Das »Sonderinventar«
von Andreas Michaelis
Der
3. Oktober 1990 wird in den Geschichtsbüchern als »Tag der Deutschen
Einheit« einen festen Platz finden. An diesem Tag fand der Prozeß
der Selbstauflösung eines Staates seinen Abschluß. Die Deutsche
Demokratische Republik verschwand sang- und klanglos von der politischen
Landkarte. Ein ganzes System gesellschaftlicher Beziehungen landete -
wie der Schriftsteller Stefan Heym es ausdrückte - auf dem »Müllhaufen
der Geschichte«.
Zahlreiche materielle Relikte des untergegangenen Staates blieben jedoch
erhalten, u. a. in den Sammmlungen des Museums für Deutsche Geschichte
(MfDG).
Dieser Institution oblag es während der SED-Herrschaft, der Öffentlichkeit
aus dem In- und Ausland ein marxistisch-leninistisches Bild der deutschen
Geschichte und, als deren Höhepunkt, der Geschichte der DDR zu präsentieren.
Das Museum für Deutsche Geschichte war eines der führenden Ideologieinstitute
der DDR; seine Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit wurde direkt
von der Partei- und Staatsführung unterstützt und angeleitet.
Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten übernahm das im
Westteil der Stadt gegründete Deutsche Historische Museum (DHM) die
Nutzungsrechte für das Zeughaus und die Sammlungen des MfDG. Damit
fiel dem DHM auch ein Bestand zu, der in seiner Zusammensetzung und seiner
Genesis für Museumsleute aus dem Westen etwas völlig Neues darstellte:
das sogenannte »Sonderinventar«. Ein Sammelsurium teils obskurer, teils
banaler Objekte, welches kaum die Kriterien einer fundierten musealen
Sammlung erfüllte und bei seinen Erben wechselweise Erstaunen, Heiterkeit
und Befremden auslöste. War es zunächst wohl mehr der Hauch
des Exotischen, der das Interesse weckte, so wurde schon bald erkannt,
daß gerade das »Sonderinventar« wie kein anderer Sammlungsbestand
des Hauses DDR-Geschichte widerspiegelt.
Dieser Bestand umfaßt sowohl Erinnerungsgeschenke, die bei Staatsbesuchen
im Ausland oder in der DDR ausgetauscht wurden, als auch persönliche
Geburtstags- oder Jubiläumsgeschenke der Staats- und Parteiführer
aus 40 Jahren DDR. Stücke, die zu besonderen Anlässen wie Partei-
oder Jahrestagen angefertigt wurden, vervollständigen die Sammlung.
Die Objekte besitzen in der Regel keinen nennenswerten materiellen Wert,
sie zeichnen sich vielmehr durch ihren Symbolcharakter aus. Meist spiegeln
sich in den Materialien und Motiven nationale folkloristische oder kunsthandwerkliche
Traditionen der Ursprungsländer wider. So sind Präsente aus
den kommunistisch regierten Ländern häufig von einer vordergründigen
revolutionären Symbolik geprägt. Aufschriften beschwören
Frieden, Freundschaft, Solidarität oder den Sieg des Sozialismus.
Klassenkämpferische Inhalte finden sich vor allem bei den Parteitags-,
Jubiläums- oder Geburtstagsgeschenken. Die offiziellen Gastgeschenke
hingegen sind relativ sachlich gehalten und reflektieren mehr den nationalen
Charakter des Herkunftslandes.
Das »Sonderinventar« ist eine in ihrer Komplexität und Aussagekraft
einmalige Sammlung von Objekten der politischen Festtagskultur, die die
Ikonographie der DDR und ihrer sozialistischen Bruderländer anschaulich
darstellt. Die Sammlung vermittelt darüber hinaus einen hervorragenden
Einblick in die Rituale des Umgangs gesellschaftlicher Organisationen
und Institutionen der DDR mit der SED und beleuchtet die Beziehungen der
SED zu den kommunistischen Bruderparteien und den revolutionären
Bewegungen der Dritten Welt.
Die vorliegende Publikation ist die erste komplexe Präsentation dieses
Museumsbestandes. Ein repräsentativer Querschnitt von rund 250 ausgewählten
Objekten des Deutschen Historischen Museums soll, über eine bloße
Aneinanderreihung von Fotos hinaus, ein Stück Geschichte der DDR
und der kommunistischen Bewegung dokumentieren.
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