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Photomontage und Symbolsprache
Verstärkt kommt auch die Photomontage zum Einsatz, die in den zwanziger
Jahren entwickelt und von John Heartfield perfektioniert wurde. Man baute
auf die dokumentarische Wirkung der Photographie und nutzte die persuasiven
Fähigkeiten, die sie im verfremdeten Zusammenhang mit der Montage entwickelte.
Eine Photocollage zu Jean Paul Sartres Stück "Die
respektvolle Dirne" aus der Hand Klaus Wittkugels, dessen Arbeiten seine
Schülerschaft bei Heartfield nicht leugnen können, besticht durch die phantasievolle
Zusammensetzung photographischer und graphischer Einzelelemente. Die Konzentration
liegt jedoch auf den Köpfen der zwei Hauptfiguren, die - obwohl durch Rahmung
getrennt - in ein spannungsreiches Verhältnis gesetzt werden.12
Ein Plakat zu Heiner Müllers "Die
Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande", einer Inszenierung des Staatsschauspiels
Dresden im Jahr 1984, arbeitet ebenfalls mit Photographie und Montage und
setzt auf den Kontrast eines beschmutzten Gummistiefels zu einem adretten
modischen Straßenschuh. Auf diese Weise wird die Assoziation von zwei völlig
unterschiedlichen sozialen Gesellschaftsschichten hervorgerufen und somit
bereits auf den das Stück bestimmenden Grundkonflikt zwischen dem Parteisekretär
Flint und dem arbeitsscheuen Fondrak hingewiesen. Näheres erschließt sich
dem Betrachter jedoch erst, nachdem er das Stück gesehen hat: Es schildert
die gesellschaftlichen Veränderungen des Lebens auf dem Lande in der DDR,
das durch finanzielle Not und soziale Spannungen gekennzeichnet ist, als
Folge der 1945 verordneten Bodenreform, der Landverteilung an die Umsiedler
und der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft. Am Beispiel von
mehreren Personen werden die Widersprüche beim Aufbau des Sozialismus offengelegt,
Enteignungen werden in kritischem Licht gezeigt: Zunächst als Errungenschaft
gefeiert, stellt sich bald heraus, daß die verteilten Flächen zu klein sind
und die zur Verfügung gestellten Traktoren für ihre Bestellung nicht ausreichen.
Jegliches Vertrauen in die Versprechungen der Partei ist verloren. Selbst
die Gründung einer Genossenschaft auf Initiative des Idealisten Flint vermag
die Mißstände und die Unzufriedenheit der Bauern nicht zu beseitigen. Einige
von ihnen, darunter auch Fondrak, gehen gar in den Westen. Die Brisanz dieses
Themas führte zur Absetzung des Stückes durch die Behörden unmittelbar nach
seiner Uraufführung durch die Studentenbühne der Hochschule für Ökonomie
in Berlin-Karlshorst am 30. September 1961 in einer Inszenierung von B.
K. Tragelehn und darüber hinaus zum Ausschluß Müllers aus dem Schriftstellerverband
der DDR.13 Die kritische
Sicht auf die Entwicklung der DDR-Gesellschaft und der anarchistische Charakter
des Fondrak waren bis Mitte der siebziger Jahre nicht tolerierbar. Erst
1976 erfuhr "Die Umsiedlerin" in einer überarbeiteten Fassung an der Berliner
Volksbühne eine Wiederaufführung.
Neben der Verwendung photographischer Bildmittel arbeiteten Künstler
mit Symbolen, die für das Stück charakteristisch sind. So verwendete Rudolf
Grüttner in seinem Entwurf zu Schillers "Jungfrau
von Orléans" eine weiße Lilie und den Handschuh einer Ritterrüstung,
die stellvertretend für die "reine Jungfrau" und "Kriegerin" stehen: "Berufen
bin ich zu ganz anderm Werk, / die reine Jungfrau nur kann es vollenden.
/ Ich bin die Kriegerin des höchsten Gottes, / und keinem Manne kann ich
Gattin sein."14
Einige Plakate gehen über den Inhalt der literarischen Vorlagen weit
hinaus und verwenden eine allgemeinere Symbolsprache. Thomas Schallnaus
Lösung aus dem Jahr 1984 für eine Inszenierung von Brechts "Mutter
Courage" am Maxim-Gorki-Theater Magdeburg zeigt eine Symbiose aus Kanonenrohr,
Totenkopf und nach Geldmünzen greifendem Monster. Es kann einerseits vor
dem Hintergrund des Brechtschen Stückes die Motivation der Mutter Courage,
am Krieg ihren Profit zu machen, offenlegen, aber auch als Sinnbild für
Kriegsfinanzierung und ihre tödlichen Folgen gelten. Für die Kinder der
"Courage" enden der Krieg wie auch der darin realisierte Geschäftssinn der
Mutter tödlich. Die politische Haltung des Künstlers beziehungsweise die
politisch-gesellschaftliche Interpretation der Magdeburger Bühne ist offensichtlich.
Plakaten wie diesem kommt somit neben der Ankündigung und der bildlichen
Präsentation des aufzuführenden Bühnenstückes eine politische, agitatorische
Aufgabe zu. Der unmittelbare kausale Zusammenhang zwischen Krieg, Tod und
Geschäft (Kapitalismus) ist der Mutter Courage bis zum Schluß nicht klar.
Dem Betrachter des Plakates hingegen wird dieser Zusammenhang durch den
appellativen Charakter dieses surrealen Gebildes in recht plakativer Weise
vor Augen geführt.
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12 |
Rademacher: Das deutsche Plakat …,
1965, S. 268. |
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13 |
Peter Hacks: "Über den Vers
in Müllers Umsiedlerin-Fragment", in: Theater der Zeit,
Berlin 1961, H. 5, S. 47-54; erneut in: Peter Hacks: Essais, Leipzig
1984, S. 143-148. U. Allemann: "Der Säufer als Utopist",
in: Theater heute, 1976, H. 8, S. 10-13. |
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14 |
Julius Petersen / Gerhard Fricke u.
a. (Hrsg.): Schillers Werke. Nationalausgabe, 43 Bde., Weimar 1943
ff., Bd. 9, hrsg. von Benno Wiese und Lieselotte Blumenthal, Weimar
1948, S. 252. |
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