Spanien! | Guernica
Wie bilden sich gesellschaftliche Umbrüche im Kino ab? Wie wird kollektiv Erlebtes zu Film? Wann greifen Filme in Geschichtsverläufe ein? Die fortlaufende Reihe UMBRÜCHE: FILM ALS ZEITGENÖSSISCHER AKTEUR lädt zur Revision einschneidender Momente ein, in denen sich Film- und Zeitgeschichte überlagert haben. Im Januar und März widmet sich die Reihe an insgesamt sechs Abenden der filmischen Auseinandersetzung mit dem spanischen Bürgerkrieg, der das erste weltpolitische Geschehen war, das von einer kontinuierlichen Bildproduktion begleitet wurde. Wie nie zuvor war die internationale Öffentlichkeit „im Bilde" über die Vorgänge in Spanien und Filme spielten eine zentrale Rolle an den erweiterten Frontlinien eines drohenden Weltkriegs. Das Programm verfolgt Spuren dieser Bildproduktion vom agitatorischen Wochenschaukino der Kriegsjahre über die filmische Trauerarbeit der 1950er Jahre bis in die jüngere Vergangenheit, wo das Kino an den Biografien ehemaliger Spanien-Kämpfer die Tragweite eines Verlusts ermisst, der bis heute nicht ausgeglichen ist. Durch das Programm ziehen sich zwei wiederkehrende Parallel-Erzählungen, die sehr unterschiedliche Ikonografien ausgebildet haben: zum einen die „Live"-Kriegsberichterstattung, zum anderen „Guernica" ‒ als frühes Wahr-Zeichen des Bombenkriegs wie auch als Emblem einer Kunst, die mit Picasso und dem Kubismus „auf der Höhe ihrer Zeit" war.
UMBRÜCHE: FILM ALS ZEITGENÖSSISCHER AKTEUR wird kuratiert von Tobias Hering und entsteht in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut e.V.
UMBRÜCHE
"Spanien 1936"
K sobytijam w Ispanii (Zu den Ereignissen in Spanien)
UdSSR 1936, R/K: Roman Karmen, Boris Makaseev, Teile 9 + 10, ca. 15' · 35 mm, russ. OF mit dt. Einführung
España 1936 (aka España leal en armas, aka Madrid 1936)
E 1936, R: Jean-Paul Le Chanois (aka Dreyfus), Luis Buñuel, P: Luis Buñuel, K: Roman Karmen u.a., 35‘ · 35 mm, frz. OF mit engl. UT
The Spanish Earth
USA 1937, R: Joris Ivens, K: John Ferno, B: Joris Ivens, Ernest Hemingway, 52’ · 35 mm, engl. OF
„Dies wertlose Land wird mit Wasser viel hergeben. Fünfzig Jahre lang wollten wir es bewässern, aber sie ließen uns nicht. Jetzt bringen wir ihm Wasser, damit es Nahrung gibt für die Verteidiger von Madrid." (aus dem Voiceover von The Spanish Earth).
Der spanische Bürgerkrieg wurde von allen Beteiligten vor dem Hintergrund weltpolitischer Machtverhältnisse und Allianzen geführt. Während die deutsche Unterstützung der Putschisten bereits der Vorbereitung des geplanten Weltkriegs galt, war die Sowjetunion das einzige europäische Land, das die legitime spanische Regierung militärisch und ideologisch unterstützte. Auch in der Filmproduktion, die unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges im Sommer 1936 begann, spiegelte sich das Bewusstsein der „größeren Zusammenhänge", die auf dem Spiel standen. Entlang ähnlicher Solidaritätslinien wie die „Internationalen Brigaden" ‒ von der Sowjetunion und den kommunistischen Parteien Europas rekrutierte Freiwillige zur Unterstützung der republikanischen Seite ‒ kamen auch zahlreiche Filmemacher ins Land und dokumentierten den Kriegsverlauf und den prekären Alltag. Das sowjetische Duo Roman Karmen und Boris Makaseev produzierte zwischen 1936 und 1938 zahlreiche Wochenschauberichte über den spanischen Bürgerkrieg, die zeitnah in sowjetischen und europäischen Kinos gezeigt wurden. Ausschnitte aus dieser kontinuierlichen Filmberichterstattung fanden auch Verwendung in vielen anderen Filmen, so zum Beispiel in España 1936, einer von Jean-Paul Le Chanois und Luis Buñuel geschnittenen Montage aus Filmmaterial verschiedener Provenienz. Buñuel arbeitete 1936 in der spanischen Botschaft in Paris und hatte die Aufgabe, Filme über den Bürgerkrieg zu sammeln und in Umlauf zu bringen. España 1936 war auf der Weltausstellung 1937 in Paris Teil des Filmprogramms im spanischen Pavillon, in dem sich das zeitpolitische Geschehen und seine bildliche Darstellung nahe kamen wie selten zuvor. Zentrales Ereignis dieser Verdichtung war freilich Picassos große Leinwand Guernica. Das Verbrechen, das den Künstler hier zu einem piktoralen Aufschrei trieb, ist auch in Joris Ivens` im Frühjahr 1937 gedrehtem narrativen Dokumentarfilm The Spanish Earth bereits als Vorahnung spürbar. The Spanish Earth wurde von John dos Passos und Ernest Hemingway mitfinanziert ‒ letzterer spricht auch den markanten Voiceover-Kommentar ‒ und war ebenfalls im spanischen Pavillon 1937 zu sehen, bevor er ‒ nicht anders als Picassos Guernica ‒ auf Welttournee ging. (th)
Einführung: Tobias Hering
am 28.01.2014 um 20.00 Uhr
UMBRÜCHE
L‘Espoir
F 1945, R: André Malraux, K: Louis Page, B: André Malraux, Denis Marion, S: Boris Peskine, Max Aub, D: José Sempere, Andrès Mejuto, José Lado, Nicolas Rodriguez, 71‘ · 35 mm, OmU
Vorprogramm:
K sobytijam w Ispanii
UdSSR 1936, R/K: Roman Karmen, Boris Makaseev, Teil 20, ca. 18' · 35 mm, russ. OF mit dt. Einführung
Teil 20 der Wochenschauen des sowjetischen Kamerateams Karmen/Makaseev berichtet vom 2. Internationalen Schriftstellerkongress, der im Juli 1937 in Valencia, Madrid und Paris stattfand. Der Kongress stand im Zeichen des spanischen Bürgerkriegs und diente unverkennbar der Mobilisierung für die „Internationalen Brigaden". Im Publikum sind u.a. Anna Seghers, Egon Erwin Kisch und André Malraux zu sehen. Letzterer war Mitorganisator des Kongresses und hatte sich bereits im Jahr zuvor den Internationalen Brigaden angeschlossen. Er diente in der republikanischen Luftwaffe, die jedoch mit veralteten Flugzeugen ausgerüstet war und unter chronischem Materialmangel litt. Seine Kriegserfahrungen verarbeitete André Malraux im Roman Espoir (dt. Die Hoffnung), der bereits 1937 erschien. Noch während des Spanien-Kriegs, im Sommer 1938, begannen in Barcelona die Dreharbeiten an dem gleichnamigen Spielfilm, der Malraux' einzige Regiearbeit blieb und doch ein stilistisch und dramaturgisch ausgereiftes Stück Kino ist. Die Handlung des Films dreht sich um den Versuch der republikanischen Truppen, ein klandestines Flugfeld der Gegenseite auszuschalten. Malraux interessiert sich dabei für die hoch emotionalen Momente der Solidarität, des Verrats und der Opferbereitschaft und stellt nicht nur den Internationalismus der Brigaden dar, sondern deutet auch an, dass die republikanische Seite in einem ungleichen Kampf im Stich gelassen wurde. Als Francos Truppen im Januar 1939 Barcelona einnahmen, war der Film erst zur Hälfte fertiggestellt und wurde im April 1939 in Frankreich vollendet. Dann jedoch wurde L‘Espoir ein Opfer der Appeasement-Politik der Regierung von Édouard Daladier und erhielt keine Freigabe. Erst im Juni 1945 kam der Film ‒ versehen mit einer Vorrede des Schriftstellers und Kriegshelden Maurice Schumann ‒ in Frankreich in die Kinos. Ein verspäteter Hilferuf aus einer Zeit, als es noch Hoffnung zu geben schien. (th)
Einführung: Tobias Hering
am 29.01.2014 um 20.00 Uhr
UMBRÜCHE
El árbol de Guernica
The Guernica Tree
I/F 1975, R/B: Fernando Arrabal, K: Ramón F. Suárez, D: Mariangela Melato, Ron Faber, Cosimo Cinieri, Rocco Fontana, Franco Ressel, Mario Novelli, Cirylle Spiga, 100’ · DVD, OmeU
Vorprogramm:
Guernica
F 1950, R: Alain Resnais, Robert Hessens, K: Henri Ferrand, M: Guy Bernard, 13‘ · 35 mm, OmeU
Nur eine Woche nach der Bombardierung der baskischen Stadt Guernica durch die deutsche Luftwaffe begann Pablo Picasso mit der Arbeit an seinem berühmtesten Werk, einer 8 mal 3,50 Meter messenden Leinwand in schwarz-weiß-grau, die das unvorstellbare Leiden sichtbar machen sollte. Zur kanonischen Rezeption von Guernica gehört auch die Feststellung, dass das Vokabular des Kubismus hier, in der Anwendung auf den Horror des Bombenkriegs, seinen Kulminationspunkt fand. Alain Resnais und Robert Hessens haben diese Lesart in ihrem Experimentalfilm Guernica aufgegriffen. Die Montage von Motiven aus Picassos Werken dramatisiert die zunehmende Radikalisierung der kubistischen Dekomposition zur Zerreißprobe einer Welt, die am Ende zerschlagen am Boden liegt.
Als sich der spanische Kultregisseur Fernando Arrabal 1975 der Thematik des Bürgerkriegs annahm, diente ihm die Assoziation „Guernica" als Schlüssel ins Unterbewusste: der Bürgerkrieg wird hier als kollektive Psychose und blutige Familienfehde codiert, die in einer zur Unzeit gewordenen Gegenwart einen Gewaltexzess nach dem anderen hervorbringt.El árbol de Guernica spielt in der fiktiven Provinzstadt Villa Romero, in der sich die Säulen der Feudalzeit unverändert erhalten haben: Leibeigenschaft, katholischer Fanatismus, Aberglauben, der Sadismus der Mächtigen und der Hass der Unterdrückten. Als die Stadt von den Truppen des herrschenden Regimes wegen der Renitenz ihrer Einwohner bombardiert wird, werden der surrealistische Maler „Goya" und die als Hexe Verstoßene „Vandale" zu Anführern eines blutigen Aufstands. El árbol de Guernica ist ein selten zu sehendes Meisterwerk des anarchischen Kinos, ein zügelloses Kunstwerk voller Sex, Gewalt, Kitsch und politischer Symbolik, das noch heute mit seinen Geschmacklosigkeiten begeistern kann. (th)
Mit freundlicher Unterstützung des Institut français
Einführung: Tobias Hering
am 30.01.2014 um 20.30 Uhr
UMBRÜCHE
Spanien!
BRD 1973, R: Peter Nestler, 45' · 16 mm
Vorprogramm:
K sobytijam w Ispanii
UdSSR 1936, R/K: Roman Karmen, Boris Makaseev, Teile 3 + 18, ca. 23' · 35 mm, russ. OF mit dt. Einführung
Guernica
DK 1950, R: Helge Ernst, K: Frits Østergren, Helge Ernst, 6' · DCP, stumm
Ein zeitgenössischer Kommentar zu Peter Nestlers Spanien!-Film: „Entschieden politischer als Ivens' Spanish Earth ist Peter Nestlers Spanien!, der aus Interviews vor allem mit ehemaligen Mitgliedern der internationalen Brigaden, Filmzitaten, Photos und eigenem Spanien-Material montiert wurde. Denn bei Nestler ist der Spanische Bürgerkrieg kein isoliertes historisches Phänomen; die Interviewten selbst machen dies deutlich, denn für viele dieser alten Kommunisten war Spanien nur eine Etappe zwischen den Roten Garden nach dem ersten Weltkrieg und der Diskriminierung zuhause, den KZs (nicht nur im Deutschen Reich) und dem antifaschistischen Widerstand im zweiten Weltkrieg. Darüber hinaus verknüpft er den damaligen mit dem heutigen Widerstand gegen das durch Massentourismus und ausländisches Kapital konsolidierte Franco-Regime." (Kraft Wetzel).
Zu Nestlers dokumentarischem Wutstück werden hier zwei sowjetische Wochenschauen von 1937 gezeigt, in denen u.a. die Mobilmachung internationaler Brigaden in Barcelona zu sehen ist – symbolisch aufgeladen mit Aufnahmen eines Stierkampfes –, ein Bericht von einem erfolgreichen Feldzug der Regierungstruppen, aber auch unkommentierte Bilder von ermordeten Zivilisten. Ideengeschichtlich steht der Experimentalfilm Guernica des Dänen Helge Ernst für die Dunkelheit zwischen dem Kampfgeist von 1937 und der noch immer nicht verjährten Wut am Ende der Franco-Ära: eine expressionistische Filmperformance, die mit handstilisierten Elementen aus Picassos Guernica existenzielle Verzweiflung ins Bild setzt. (th)
Einführung: Tobias Hering
am 10.03.2014 um 20.00 Uhr
UMBRÜCHE
Unversöhnliche Erinnerungen
BRD 1979, R: Klaus Volkenborn, B: Klaus Volkenborn, Johann Feindt, Karl Siebig, 92' · 16 mm
Dem 2005 verstorbenen Dokumentarfilmregisseur und -produzenten Klaus Volkenborn verdanken wir eines der prägnantesten Zeitzeugendokumente über die deutsche Beteiligung am spanischen Bürgerkrieg. Zwei Protagonisten, zwei gegensätzliche Biografien, deren je eigene Klarheit und Prinzipientreue die Kontinuitäten der Geschichte ungeschminkt zum Ausdruck bringen: der Bundeswehrgeneral a.D. und frühere Pilot der „Legion Condor" Henning Strümpell in seinem Eigenheim im Taunus und der Maurer, Antifaschist und Spanien-Kämpfer Ludwig Stillger und seine Frau in ihrer Mietwohnung in Remscheid. Für den ersten war die Bombardierung spanischer Städte ein Jugendabenteuer am Beginn seiner militärischen Paradelaufbahn. Für den zweiten war der Krieg die Hölle, der Kampf in den Internationalen Brigaden jedoch eine moralische Pflicht, der gefolgt zu sein ihm dann in der BRD zum Stigma gemacht wurde. Als der Film 1979 im Fernsehen ausgestrahlt wurde, war die Lektion für das zeitgenössische Publikum so beschämend, dass Sender und Regisseur mit einer wahren Flut von Zuschauerbriefen eingedeckt wurden, deren Tenor war: „Das kann doch nicht sein! Das darf doch nicht sein!" Konnte es aber und war es auch und ist es auch heute noch. (th)
Einführung: Tobias Hering, zu Gast: Jochen Voit
am 11.03.2014 um 20.00 Uhr
UMBRÜCHE
Land and Freedom
GB/E/D/I 1995, R: Ken Loach, B: Jim Allen, K: Barry Ackroyd, D: Ian Hart, Rosana Pastor, 109' · 35 mm, OmU
Vorprogramm:
Guernica
USA 1949, R: Robert J. Flaherty, B: William S. Lieberman, S: David Flaherty, 12’ · 16 mm, OF, stumm
In den Hinterlassenschaften ihres gerade verstorbenen Großvaters findet eine junge Frau eine Kiste mit Memorabilien aus dem spanischen Bürgerkrieg. Als Flashback erzählt Ken Loach die packende und schließlich erschütternde Geschichte eines Briten, der in seinem Arbeiterclub einen Dokumentarfilm über den spanischen Bürgerkrieg sieht und spontan entscheidet, sich den Internationalen Brigaden anzuschließen. Der vielfach ausgezeichnete Film Land and Freedom gehört in die Reihe politischer Dramen, mit denen Ken Loach einen erzählerischen Zugang zu den Traditionen und Kämpfen der working class geschaffen hat. Im Rahmen des UMBRÜCHE-Programms ist nicht zuletzt interessant, wie hier die Geschichte der Visualierung des spanischen Bürgerkriegs in der Sprache des zeitgenössischen Arthouse-Kinos fortgeschrieben wird.
Als programminterner „Flashback" ist vorab der unvollendete und selten gezeigte Guernica-Film des Dokumentarfilmpioniers Robert Flaherty zu sehen. Guernica war eine Auftragsarbeit des New Yorker Museum of Modern Art und einmal mehr der Versuch, anhand von Picassos Gemälde dem Nichtverfilmten und womöglich Undarstellbaren des Krieges auf die Spur zu kommen. (th)
Einführung: Tobias Hering
am 12.03.2014 um 20.00 Uhr
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