Von einer solchen Entwicklung konnte natürlich in den Jahren der
Diskussion um den Standort des Parlamentsgebäudes nur bedingt die
Rede sein. Kaiser Wilhelm I. war keineswegs gewillt, den Titel des Kaisers
über die preußische Königswürde zu stellen; die
Vorlagen für Reichsgesetze wurden während der Kanzlerschaft
Bismarcks weitgehend in den preußischen Ministerien vorbereitet,
deren wichtigste in der Wilhelmstraße oder in deren unmittelbarer
Nähe lagen.
Die Wilhelmstraße verdankt ihre Entstehung der Stadterweiterungspolitik
der ersten preußischen Könige. Friedrich Wilhelm I., der
Soldatenkönig, setzte ab 1732 den Ausbau der von seinem Vater gegründeten
Friedrichstadt nach Süden und Westen hin fort; die Wilhelmstraße
war die westliche Begrenzung dieses neuerschlossenen Gebiets. Schon
kurz nach der Anlage der Straße wurde mit der Bebauung begonnen,
wobei der nördliche Teil der Wilhelmstraße zwischen Leipziger
Straße und Linden dem Bau von Adelspalais vorbehalten blieb, die
seit Beginn des 19. Jahrhunderts bis 1945 die höchsten Behörden
Preußens und des Reichs beherbergten.
Zum Zeitpunkt der Gründung des Norddeutschen Bundes 1867 war an
der Ostseite der Straße in Nummer 74 das Preußische Staatsministerium
angesiedelt, zwei Häuser weiter in Nummer 76 das Ministerium der
Auswärtigen Angelegenheiten; schräg gegenüber dem Staatsministerium,
in Nummer 65, war das Preußische Justizministerium untergebracht.
Im Gebäude des Staatsministeriums wurden die ersten Geschäftsräume
des neugegründeten Bundeskanzleramtes eingerichtet, das ab 1871
Reichskanzleramt hieß, eine Art Superministerium des Kanzlers
als des einzigen Reichsministers. Diese Lokalisierung bot sich an, da
die Stellung des Kanzlers an die des Preußischen Ministerpräsidenten
gebunden war, des Vorsitzenden des Staatsministeriums, eine Verbindung,
die, mit kurzen