Betrachten wir noch eine andere Momentaufnahme aus
der gleichen Zeit, einen "Staatsbesuch", der im Mai 1946 in umgekehrter
Richtung, von der britischen Zone aus nach Thüringen unternommen wurde. Um ein
Tauschgeschäft zustande zu bringen - 5000 Pferde aus der britischen Zone gegen Saatgut
aus der Ostzone - reiste Hans Schlange-Schöningen, der Leiter des Zentralamts für
Ernährung und Landwirtschaft der britischen Besatzungszone, auf Einladung der
Thüringischen Landesregierung nach Weimar. Schlange-Schöningen war ein prominenter
Vertreter der CDU der frühen Stunden. Vor Hitler war er im Kabinett Brüning Minister und
Reichskommissar für die Osthilfe gewesen, bis 1930 hatte er der Deutschnationalen
Volkspartei angehört; er war freilich in jeder Beziehung ein unorthodoxer Politiker. So
hatte er sich im Frühjahr 1946 vorbehaltlos zur gelenkten Planwirtschaft auf dem
Agrarsektor bekannt, denn zur Bewältigung der Ernährungsprobleme hielt er das freie
Spiel kapitalistischer Kräfte für vollkommen untauglich, politisch für sinnlos und
überholt.
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Schlange-Schöningen, der
auch eine Bodenreform im Westen befürwortete, erschien
den Vertretern der sowjetischen Besatzungsmacht
als geeigneter Vertreter des deutschen Bürgertums,
mit dem direkt über eine Wiederherstellung der nationalen
Einheit sich zu reden lohnen könnte. Die Herkunft
des ehemaligen Rittergutsbesitzers aus Pommern,
der die Rapallo-Politik der Weimarer Republik mit
getragen hatte, war ebenso ein Indiz wie das damalige
Amt Schlange-Schöningens, denn in der Ernährungspolitik
zeigten sich die Auswirkungen der Aufteilung Deutschlands
in Zonen am spürbarsten. Der Hintergrund des Staatsbesuchs
in Weimar war tatsächlich auch eher politischer
als wirtschaftlicher Natur.
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Nach
seiner Rückkehr verfaßte er am 17. Mai 1946 einen
Bericht in "strengstem Vertrauen" für
die Britische Militärregierung, der ein erstaunlich
frühes und eindeutiges Plädoyer für einen deutschen
Weststaat darstellt. Die Quintessenz lautete, er
habe die Überzeugung gewonnen,
"daß
es vielleicht nach einem letzten kurzfristig begrenzten Verhandlungsversuch mit der
Sowjetregierung, um die Schuldfrage zu klären, unbedingt notwendig ist, die drei Zonen im
Sinne einer zielklaren Westpolitik zu organisieren: Deutsche Zentralregierung mit
Exekutivgewalt unter der Kontrolle der Westmächte, Aufhebung der Zonengrenzen, Lösung
des Ruhrproblems und, wenn möglich - und gemeinsam mit Amerika dürfte das wohl möglich
sein - ein zweijähriges Moratorium für Deutschland, damit endlich ein wirtschaftlicher
Aufbau möglich ist und auf diese Weise ein wirtschaftlich und politisch gesundender und
fester Block gegen die russischen Bestrebungen geschaffen werden kann, der einen
entschlossenen Anschluß an die westeuropäische Politik und Kultur findet. Auf diese
Weise wird vielleicht in Kürze ein solches Übergewicht entstehen, daß die Russen
daraufhin bis zur Oder nachgeben. Bleibt aber der jetzige Zustand, so fürchte ich, daß
bei zu langem Herauszögern einer Entscheidung eine ähnliche Gefahr heraufziehen wird,
wie sie für die ganze Welt einst durch Hitler entstand, die man bei rechtzeitiger
Erkenntnis leicht hätte stoppen können."
(Werner Abelshauser - Zur Entstehung der
"Magnet-Theorie" in der Deutschlandpolitik. Ein Bericht von Hans
Schlange-Schöningen über einen Staatsbesuch in Thüringen im Mai 1946, in: VjhfZg 27
(1979), S. 661-679, Zitat S. 679) |