UNTER VORBEHALT
Die Vorführung mancher Filme, die während des „Dritten Reichs“ entstanden sind, ist nur unter Vorbehalt möglich. Diese so genannten Vorbehaltsfilme dürfen zwar gezeigt, aber sie müssen eingeführt und mit dem Publikum diskutiert werden. Ihre Vorführung soll der Aufklärung über den Nationalsozialismus dienen. Zum Korpus der Vorbehaltsfilme gehören über 40 abendfüllende Produktionen. Darunter finden sich Spielfilme wie Jud Süß oder Hitlerjunge Quex – Filme, von denen immer wieder die Rede ist, wenngleich sie kaum jemand gesehen hat. Die meisten Vorbehaltsfilme sind jedoch vollkommen unbekannt. Die Reihe UNTER VORBEHALT, die in unregelmäßiger Folge alle Vorbehaltsfilme vorstellen und diskutieren wird, möchte unter anderem dazu beitragen, das Reden über das Kino des „Dritten Reichs“ von diesen blinden Flecken der Diskussion zu befreien. Dabei wird auch die Frage eine Rolle spielen, wie wir mit dem filmischen Erbe des Nationalsozialismus umgehen möchten – und wer dieses „wir“ ist. Die Filmreihe UNTER VORBEHALT startet mit vier Spielfilmen, die vor allem Geschichten von Jugendlichen und Mitgliedern der Hitler-Jugend erzählen.
UNTER VORBEHALT
Jungens
D 1941, R: Robert A. Stemmle, D: Albert Hehn, Bruni Löbel, Eduard Wenck, Maria Hofen, Hitlerjugend der Adolf-Hitler-Schulen in Sonthofen, 87’ 35 mm
Die Hitlerjugend als Schule einer neuen, ideologisch konformen, rassenbiologisch auserwählten und militärisch gedrillten Generation: Dieses Idealbild vermittelten im „Dritten Reich“ neben dokumentarischen Kurz- und Lehrfilmen auch mehrere Jugendspielfilme, in denen immer auch Hitlerjungen als Laiendarsteller mitwirken. In Jungens muss ein junger Lehrer und HJ-Führer in einem ärmlichen Fischerdorf erst das Vertrauen der verwilderten Jugendlichen für die Ziele der Hitlerjugend gewinnen, bevor er die Vorherrschaft eines gefährlichen Schmugglers und „Volksschädlings“ brechen kann. Eingebunden in die Krimi-Handlung ist die ausführliche Schilderung des HJ-Dienstes und eines HJ-Festes in den Dünen. Bei der Reichsjugendleitung stieß der „Staatsauftragsfilm“ Jungens – wie auch andere Jugendspielfilme – trotz seiner dokumentarischen Qualitäten und poetischen Landschaftsbilder von der Kurischen Nehrung auf ein geteiltes Echo, weil der Film sich weiterhin alter Genreklischees bediente. Jürgen Schüddekopf resümierte: „Der Jungensfilm hat seine endgültige Form noch nicht gefunden, das kann er vielleicht erst, wenn die Jugend nicht nur thematisch, sondern auch produktiv vom Film Besitz nimmt.“ (Deutsche Allgemeine Zeitung, 3.5.1941). (ps)
Einführung: Philipp Stiasny
am 6.9.2011 um 20.00 Uhr
UNTER VORBEHALT
Hitlerjunge Quex
D 1933, R: Hans Steinhoff, D: Jürgen Ohlsen, Heinrich George, Berta Drews, Claus Clausen, Berliner Hitlerjugend, 95’ 35 mm
Der Märtyrertod eines Hitlerjungen im Jahr 1932 und die Bekehrung seines Vaters vom Kommunisten zum Nationalsozialisten sind das Thema von Hitlerjunge Quex, dem wirkungsmächtigsten Spielfilm über die HJ. Vor dem Hintergrund von Wirtschaftskrise und Straßenkämpfen muss sich der junge Lehrling Heini Völker im Berliner Arbeiterbezirk Moabit zwischen der Mitgliedschaft in der lässig geführten Kommunistischen Jugend-Internationale und der straff organisierten, vom Geist der Kameradschaft getragenen Hitlerjugend entscheiden. Gegen den Willen des Vaters bekennt sich Heini zu den Idealen des Nationalsozialismus und wird als Abtrünniger von einem kommunistischen Rollkommando gejagt. Der Regisseur Hans Steinhoff erzählt diese Geschichte spannend und effektvoll, wobei er neben den Symbolen des „Dritten Reichs“ auch die Formeln des proletarischen Films geschickt aufgreift. So untermauert er das Angebot des politischen Neuanfangs auch ästhetisch. Die Münchner Premiere in Anwesenheit von Hitler, Hess und Reichsjugendführer Baldur von Schirach geriet zur Machtdemonstration: „Schweigende Ergriffenheit, dann brausender Beifall und Heilrufe. (...) Die Heilrufe schwingen empor bis auf die nächtliche Straße in die dunkelblaue Herbstnacht. Ein Stück Kampf und Sieg, ein Stück Zeitgeschichte wurde im Angesicht der Kämpfer, die den Sieg erzwungen haben, erlebt.“ (Berliner Lokal-Anzeiger, 12.9.1933). (ps)
Einführung: Philipp Stiasny
am 13.9.2011 um 20.00 Uhr
UNTER VORBEHALT
Jakko
D 1941, R: Fritz Peter Buch, D: Norbert Rohringer, Eugen Klöpfer, Aribert Wäscher, Albert Florath, Berliner Volksschüler, Marine-HJ aus Danzig, 82’ 35 mm
Die Hitlerjugend gibt einem elternlosen Jungen eine neue Heimat. Jakko war der dritte Jugendspielfilm des Jahres 1941 nach Jungens und Kopf hoch, Johannes über die Anpassungsschwierigkeiten des Schülers einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt (Napola). Ende des Jahres erschien auch noch Kadetten, ein bereits 1939 abgeschlossener, aber wegen des Hitler-Stalin-Pakts zurückgestellter Kostümfilm, der den Heldenmut preußischer Kadetten im Siebenjährigen Krieg preist. In Jakko mündet gleich das erste Zusammentreffen des jungen Helden, der unter fahrenden Zirkusleuten im Ausland aufgewachsen ist, mit der Marine-HJ in eine saftige Keilerei. Daraus erwachsen Freundschaft und Kameradschaft. Bevor aber Jakko, der bis dahin nie sesshaft gewesen ist, zur „Volksgemeinschaft“ findet, muss er eine schwere Bewährungsprobe bestehen. Der als „staatspolitisch wertvoll“ ausgezeichnete Film basiert auf einem Roman des damals 25-jährigen Alfred Weidenmann, der zunächst journalistisch für die Reichsjugendführung tätig war und danach mehrere Kurzfilme über die HJ drehte. Mit Junge Adler (1944) schuf Weidenmann, dessen Spielfilmdebüt Hände hoch! (1942) ebenfalls um die HJ kreiste, einen der wichtigsten Jugendspielfilme. In der Deutschen Allgemeinen Zeitung schreibt Wilhelm Westecker über Jakko: „Dieser Film wird ganz von der Art der Jugend bestimmt. Er wirkt nicht durch Lehrsätze oder Grundsätze, sondern durch Beispiel und Vorbild. Die Jugend wird auch nicht in Gegensatz gestellt zu der Welt der Erwachsenen. Sie bleibt in dem natürlichen Zusammenhang einer organischen Volksgemeinschaft. (...) (Jakko) ist ein Film, in dem unsere Jugend sich selbst erkennt.“ (14.10.1941). (ps)
Einführung: Matthias Christen
am 20.9.2011 um 20.00 Uhr
UNTER VORBEHALT
Der Stammbaum des Dr. Pistorius
D 1939, R: Karl Georg Külb, D: Ernst Waldow, Käthe Haack, Heinz Wieck, Otto Wernicke, 82’ 35 mm
Ein heiteres Sittenbild, das im Jahr der Nürnberger Rassengesetze spielt. Im Zentrum steht der dünkelhafte Oberregierungsrat Dr. Pistorius, der über die neue Regierung der Nationalsozialisten nur meckern kann. Als er aber 1935 aus seinem Ahnennachweis Näheres über seine Verwandtschaft erfährt, gerät sein Selbstbild gehörig ins Schwanken. Nur langsam überwindet er das alte Klassendenken und wächst hinein in die „Volksgemeinschaft“. Gute Argumente für den Gesinnungswandel liefert vor allem sein Sohn, der als HJ-Führer aktiv ist und bei der Wahl seiner Zukünftigen nicht mehr auf den Stand ihrer Eltern, sondern auf Weltanschauung und Rassenzugehörigkeit achtet. „Einiges, was in diesem Film attackiert wird, hat eigentlich schon der Weltkrieg erledigt. Mit vielem räumte aber erst der Nationalsozialismus auf. Beim Filmschluß haben Oberregierungsrats jedenfalls nichts mehr dagegen, daß ihr Einziger Schusters Töchterlein heiratet. Und das, obwohl eben erst ihr Dienstmädchen Frau Schuhmachermeister und damit die Schwiegermutter des Herrn Sohnes wurde.“ (Georg Herzberg, Film-Kurier, 6.12.1939). (ps)
Einführung: Claudia Lenssen
am 27.9.2011 um 20.00 Uhr
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