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Assoziative Gestaltungen
Volker Pfüller gestaltete seine Arbeit zu Pendereckis Oper "Die
Teufel von Loudun" sehr frei. Ein tintenfleckartiges Gebilde, von dessen
starker Expressivität eine bedrohliche Wirkung ausgeht, wird zur Inkarnation
des Teuflischen und Bösen als adäquater Ausdruck der infamen Intrige. Bei
einer derart individuellen Gestaltung und dem Ausloten experimenteller Ausdrucksmöglichkeiten
ist festzustellen, daß die Interessen des Theaters oder Spezifika des Stückes
in den Hintergrund treten. Der klassischen Aufgabe eines theatralen Veranstaltungsplakates,
nämlich Werbung und Ankündigung eines bestimmten Stückes zu sein, wird eine
neue Ebene hinzugefügt. Dennoch gibt es zahlreiche überzeugende und einfallsreiche
Werke bekannter Künstler und Graphiker, die im Rahmen der speziellen Bedürfnisse
des Theaters ihre Eigenständigkeit bewahren.30
Helmut Brade entwarf ein Plakat zu Strindbergs
"Totentanz", das 1985 im Berliner Theater im Palast gespielt wurde.
Die für Strindberg typische Konstellation einer konfliktbeladenen Beziehung
eines Paares, die durch gärende Feindseligkeit und Aggressionen gekennzeichnet
ist - von Strindberg mit dem Wort "Liebehaß" charakterisiert -, wird von
dem Künstler gekonnt umgesetzt. Die Aggressivität und die Verletzungen,
die von der Lüge bis zum Ehebruch reichen, werden durch die im Gesicht und
am Körper steckenden Nadeln sowie die starren, abweisenden Blicke sinnfällig.
Die Unauflösbarkeit und Unausweichlichkeit dieses als existentiell gekennzeichneten
Zustandes wird durch die Fesseln symbolisiert, die beide fest aneinanderbinden.
Der giftig-grüne, abweisend kalte Farbton im Hintergrund und die fahle Hautfarbe
der Figuren vermitteln etwas von der vergifteten Atmosphäre: "Was geht hier
vor? Es riecht nach giftigen Tapeten, und man wird krank, wenn man bloß
hereinkommt … und hier wird gehaßt, daß einem das Atmen schwer wird."31
Brade bringt die Zustandsschilderung des grundlos anmutenden Eheterrors
und motivlosen Hasses und die Erkenntnis des Paares über die existentielle
Unauflösbarkeit der eigenen Beziehung treffend auf den Punkt.
In ähnlicher Weise transportiert auch Volker Pfüller die Basisaussage
von Euripides' "Medea".
Er zeigt eine von intensivem Schmerz Gequälte, die durch ihr Schicksal völlig
außer sich geraten ist. Im Unterschied zu Brade, der den Strindbergschen
"Liebehaß" in eine statische Konfiguration faßt, stellt Pfüller den Ausbruch
der Emotion expressiv dar.
1972 machte der Regisseur Horst Schönemann von sich reden, der Ulrich
Plenzdorfs "Die
neuen Leiden des jungen W." mit Dieter Mann in der Rolle des Edgar Wibeau
inszenierte. Das Stück nutzte die Freiräume einer liberaleren Kulturpolitik,
wie sie in der ersten Zeit nach der Ära Walter Ulbrichts möglich war; trotzdem
gab es von offizieller Seite Kritik an der Inszenierung. Im Mittelpunkt
steht der siebzehnjährige Edgar, der seine Lehre aufgibt und nach Berlin
geht. Durch sein Streben nach Individualität, geprägt durch seinen gegen
die spießige und phantasielose Erwachsenenwelt rebellierenden Helden aus
J. D. Salingers Roman "Der Fänger im Roggen", gerät er immer wieder in Konflikte.
Ausdruck seines Aufbegehrens, jugendlicher Rebellion und seiner Selbstverwirklichungswünsche
sind Jeans, lange Haare und Popmusik. Diese Vorlieben finden ihre visuelle
Entsprechung in der poppigen, durch grelle Farbkontraste (Pink, Gelb, Blau)
gekennzeichnete Aufmachung des Plakates ebenso wie in der Modernität des
von Plenzdorf benutzten Sprachstils, der den Jargon der DDR-Jugend aufnimmt.
Das auf dem T-Shirt aufgedruckte "W" ist eine Analogie der Anfangsbuchstaben
der Nachnamen Wibeau und Werther und Hinweis auf die Identifikation Edgars
mit der Goetheschen Titelfigur. Deren Leiden sieht er als Spiegelung seiner
eigenen unglücklichen Leidenschaft zu der Kindergärtnerin Charlie. Die hier
gestellte Frage nach dem Freiraum des Individuums in der sozialistischen
Gesellschaft sowie nach der zeitgemäßen Aneignung des klassischen Erbes
löste eine Diskussion aus.32
Der Rahmen, der die Figur des "jungen W." anschneidet, weist auf den Wechsel
zwischen der Ebene der Handlung und der des Kommentars hin. Edgar, der durch
einen elektrischen Schlag eines von ihm entwickelten Gerätes stirbt, kommentiert
das Geschehene "aus dem Jenseits" und relativiert teilweise sogar sein Verhalten
in der Vergangenheit. Durch den Kunstgriff, auf dem Plakat einen Rahmen
um die Figur zu spannen, wird die in der Literaturvorlage angelegte Distanzierung
Edgars zur Vergangenheit sinnfällig.
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30 |
Rademacher: Theaterplakate …, 1990,
S. 205. |
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31 |
Artur Bethke (Hrsg.): August Strindberg.
Dramen in 3 Bänden, München/Wien 1984, Bd. 3, S. 24 f. |
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32
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Die Diskussion wurde in den Jahren
1972/73 unter anderem in der Zeitschrift "Sinn und Form"
ausgetragen. |
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