Die Bundesrepublik
im Kalten Krieg
(von Wolfgang Benz) |
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"Schutzmaßnahmen"
in der BRD |
Ende 1947 waren Illusionen über eine
absehbare Lösung der deutschen Frage durch eine Verständigung der Alliierten auf einen
Friedensvertrag nicht mehr möglich. Mit dem ergebnislosen Ende der Londoner
Außenministerkonferenz schien auch die Schuldfrage hinlänglich geklärt, und den
Verheißungen des amerikanischen Marshall-Plans hatte die Sowjetunion kein Äquivalent
entgegenzusetzen. Die Bewohner Westdeutschlands waren froh über die Aussicht, wieder zu
einer staatlichen Existenz zu kommen, die unter Anlehnung an die Vereinigten Staaten auch
Schutz vor der allgemein befürchteten Aggressions- und Expansionslust der Sowjetunion
bieten würde.
Die Reaktionen Moskaus auf die
Präliminarien zur Gründung des Weststaats schienen die Befürchtungen auch zu
bestätigen. Die Blockade Berlins ab Juni 1948 - ein früher Höhepunkt des Kalten Krieges
wurde nicht als Aktion verstanden, mit der Stalin Verhandlungen über die Zukunft
eines Vierzonen-Deutschlands erzwingen wollte, sondern als Griff nach Berlin, das dem
sowjetischen Machtbereich zur Gänze einverleibt werden sollte. Daß die einseitige
Währungsreform in den Westzonen der östlichen Seite durchaus Anlaß zu energischen
Maßnahmen bot, wurde kaum bedacht; die Brutalität der sowjetischen Blockade erleichterte
es auch ungemein, nur vom "Ringen um die Freiheit" Berlins und Westdeutschlands
zu reden.
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Nachdem die
Westdeutschen längst freudig für den Westen unter Führung der USA votiert hatten,
mußte auch jede Abwehrreaktion der Gegenseite als Bestätigung für den einmal
eingeschlagenen Kurs gelten. Der Korea-Krieg, der im Sommer 1950 als Folge einer
kommunistischen Aggression in einem wie Deutschland zweigeteilten Land im Fernen Osten
ausbrach, war das Paradebeispiel schlechthin. Ein halbes Jahr nach der Gründung der
Bundesrepublik sahen viele Bundesbürger ihre Ahnungen bestätigt und fühlten sich in
ihrer antikommunistischen Grundhaltung bestärkt. Die Angst vor einem durch Stalin
angezettelten Dritten Weltkrieg war ganz real, ebenso war der Drang nach Sicherheit und
Schutz riesengroß.
Die junge Bundesrepublik errichtete - zu ihrem Schutz, wie
es im allgemeinen Verständnis hieß - institutionelle Barrikaden im Kalten Krieg. Das
für die "innere Sicherheit" zuständige Ressort sah es als eine seiner
dringlichsten Aufgaben an, durch ein Verfassungsschutzgesetz und die 1950 gegründete
Behörde "Bundesamt für Verfassungsschutz" den Staatsfeinden Paroli zu bieten.
Das richtete sich gegen Rechts- und Linksextremisten, gemeint und gefürchtet waren aber
vor allem die Kommunisten, und zwar äußerlich in Gestalt der SED und der Regierung in
Ostberlin, im Innern in Gestalt der KPD.
Gemeinsames Bestreben des inneren wie des äußeren Feindes
war die Zerstörung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Weststaats - darüber
herrschte in der Bundesrepublik weitgehender Konsens. Es war also nur logisch und
konsequent, daß das Bundesministerium des Innern 1951 beim gerade ins Leben getretenen
Bundesverfassungsgericht das Verbot der KPD beantragte. Unter der Konzeption der
"wehrhaften Demokratie" war gleichzeitig das Verbot der rechtsextremistischen
"Sozialistischen Reichspartei" verlangt worden. Die neonazistische Partei wurde
im Herbst 1952 verboten, gegen die Kommunisten wurde bis August 1956 verhandelt. Das dann
ausgesprochene Verdikt über die KPD war politisch umstritten und gewiß unnötig, denn
von den 5,7 % der Wählerstimmen, die sie in den ersten Bundestagswahlen 1949 errungen
hatte, waren 1953 ganze 2,2 % übrig geblieben. Man verbot also eine Splittergruppe,
freilich mit der Begründung, daß sie umstürzlerische Ziele mit außerparlamentarischen
Mitteln und mit Unterstützung des "Pankower Regimes" verfolge. Und der Argwohn
gegen die potentiellen Staatsfeinde erlahmte nicht nach dem Karlsruher Urteil, er richtete
sich gegen alle, die verdächtig waren, in illegaler Nachfolge prokommunistisches
Gedankengut zu hegen oder sich gar propagandistisch zu betätigen. Das traf Neutralisten
und Pazifisten, linksintellektuelle Nonkonformisten und bürgerliche Atomwaffengegner,
unter Dauerverdacht standen die "Gesellschaft für deutsch-sowjetische
Freundschaft" ebenso wie die 1960 gegründete "Deutsche Friedensunion" oder
auch die vom CDU-Dissidenten Gustav Heinemann inspirierte "Gesamtdeutsche
Volkspartei".
(Vgl. Wolfgang Benz - Opposition gegen Adenauers
Deutschlandpolitik, in: Jürgen Weber (Hrsg.) - Die Republik der fünfziger Jahre.
Adenauers Deutschlandpolitik auf dem Prüfstand, München 1989, S. 68f). |
Das traf auch die von SPD und DGB unterstützte Aktion "Kampf dem
Atomtod", die ab Frühjahr 1958 Massenkundgebungen gegen die atomare Bewaffnung der
Bundeswehr in Großstädten abhielt und eine vom Bundesverfassungsgericht im Juli 1958
untersagte Volksbefragung veranstalten wollte. Das Mißtrauen gegen christliche und
linksbürgerliche Pazifisten hielt an und galt auch der Ostermarsch-Bewegung der 60er
Jahre, die mit dem Odium leben mußte, eine kommunistische Tarnorganisation zu sein.
Allein die Teilnehmerzahlen widerlegten diesen Verdacht, denn von den weit über 100 000
Teilnehmern der Ostermärsche 1964 bis 1968 hatten die Kommunisten nur träumen können.
(Vgl. Dieter Rucht - Protestbewegungen, in: Die Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Wolfgang Benz, Frankfurt 1989, Band 2, S. 312f).
Stand der Bundesgrenzschutz als
Sonderpolizei an der äußeren Grenze zum kommunistischen Machtbereich, so diente seit
1952 die "Bundeszentrale für Heimatdienst" als Bollwerk politischer Bildung und
pädagogischer Auseinandersetzung, insbesondere im Zeichen der Totalitarismustheorie.
Aufklärung über Ideologie, Programm und Zielsetzung des Kommunismus und kommunistischer
Staaten wurde unter obligatem Hinweis auf Ursachen und Wirkungen des Nationalsozialismus
betrieben; im 1957 errichteten "Ostkolleg" der Bundeszentrale wurden in
Wochentagungen für Lehrer und andere Mittler politischer Bildungsarbeit insbesondere
Theorie und Praxis des Sowjetsystems behandelt, mit dem gleichen Ziel, das auch die
amtliche Publizistik zur politischen Bildung erstrebte: Vermittlung und Festigung eines
Demokratieverständnisses durch Immunisierung gegen jede feindliche Beeinflussung im
Kalten Kriege.
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Das
Bundesjustizministerium nahm mit den Mitteln des Strafrechts präventiv am Kampf mit dem
ideologischen Feind teil, indem es die Entscheidungen der Gerichte auf dem Gebiet des
Staatsschutzes beobachtete und koordinierte. Gegenstand dieses Bemühens waren vor allem
die Einschleusung "sowjetzonaler staatsgefährdender Propagandaschriften", und
die "Infiltrations- und Zersetzungsversuche" von Agenten und Spionen aus der
DDR, aber auch die "Wühlarbeit der illegalen KPD" nach deren Verbot 1956.
Als juristische Waffe im Kalten Krieg diente das
Strafrechtsänderungsgesetz, das im Herbst 1951 in Kraft trat. Mit diesem Gesetz wurden
u.a. die Tatbestände Hochverrat und Landesverrat wieder eingeführt bzw. neu definiert
und ein neues Delikt "Staatsgefährdung" zur Verteidigung
parlamentarisch-demokratischer Verfassungsgrundsätze unter Strafe gestellt.
Bundesjustizminister Dehler hatte zur Begründung des Gesetzentwurfs im Bundestag die
Freiheitsbeschränkungen verteidigt: "Ein von außen bedrohtes Volk wie das unsere
und ein in sich noch nicht gefestigtes Volk wie die Bundesrepublik Deutschland"
könne Angreifern gegen die freiheitliche Grundordnung "keine schrankenlose Freiheit
zugestehen". (Deutscher Bundestag, Sitzung 12. 9. 1950, Sten. Bericht, S. 3105). Das
Gesetz sollte insbesondere eine Handhabe "gegen die nur zu bekannte Wühlarbeit aus
dem Osten" bieten und zur Begründung des neuen Straftatbestandes
"Staatsgefährdung" wurde darauf verwiesen, daß man sich nicht nur mit den
klassischen Mitteln von Drohung und Gewalt konfrontiert sehe, sondern gegen die viel
subtileren Methoden des Kalten Krieges gewappnet sein müsse.
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Der Abgeordnete Wahl
von der CDU erklärte als Berichterstatter, die Methoden
des Kalten Krieges seien "gerade deshalb so
gefährlich, weil sie die Gewaltanwendung zunächst
ausschließen und weil ein System von Einzelakten
entwickelt wird, von denen jeder einzelne an sich
mehr oder weniger harmlos erscheint, die aber durch
das Zusammenspiel aller, die von den verschiedensten
Ansatzpunkten aus das gemeinsame Ziel fördern, eine
Situation schaffen können, die schließlich die Staatsumwälzung
unausweichlich macht und sie wie eine reife Frucht
gewinnen läßt. Wir erinnern uns alle an die Legalität
der von Hitler herbeigeführten Revolution."
(Deutscher Bundestag, Sitzung 9. 7. 1951, Sten.
Bericht, S. 6304 ff). Hier war der aktuelle Stand
staatsrechtlicher Erkenntnis auf dem Hintergrund
der Erfahrung des Scheiterns der Weimarer Republik
und im theoretischen Verständnis eines demokratiefeindlichen
"Totalitarismus" von ganz rechts bis ganz
links reflektiert. Dem widersprachen lediglich die
Vertreter der KPD im Bundestag, wie der Abgeordnete
Fisch, der das Vorhaben als ein "Ausnahmegesetz"
gegen alle diejenigen apostrophierte, "die
aktiv für den Frieden und die Einheit Deutschlands"
einträten und an Stelle der "auf fremdes Geheiß
geschaffenen westdeutschen Bundesrepublik"
einen Staat nach anderem Demokratieverständnis errichten
wollten. (Ebenda, S. 6299)
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Was im Parlament unter
jeweils beträchtlichem Tumult gegenseitiger Schuldzuweisung
diente, war in der politischen Praxis für die Betroffenen
bitterer Ernst. Die neuen Staatsschutzparagraphen
im Strafrecht dienten, rigoros gehandhabt und verfahrensmäßig
auf wenige Strafkammern konzentriert, bis Ende der
60er Jahre erfolgreich dem politischen Kampf im
Kalten Krieg. Die Prozesse, die unter dem Feindbild
der kommunistischen Bedrohung der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung der Bundesrepublik geführt wurden,
waren mit der Idee des Rechtsstaats nur schwer in
Einklang zu bringen, es ging in zu vielen Fällen
nur um die Gesinnung der Angeklagten und nicht um
reale Gefährdungen des Staates; so etwa im Verfahren
gegen die Pazifistin Faßbinder, die zu Unrecht beschuldigt
wurde eine Agentin Moskaus zu sein (1954), oder
gegen Wilhelm Elfes (1956), der eine "gesamtdeutsche
Erklärung" unterzeichnet hatte und deshalb
keinen Reisepaß mehr bekam, oder gegen Viktor Agartz
(1957), der Geld aus der DDR zur Finanzierung eines
Forschungsinstituts angenommen hatte.
(Vgl. Diether Posser - Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher
Geschichte in politischen Prozessen 1951-1968, München 1991).
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