Politische Broschüren
im Kalten Krieg
1967 bis 1963
(von Klaus Körner) |
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"Berlin ist
die Front" |
Gleich
einer Wasserscheide trennt das Jahr 1950 die unmittelbare Nachkriegszeit von der Welt der
50er Jahre. Alle richtungsweisenden Entscheidungen fielen in diesem Jahr: die Bereitschaft
zur Wiederbewaffnung, die Zustimmung zur Europa-Integration und eine entschiedene
Parteinahme im Kalten Krieg. Der Ausbruch des Korea-Krieges im Juni 1950 löste eine
geistigmoralische Wende in Westdeutschland aus. Das Gefühl, wieder als Partner gegen den
Osten gebraucht zu werden, begünstigte die Ausbreitung einer kämpferisch-reaktionären
Grundstimmung. Die Zeit der Einkehr und Besinnung nach 1945, für die der Journalist Axel
Eggebrecht ein Symbol war, ging zu Ende.
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Das große Medienereignis,
das eine neue Phase des Kalten Krieges in Deutschland
einleitete, war das Deutschlandtreffen der "Freien
Deutschen Jugend" (FDJ) zu Pfingsten in Berlin.
Schon das Motto "Freie Deutsche Jugend stürmt
Berlin" ließ in West-Berlin die Befürchtung
entstehen, ein kommunistischer Putschversuch stehe
bevor. Tatsächlich beschränkte sich der Massenaufmarsch
auf Ost-Berlin. Er sollte die Einheit, Geschlossenheit,
Stärke und Jugendlichkeit der kommunistischen Bewegung
in Deutschland demonstrieren. Auf dem 3. Parteitag
der SED im Juli 1950 und einen Monat später auf
dem Nationalkongreß der Nationalen Front wurden
die Westdeutschen zum nationalen Widerstand gegen
die anglo-amerikanischen "Imperialisten"
aufgerufen. Kurzfassungen der pathetischen Reden
wurden als Broschüren mit der Post nach Westdeutschland
geschickt. Um eine Beschlagnahme durch die westdeutsche
Postkontrolle zu vermeiden, wurde allen Briefen,
die an westdeutsche Gerichte, Gemeinden oder Verwaltungsstellen
gerichtet waren, Broschüren beigelegt. Eine andere
Taktik bestand darin, schulklassenweise Briefe nach
Vorlagen schreiben zu lassen, die dann an Westdeutsche
geschickt wurden, deren Anschriften man aus Telefonbüchern
herausgezogen hatte. "Diese Verängstigungs-
und Einschüchterungspropaganda blieb bei vielen
Deutschen nicht ohne Wirkung", heißt es in
einem Bericht der US-Hochkommission. Gegen diesen
neuen Feldzug der Kommunisten gegen das freie Deutschland
müsse offensiv vorgegangen werden.
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Bundeskanzler Adenauer
hatte zwar in einem Brief an Innenminister Heinemann
beanstandet, daß der Bürgermeister von Leipzig "in
Beuel an der Brückenrampe Flugschriften verteilt
hätte", seinem Gesamtdeutschen Minister Kaiser
verbot er jedoch, Gegenschriften in die DDR zu expedieren,
um die Sowjets nicht zu provozieren. Die Forderung
des Berliner SPD-Publizisten Arno Scholz und seines
CDU-Kollegen Ernst Lemmer nach einer politischen
Offensive in die DDR von Westberlin aus ("Berlin
ist die Front"), wurde vom Kanzler zurückgewiesen.
So blieb die Aufgabe, den Kalten Krieg gegen die
DDR von Berlin aus zu führen, zunächst Sache der
Amerikaner. Sie finanzierten auch zu Pfingsten 1950
die Sonderausgabe der Berliner Jugendzeitschrift
"Freundschaft", die vom Landesjugendring
Berlin herausgegeben und an alle Teilnehmer des
FDJ-Treffens verteilt wurde, die nach Westberlin
kamen. Den Umschlag ziert ein Berliner Bär, der
von einer europa-grünen Mauer ein Plakat abreißt,
auf dem ein FDJ-Emblem abgebildet ist. In seiner
linken Pranke hält der Bär ein Schild mit dem Buchstaben
"F", womit die Forderung nach Freiheit
ausgedrückt werden sollte. "Freiheit",
so hatte schon der Kampfgruß des "Reichsbanners"
in der Weimarer Republik gelautet.
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In der zweiten Jahreshälfte von 1950 schossen in Westberlin
Gruppierungen, Agenturen und Organisationen wie Pilze aus dem Boden, die sich die
Bekämpfung des Kommunismus in der DDR zur Aufgabe gesetzt hatten. Etwa 50 dieser Vereine
gab es bis Ende der fünfziger Jahre. Die Organisationen erfüllten dreierlei Funktionen:
konkrete Hilfeleistungen für DDR-Bürger, Schriftenversand in die DDR und
Nachrichtenbeschaffung aus der DDR. Das Geld kam vom US-Geheimdienst. Nach dem Wert der
Nachrichten richtete sich die Höhe der Zuwendungen. "Das war ein hartes Geschäft
nach der Devise "Ware gegen Geld", erinnert sich ein BND-Veteran.
"Vergessen Sie nicht den "Leuchtturm-Effekt" unserer Arbeit", gibt ein
früherer Mitarbeiter einer Berliner Organisation zu bedenken, "es mußte doch
gezeigt werden, daß von Berlin aus Widerstandsarbeit in der Zone gemacht wurde".
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Die bekanntesten Organisationen
waren die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit",
der "Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen",
das "Informationsbüro West", der "Heinrich
Bär Verlag", in dem die Satirezeitung "Tarantel"
erschien, sowie die Ostbüros der Parteien und Gewerkschaften.
Im weiteren Sinne gehörten dazu der "Kongreß
für kulturelle Freiheit", der die Kulturzeitschrift
"Der Monat" herausgab, der Michael-Verlag,
dessen Geschäftsführer im Hauptberuf militärische
Aufklärung für die Amerikaner betrieb und das Verlagshaus
der SPD-Zeitung "Telegraph". Der amerikanische
Rundfunksender RIAS unterhielt einen umfangreichen
Nachrichtenapparat in der DDR und arbeitete intensiv
mit den Berliner Organisationen zusammen. So wurden
regelmäßig Listen mit angeblichen Stasi-Spitzeln
verlesen, die der Untersuchungsausschuß zusammengestellt
hatte und auch in der Form gelber Flugzettel verbreitete.
Mitarbeiter der Kampfgruppe gaben im RIAS Ratschläge
für den Kampf gegen den Abschluß von Betriebs-Kollektivverträgen.
Artikel der amerikanischen "Neuen Zeitung"
zum selben Thema wurden als Sonderdrucke in die
DDR geschickt.
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Die wirksamsten
Schriften kamen wahrscheinlich vom Ostbüro der SPD.
Zielgruppe des Ostbüros waren nicht nur Regimegegner,
sondern auch schwankende oder oppositionelle SED-Mitglieder.
Für sie wurden als Tarnausgaben die Zeitschriften
"Einheit" und "Sozialdemokrat"
hergestellt. In besonderen Ausgabestellen für Ostbewohner
wurde etwa Wolfgang Leonhards "Die Revolution
entläßt ihre Kinder" verteilt. Um den Transport
über die Sektorengrenze zu erleichtern, hatte man
das Buch verkleinert, auf Bibeldruckpapier gedruckt
und mit dem Tarnumschlag "Karl Marx: Der 18.
Brumaire des Louis Bonaparte" versehen. Die
Tarnung war nötig, weil die Verbreitung und auch
schon der Besitz von westlichen "Hetzschriften"
in der DDR hart bestraft wurden. Die Berliner Organisationen
mußten besondere Vertriebsapparate aufbauen, um
ihr Schriftgut zunächst über die Grenze zu schaffen.
Dort wurde es dann, so die Zeitschrift "Tarantel",
in Briefumschlägen mit falschen Absendern von Ministerien
durch die Post versandt. Für den Postversand stellte
die "Tarantel" besondere "schwarze"
Briefmarken her, auf denen "Undeutsche undemokratische
Diktatur" zu lesen stand. Die Verfolgung der
Westschriften durch die DDR-Organe erzeugte den
Reiz des Verbotenen und steigerte die Neugier darauf.
So konnten die Restauflagen von Landser-Kriegsromanheften
mühelos über In den mit Nachrichten unterversorgten,
geschlossenen Grenzkioske in Westberlin an DDR-Bürger
verkauft werden, weil sie als besonders gefährliches
Seelengift galten.
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Quantitativ erreichten
die von Westberlin aus vertriebenen Schriften nur
einen Bruchteil der Auflagenhöhe, in der die für
den Westversand bestimmten Schriften der DDR produziert
wurden. Doch die DDR konnte in dem im Prinzip offenen
Meinungsmarkt der Bundesrepublik nicht Fuß fassen,
weil die Mehrzahl der Westdeutschen das "Produkt
DDR" für schlecht hielt. In den mit Nachrichten
unterversorgten Meinungsmarkt der DDR einzudringen
war zunächst ein technisches Problem. Die Aufnahmebereitschaft
der Leser war sehr groß, weil sie das "Produkt
Westdeutschland" für besser hielten als ihren
Staat. Die DDR-Propagandisten versuchten stets,
eine zentrale Lenkung und Ausrichtung des von Westberlin
aus gegen sie gerichteten Kalten Krieges zu entdecken.
Diese zentrale Lenkung gab es nicht, denn die Amerikaner
befürworteten den Wettbewerb sehr verschiedener
Schriftenproduzenten und Nachrichtenbeschaffer.
Dennoch läßt sich feststellen, daß der von West-Berlin
aus geführte Kalte Krieg politisch stärker links
ausgerichtet war als der Bonner.
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2/10
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