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Plakatkünstler und Theater
Die Zusammenarbeit zwischen den auftraggebenden Theatern und den
Plakatgestaltern ist ebenso wie auch die subjektive Handschrift des Künstlers
ausschlaggebend für die Art des Plakats. Die von Brecht präferierte enge
Zusammenarbeit zwischen Theater und Künstlern - am Berliner Ensemble wurde
ein diskursives, für Anregungen und Kritik offenes Probenklima gepflegt
- wirkte sich unmittelbar auf die Gestaltung der Plakate aus.15
Beispielhaft mag dies an einem Entwurf des Bühnenbildners Karl von Appen
zu einer Inszenierung des Brecht-Stückes "Der
gute Mensch von Sezuan" im Berliner Ensemble aufgezeigt werden.
Vom rein funktionalen Standpunkt, das heißt, von der visuellen und
werblichen Schlagkraft aus gesehen, erscheint die Arbeit des Bühnenbildners
Karl von Appen zunächst wenig effektvoll. Durch seine kleinteilige und detailreiche
Aufmachung wirkt das Plakat auf den ersten Blick unübersichtlich, macht
aber andererseits dadurch neugierig. Die gestalterische Umsetzung des angekündigten
Bühnenstückes ist gleichzeitig Ausdruck der langjährigen und intensiven
Zusammenarbeit von Bertolt Brecht und Karl von Appen. Brecht hatte den damaligen
Chefbühnenbildner des Staatsschauspiels Dresden 1953 nach Berlin geholt.
Die Gestaltung des Plakats ist für die bühnenbildnerische Tätigkeit von
Appen und somit für die Bühnenarbeit des Berliner Ensembles programmatisch:
Sie übernimmt nachweislich die Entwürfe der Bühnendekoration sowie Elemente
der Szenenbilder, Arrangement- und Inszenierungsskizzen sowie Masken- und
Kostümentwürfe.16 Der Handlungsverlauf
wird durch die Abfolge der für sich isolierten Bildelemente, das heißt,
die Abbildung von Personengruppen und Schlüsselszenen, angedeutet: Oben
erscheinen die drei Götter, die nach "guten Menschen" Ausschau halten und
schließlich Shen Te finden, die sich gegenüber ihren bedürftigen Mitmenschen
hilfreich erweist. Sie ist in der nächsten Gruppe dargestellt. Durch ihre
Nächstenliebe gerät sie in eine finanzielle Notlage, so daß sie in die Rolle
des von ihr erfundenen Vetters Shui Ta schlüpft und alle gegen Hungerlöhne
für sich arbeiten läßt. Auch diese Personengruppe zeigt das Plakat. Dabei
wirkt "der leere Raum als ein ebensowohl trennendes wie verbindendes Moment
…, so wie Brecht es an der ›Malerei der Chinesen‹ … gerühmt hatte."17
Die einzelnen Elemente sind kleinteilig und zeugen von einer genauen Beobachtung
der Szenerie. Somit stellt sich ein Charakteristikum der Theaterplakate
von Appen dar, der tendenziell auf den klassischen "eye-catcher" verzichtete;
stattdessen wählte er eine komplexe, nicht selten auch verschlüsselte Gestaltungsweise,
die das Milieu der Handlung einfängt. Diesen "Milieuzitaten" ist ein hoher
"Grad von sinnlicher Authentizität" eigen.18
Die Besonderheiten der Arbeit Karl von Appens werden deutlicher im
Vergleich mit einem Plakat aus dem Jahr 1970 zu einer Inszenierung desselben
Stücks durch den Brechtschüler Benno Besson an der Berliner Volksbühne,
für die er auch das Bühnenbild entwarf. Das Plakat arbeitet mit den Antagonismen
Schwarz und Weiß beziehungsweise Gut und Böse. Es handelt sich um zwei voneinander
abgewandte, stark stilisierte weibliche und männliche Gesichtshälften, die
ihrerseits nochmals in ein schwarzes und weißes Viertel geteilt sind. Die
schematische Darstellung verweist einerseits auf die Verwendung von Masken
in dieser Inszenierung. Andererseits kündigt sie das durch das Stück nachgezeichnete
Rollenspiel der gutmütigen Shen Te an, die in ihrer Not die Rolle des skrupellosen
Shui Ta annimmt. In dessen Maske - auf dem Plakat durch die schwarze Farbe
angedeutet - setzt sie mit harter Hand ihre geschäftlichen Interessen durch.
Die Handlung sowie die in der Figur der Shen Te konträr angelegten Charaktere
werden dadurch sehr ausdrucksvoll konturiert: "Euer einstiger Befehl / gut
zu sein und doch zu leben / zerriß mich wie ein Blitz in zwei Hälften",19
gibt sie den Göttern zu bedenken, als der Schwindel auffliegt. Gegenüber
der eng an die Theaterarbeit angelehnten Arbeit von Appen kommt bei dem
Entwurf von Achim
Freyer noch eine weitere Dimension hinzu: Die visuell-zeichenhafte Umsetzung
von "Gut" und "Böse" geht über die Inhalte des Brecht-Stückes hinaus und
wird zu einem Sinnbild, das sich dem Betrachter folgendermaßen erschließt:
Gut und Böse, Wahrheit und Lüge, wahrer Charakter und Maskerade sind nicht
immer leicht voneinander zu trennen und zu unterscheiden.
Bühnenbild
und Plakat sind zwei Kunstformen mit völlig unterschiedlichen Erfordernissen.
Während es sich beim Bühnenbild um keine selbständige Kunstgattung handelt,
sondern um einen dem Gesamtkunstwerk einer Theateraufführung dienenden Teil,
ist das Medium Plakat bezüglich seiner öffentlichen Wirkungszusammenhänge
autark. Appen lehnte jede Verselbständigung seiner Bühnenkunst ab und strebte
eine Funktionalisierung der Dekoration an. Ganz im Sinne Brechts orientierte
er sich genau an den Bedürfnissen der Handlung und der Schauspieler: "Es
erwies sich, daß auf der Bühne tatsächlich die Dinge genügten, mit denen
der Schauspieler unmittelbar umging: Kostüme, Requisiten, einiges an Möbeln,
Zitate einer Landschaft. Und daß sich der Darsteller … mühelos selbst den
szenischen Raum zu schaffen wußte, wenn man ihm die Freiheit dazu ließ.
Das mußte die erste Aufgabe des Bühnenbildners sein … Das, was so lange
als ›Krise des Bühnenbilds‹ umgegangen war, dieses Sich-Überbieten in immer
neuen Raumkonstruktionen, … löste sich auf, wenn sich der Bühnenbildner
als Menschenbildner begriff und begann, die Szene statt von außen von innen
her, aus der Figur, dem Arrangement zu bauen …"20
Für Appens Zusammenarbeit mit Brecht bedeutete das konkret die Einbeziehung
des Bühnenbildners in die Regiearbeit mittels Arrangementzeichnungen, die
einen wichtigen Bestandteil der optischen Dramaturgie darstellten,21
bis dahin allerdings vorwiegend als Sache des Regisseurs erachtet wurden.
Diese Art Arbeitsverbund von Brecht mit Appen, wie zuvor auch zwischen Brecht
und Caspar Neher, prägte das berufliche Selbstverständnis der Bühnenbildner
und machte Schule. So ist es nur verständlich, daß Appen auf seine Bühnenentwürfe,
Arrangementskizzen und Bilderzyklen, die er zu diversen Inszenierungen von
Brechtstücken in farbprächtiger Gouachetechnik schuf, zurückgriff.22
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15 |
Rademacher: Theaterplakate …, 1990,
S. 337. |
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16 |
Vgl. dazu insbesondere den Bildteil
in: Dieckmann (Hrsg.): Karl von Appens Bühnenbilder …, 1971,
S. 250-259. Zum Stück und zur Inszenierung ausführlich ebd.,
S. 108-115. |
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17 |
Dieckmann: "Bühnenbildarbeit
am Berliner Ensemble …", in: Berliner Ensemble, 1974, S. 41-49,
S. 44. |
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18 |
Hacks: "Über den Vers in
Müllers Umsiedlerin-Fragment …" (vgl. Anm. 13), S. 47-54;
erneut in: Hacks, Essais … (vgl. Anm. 13), 1984, S. 143-148. Allemann:
"Der Säufer als Utopist …" (vgl. Anm. 13), S. 10-13. |
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19 |
Werner Hecht / Jan Knopf / Werner
Mittenzwei / Klaus-Detlef Müller (Hrsg.): Bertolt Brecht. Große
kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, 30 Bde., Berlin / Weimar
/ Frankfurt (Main) 1988 ff., Bd. 6, 1989, S. 275. |
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20 |
Appen: "Der Bühnenbildner
als Menschenbildner …", 1968; erneut in: Bühnenbildarbeit
in der Deutschen Demokratischen Republik …, 1971, S. 10-16, S. 13
f. |
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21 |
"Ich fange damit an, daß
ich versuche, ein Stück optisch zu erzählen; erst dann beginnt
die Arbeit an der Umwelt des Schauspielers." Appen: "Gespräch
über Bühnenbild …", 1969; erneut in: Bühnenbildarbeit
in der Deutschen Demokratischen Republik …, 1971, S. 25-33, S. 25. |
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22 |
Dieckmann (Hrsg.): Bühnenbildner
der Deutschen Demokratischen Republik …, 1978, S. 7, 9. |
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