Die Bundesrepublik
im Kalten Krieg
(von Wolfgang Benz) |
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Alleinvertretungsanspruch
und Hallstein-Doktrin |
An vorderster Front im Kalten Krieg,
wenngleich durch die Definition seiner Hauptaufgabe Wiederherstellung der Einheit
Deutschlands" etwas behindert, kämpfte das Bundesministerium für gesamtdeutsch
Fragen. Zur Selbstrechtfertigung mußte die Schuldzu weisung wegen der mit den
angewendeten Methode nicht herstellbaren Einheit immer wieder aufs deutlichste formuliert
werden: Die Sowjetunion trachte unnachgiebig und alle westlichen Vorschläge negieren
zusammen mit ihren Auftragnehmern SED und Pankow-Regime" danach, das gewaltsam
eingeführte Sowjetsystem gegen den Willen der 17 Millionen Menschen in
"Mitteldeutschland" zu erhalten und es auf die Bundesrepublik auszudehnen.
Die Aktivitäten des Ministeriums für
gesamtdeutsch Fragen zielten angesichts der geringen Möglichkeiten den eigentlichen Zweck
zu erreichen, auf die Pflege menschlicher Verbindungen über die Demarkationslinie
zwischen Ost und West hinweg, um wenigsten einen emotionalen Zusammenhalt der Deutschen zu
gewährleisten. Das Bemühen war einseitig, wie aus der Tatsache hervorgeht, daß die
Abschaffung des Interzonenpasses 1953 und die Erklärung der Freizügigkeit in
Personenverkehr zwischen Ost und West auf die westliche Seite der "Zonengrenze"
beschränkt blieb. Bis zum Herbst 1957 konnten immerhin auch noch etliche Millionen
Bürger der DDR besuchsweise in die Bundesrepublik reisen.
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An der Spitze des gesamtdeutschen
Ressorts stande nacheinander Jakob Kaiser (1949-1957)
und Ernst Lemmer (1957-1962). Beide waren Gründungsväter
der Ostzonen-CDU gewesen und hatten sie in den erste
beiden Nachkriegsjahren geführt, bis sie im Dezember
1947 von der Sowjetischen Militäradministration
ihre Ämter enthoben wurden, weil sie sich geweigert
hatten, am "Deutschen Volkskongreß" teilzunehmen,
jenem von der SED organisierten Vorparlament, das
im Sinne und als Instrument sowjetischer Deutschlandpolitik
eine vierzonale deutsche Zentralregierung vor- bereiten
sollte. In der Bundesrepublik vertrat insbesondere
Jakob Kaiser innerhalb der CDU dann einen weniger
auf Abgrenzung und mehr das Gemeinsame betonenden
Kurs in der deutschen Frage, das brachte ihn in
einen latenten Gegensatz zu Adenauer und dessen
Konzeption einer "Politik der Stärke",
das prädestinierte ihn aber auch als Ressortchef
des Ministeriums, dessen praktische Bedeutung in
umgekehrten Verhältnis zu seinem psychologischen
Stellenwert stand.
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Wenn in diesem Ministerium,
das demonstrativ seinen Dienstsitz in Bonn und Berlin
hatte, die individuelle und menschliche Seite der
deutschen Teilung so betont wurde, so unterlag die
Öffentlichkeitsarbeit (zwecks Information über die
Entwicklungen in der DDR), die Förderung der "Zonenrandgebiete"
und die Propagierung caritativer Aktionen (ab 1955
wurden jährlich etwa 40 Millionen Päckchen und Pakete
als Liebesgaben von Privatleuten und Organisationen
von West nach Ost geschickt) durchaus handfestem
politischen Kalkül. Man war sich der Überlegenheit
des westlichen Systems so sicher, daß man die eigenen
Errungenschaften gern augenfällig machen und dadurch
die Inferiorität des ideologischen Gegners entlarven
wollte. So heißt es im Jahresbericht 1959 des Ministeriums:
"Die privaten Besuchsreisen wie auch die durch
Organisationen durchgeführten gesamtdeutschen Treffen, Begegnungen und Tagungen in der
Bundesrepublik, an denen von 1956 bis 1959 rund eine Million Personen aus der Sowjetzone
teilnahmen, haben das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit unter den deutschen Menschen
gefestigt. Die Besucher aus der Sowjetzone konnten sich in der Bundesrepublik von der
Lügenhaftigkeit der SED-Propaganda über den "Militarismus und die Ausbeutung in
Westdeutschland" überzeugen, während die westdeutschen Besucher in der Sowjetzone
eine konkrete Anschauung über die Verhältnisse in Mitteldeutschland erhielten."
(Deutschland im Wiederaufbau 1949-1959 und
Tätigkeitsbericht der Bundesregierung für das Jahr 1959, hg. vom Presse- und
Informationsamt der Bundesregierung, Bonn o. J., S. 95).
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Zum Selbstverständnis
bundesdeutscher Politik gehörte die Überzeugung
der eigenen besseren Legitimation und die Gewißheit,
daß die vier Großmächte die Verpflichtung hatten,
eine Wiedervereinigung Deutschlands herbeizuführen.
Aus dem einen folgte der politische und moralische
Alleinvertretungsanspruch Bonns. In Übereinstimmung
mit den Westmächten wurde die Gründung der DDR von
Anfang an als rechtswidriger Akt verstanden, als
Okkupationsregime von Moskaus Gnaden, das nicht
durch den freien, in Wahlen geäußerten Willen der
Bevölkerung der Sowjetzone legitimiert war. Die
Veranstaltung freier Wahlen war deshalb auch stets
die Vorbedingung, die vom Westen vor allen weiteren
Schritten gestellt wurde.
Symptomatisch für den Kalten Krieg
war dann aber auch die Situation 1952, als Stalin den Westmächten in der berühmten Note
die Wiedervereinigung Deutschlands auf der Basis künftiger Neutralität anbot. Als die
verlangten freien Wahlen dann auch zugebilligt wurden, mochten die Westmächte, darin
bestärkt von Adenauer, die Ernsthaftigkeit der Offerte gar nicht so genau prüfen. Auch
wenn 1952 keine Chance zur Wiedervereinigung auf der Grundlage westlichen
Demokratieverständnisses existierte, muß sich der Westen den Vorwurf gefallen lassen,
kein Interesse daran gehabt zu haben.
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Zu den Dogmen westdeutscher Außenpolitik gehörte auch die
Annahme, die Sowjetunion wolle die Westmächte aus
Berlin und Deutschland verdrängen, die Viermächte-Verantwortung
aushöhlen und schließlich die beiden deutschen Staaten
zu Verhandlungen über die Lösung der "deutschen
Frage" zwingen. Bonn war mit den drei Westmächten
einig, daß solche Gespräche nicht stattfinden durften.
Die Alliierte Hohe Kommission, die in den ersten
Jahren die Vormundschaft über die Regierung Adenauers
ausübte, erklärte am 20. Oktober 1949 - zwei Wochen
nach der Gründung des Oststaats -, die Regierung
der DDR sei nicht berechtigt, im Namen Ostdeutschlands,
geschweige denn im Namen Gesamtdeutschlands zu sprechen.
Am folgenden Tag verkündete der Bundeskanzler des
Weststaats unter allgemeiner Billigung des Bundestags
in einer Regierungserklärung den Anspruch, nur die
Bundesrepublik sei befugt, im Namen Deutschlands
und des deutschen Volkes zu sprechen. Mindestens
zwei Jahrzehnte lang wurde der Anspruch alltäglich
in Szene gesetzt durch die Verweigerung, den Oststaat
bei seinem Namen zu nennen (er sollte "die
Zone" bleiben oder nur in Gänsefüßchen - "DDR"
- gesetzt werden), während auch im Sprachgebrauch
"Bundesrepublik" synonym für "Deutschland"
gebraucht wurde.
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Der politische
Alleinvertretungsanspruch wurde im Herbst 1950 von den drei Westmächten feierlich
bestätigt, und fünf Jahre später, im Dezember 1955, ein halbes Jahr nachdem die
Bundesrepublik die Souveränität erlangt hatte, wurde er mit Hilfe der Hallstein-Doktrin
auf lange Jahre festgeschrieben. Der nach dem damaligen Staatssekretär im Auswärtigen
Amt Walter Hallstein benannte Grundsatz bedrohte alle Staaten, die die DDR anerkennen und
diplomatische Beziehungen zu ihr aufnehmen wollten, mit Sanktionen. Das galt bis Ende der
60er Jahre. In der Regel genügte die Drohung, namentlich gegenüber armen Ländern. Im
Herbst 1957 wurde es Ernst: Bonn brach die Beziehungen zu Jugoslawien ab; 1963 wurde die
Hallstein-Doktrin gegen Kuba angewendet.
Im Kalten Krieg war, wie die Isolation der
DDR in den ersten zwei Jahrzehnten ihrer Existenz bewies, der Bonner
Alleinvertretungsanspruch eine der schärfsten Waffen. Über die außenpolitischen und
diplomatischen Wirkungen hinaus diente er auch der Legitimation einer beanspruchten
Vormundschaft über die Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik, da sie ja an
freier Willensäußerung von Anfang an gehindert war. Im Zuge dieser Argumentation wurde
"Freiheit" zu einem viel strapazierten Begriff. Er stand für das westliche
Demokratiesystem und die damit verbundenen Vorteile. Weil er in der Argumentation der
Gegenseite eine so große Rolle spielte, wurde ein anderer nicht minder hehrer Begriff,
nämlich "Frieden" abgenutzt. Das ging in der Zeit des Kalten Kriegs so weit,
daß man sich als Kommunist oder als Sympathisant verdächtig machte, wenn man zu viel vom
Frieden sprach.
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