriotin
BRD 1979, R: Alexander Kluge, K: Günther Hörmann, Werner Lüring, Jörg Schmidt-Reitwein, Thomas Mauch, D: Hannelore Hoger, Dieter Mainka, Alfred Edel, Alexander von Eschwege, Beate Holle, 123’    35 mm

Alexander Kluge entwirft in seinem grüblerischen Film eine aus drei Perspektiven bestehende Versuchsanordnung zur jüngsten deutschen Geschichte. Im Zentrum steht die hessische Lehrerin Gabi Teichert (Hannelore Hoger), die sich weigert, ihren Schülern in „Lehreinheiten“ portionierte Historie zu vermitteln. Sie sitzt in ihrer Wohnung und gräbt regelrecht nach einem anderen, tieferen und ehrlicheren Wissen. Seitens der Schulleitung erfolgen deshalb wiederholt Maßregelungen. Ihre Bemühungen werden kommentiert vom Knie des Obergefreiten Wieland, von diesem getrennt im Stalingrader Kessel seit dem 29. Januar 1943: „Ich muss nämlich mal mit einem grundsätzlichen Missverständnis aufräumen, dass wir Toten nämlich irgendwie tot wären. Wir sind voller Protest und Energie. Wir durcheilen, durchforsten die Geschichte.“ Die dritte Stimme zu diesem Diskurs liefert Kluge selbst. Er läuft in seiner Montagetechnik zu Hochform auf. Experimentelle Momente greifen in dokumentarische Szenen, Animationen wechseln mit Videosequenzen, Schrifttafeln mit Fotografien. „Kluge ist nie larmoyant, kein Apostel der Resignation. Ihm und seiner Patriotin mag es zwar an Ordnungssinn mangeln (und das ist gut so), aber in unserer Republik der kalten Herzen bleibt er ein Kämpfer.“ (Hans C. Blumenberg) (cl)

am 1.11.2012 um 20.00 Uhr
am 8.11.2012 um 20.00 Uhr

 

VERFÜHRUNG FREIHEIT
Sedmikrásky
Tausendschönchen – kein Märchen
ČSSR 1966, R/B: Věra Chytilová, B/Ausstattung: Ester Krumbachová, K: Jaroslav Kučera, M: Jiří Šust, Jiří Šlitr, D: Jitka Cerhová, Ivana Karbanová, Julius Albert, Jan Klusák, Marie Češková, Marcela Březinová, 74’     Blu-ray, OmU

Zwei Mädchen, die eine blond, die andere dunkel, beide tragen den gleichen Namen: Marie. Ihr fragwürdiges Tagwerk besteht im Müßiggang, dies jedoch bis zur letzten Konsequenz. Sie befinden sich unablässig in aufgekratzter Stimmung, kichern, provozieren, spielen mit zahllosen oberflächigen Gesten zwischen Eleganz und Vulgarität. In Restaurants lassen sie sich von älteren Herren aushalten, machen ihnen Hoffnung und schöne Augen, um sie dann aber am Bahnhof Richtung Provinz abzuschieben. Zwischen diesen harmlosen Abenteuern lungern die Mädchen auf einem Doppelbett oder im Freibad am Ufer der Moldau herum, bereiten sich auf ihre nächsten Beutezüge vor, von denen sie dann ebenso schnell wieder gelangweilt sind. Der kürzlich verstorbene Filmkritiker Amos Vogel brachte es in seinem Klassiker Film als subversive Kunst auf den Punkt: „Keine Arbeit aus dem Osten hat sich jemals so weit entfernt von der grauen Langeweile des so genannten sozialistischen Realismus.“ Sedmikrásky ist ein Feuerwerk aus experimentellen Stilmitteln, ist märchenhaft, verspielt, anarchisch, komisch, burlesk und vor allem völlig unberechenbar. Seine nur 74 Minuten gehören zu den kompaktesten und freiesten der gesamten Filmgeschichte. Es gelang eine zeitlose wie universelle Farce, die gegen die zynische Vision einer am Rande des Abgrunds balancierenden Welt revoltiert. (cl)

am 2.11.2012 um 19.30 Uhr
am 4.11.2012 um 20.30 Uhr

 

VERFÜHRUNG FREIHEIT
Alle meine Mädchen
DDR 1980, R: Iris Gusner, K: Günter Haubold, B: Gabriele Kotte, M: Baldur Böhme, Orion, D: Andrzej Pieczynski, Viola Schweizer, Madeleine Lierck, Evelin Splitt, Monica Bielenstein, Lissy Tempelhof, Carmen-Maja Antoni, Fritz Marquardt, Klaus Piontek, Barbara Schnitzler, Jaecki Schwarz, 86’           35 mm

Seltenes Beispiel einer Film-im-Film-Konstellation bei der DEFA: Der Filmstudent Ralf Päschke bekommt den Auftrag, über eine als vorbildlich eingestufte Frauenbrigade beim VEB Glühlampenwerk NARVA einen Dokumentarfilm zu drehen. Seine Position ist zunächst eine skeptische. Zunehmend identifiziert er sich jedoch mit seiner Arbeit und findet mentalen Kontakt zu den im Werk arbeitenden Frauen. Bald stellt sich heraus, dass unter der Oberfläche der Vorzeigebrigade viele Widersprüche lauern. Als sich Ralf in ein vom Kollektiv ausgegrenztes Mädchen verliebt, wird er vollends selbst zum Teil des komplizierten Beziehungsgeflechts.
Die an der Moskauer Filmhochschule ausgebildete Regisseurin hat ein lebensnahes Gruppenporträt realisiert; Alle meine Mädchen ist Iris Gusners bester Film geworden. „... ein rundum respektabler Kinofilm: Neben Konrad Wolfs Solo Sunny die sympathischste und gekonnteste DEFA-Produktion der letzten Zeit. Die engen Beziehungen zwischen Arbeitswelt und Privatleben werden ebenso unterhaltsam wie ernsthaft dargestellt.“ (Heinz Kersten). Der polnische Hauptdarsteller Andrzej Pieczynski spielte später auch für Wim Wenders, Roman Polanski und Andrzej Wajda. Ihm zur Seite standen damals, bis in die Nebenrollen hinein, einige der prägnantesten DDR-Schauspieler. (cl)

am 3.11.2012 um 19.00 Uhr
am 6.11.2012 um 20.00 Uhr

 

VERFÜHRUNG FREIHEIT
Tulitikkutehtaan tyttö
Das Mädchen aus der Streichholzfabrik
FIN 1989, R: Aki Kaurismäki, K: Timo Salminen, D: Kati Outinen, Elina Salo, Vesa Vierikko, Esko Nikkari, Silu Seppälä, 69’ 35 mm, OmU

Mit diesem 1990 auf dem Forum der Berlinale uraufgeführten Kammerspiel treibt der Finne Aki Kaurismäki seinen lakonischen Stil auf die Spitze. Die erste im Film gesprochene Dialogzeile findet nach einer knappen Viertelstunde statt und lautet: „Ein kleines Bier.“ Die Geschichte der vom Schicksal gebeutelten Hauptfigur braucht nicht viele Worte, dabei mangelt es ihr jedoch nicht an Stringenz: Nach endlosen Schikanen durch Mutter und Stiefvater wird die Streichholzschachtel-Gütekontrolleurin Iris von einem reichen Schnösel schwanger. Dieser glaubt, mit Geld alles regeln zu können, und verletzt mehrfach ihren Stolz. Später verliert Iris bei einem Verkehrsunfall das Kind. Dann holt sie zum Gegenschlag aus und macht sich mit einer großen Packung Rattengift auf den Weg... Tulitikkutehtaan tyttö ist der dritte Teil von Kaurismäkis „proletarischer Trilogie“, nach Ariel und Varjoja paratiisissa (Schatten im Paradies). Er etablierte damit endgültig seine ganz eigene, unverwechselbare Handschrift. „Kaurismäki ist kein Purist, macht kein Kunstkino. Er dramatisiert nicht, er emotionalisiert nicht, er ironisiert nicht. Er konstatiert – das macht seinen Film so unendlich traurig, so anrührend komisch. Man möchte weinen, aber es geht nicht. So einfach kann Kino sein.“ (Christiane Peitz). (cl)

am 3.11.2012 um 21.00 Uhr
am 4.11.2012 um 19.00 Uhr

 

VERFÜHRUNG FREIHEIT
Balanţa
Le Chêne – Baum der Hoffnung
F/RO 1992, R: Lucian Pintilie, K: Doru Mitran, D: Maia Morgenstern, Răzvan Vasilescu, Victor Rebengiuc, Dorel Vişan, Mariana Mihut, 105’                       35 mm, OmU

Bukarest im Jahr 1988: Neles Vater – ein ehemaliger, in Unehren entlassener Securitate-Oberst – hat seinen Körper testamentarisch dem anatomischen Institut vermacht. Dort will man den Leichnam nicht haben. „Wir haben keinen Mangel an Leichen, wir haben einen Mangel an Kühlschränken.“, heißt es lapidar. Die Asche des Toten wird Nele in einem Schraubglas ausgehändigt, mit dem sie sich zu einer katastrophalen Reise quer durch Rumänien aufmacht. Nur durch die Beziehung zu einem furchtlosen jungen Arzt gelingt es ihr, die zwischen Aberwitz und Tragödie pendelnden Kapitel zu überleben. „Dieser Film ist eine Reise durch verschiedene Höllen. Welche Werte bleiben im Menschen, in einer Gemeinschaft bestehen, wenn man sich mit dem Untergang einzurichten versucht, so tut, als wäre er ganz normal, während das Unkontrollierbare banal, alltäglich wird?“ (Lucian Pintilie). Der Film historisiert nur scheinbar, er wird zur bitteren Bestandsaufnahme eines Landes, dessen Gesellschaft auch drei Jahre nach der Befreiung von der Diktatur Ceauçescus noch stark traumatisiert ist. Pintilie (Jahrgang 1933) emigrierte bereits 1972 nach Paris, durfte zwischenzeitlich wieder zurückkehren und emigrierte 1982 erneut. Seine Filme schufen die Grundlage für das „rumänische Filmwunder“, das spätestens ab 2007 mit Cristian Mungius 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage weltweit von sich reden machte. (cl)

am 7.11.2012 um 20.00 Uhr

 

 
  Filmarchiv