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Was war
der Kalte Krieg?

(von Wilfried Loth)

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Das Sicherheitsdilemma

      

"European Recovery Program", 1950                  

Nachdem die Bemühungen um eine kooperative Nachkriegsordnung aber erst einmal gescheitert waren, war die Schaffung zweier Blocksysteme mit je eigener Militärstruktur ziemlich unvermeidlich. Das ergab sich aus der Logik des Sicherheitsdilemmas: Wenn sich Ost und West gegenüberstanden, ohne durch eine gemeinsame Sicherheitsstruktur miteinander verbunden zu sein, dann konnte weder die eine noch die andere Seite je ganz sicher sein, ob die Gegenseite nicht doch aggressive Absichten hegte. Folglich trafen beide Seiten Vorkehrungen, um in der befürchteten Konfrontation bestehen zu können - und bestärkten sich damit wechselseitig in dem Verdacht, mit aggressiven Akten der Gegenseite rechnen zu müssen.

       

Als die Westmächte im Zuge ihres Eindämmungsprogramms im Juni 1948 das Startsignal für die Bildung eines westdeutschen Staates gaben, antwortete Stalin mit der Sperrung der Zufahrtswege nach Berlin - und bewirkte damit, daß die Westmächte noch enger zusammenrückten und verbliebene Widerstände gegen die Weststaatsgründung überwunden wurden. Die Zündung einer ersten sowjetischen Atombombe im August 1949 trieb die amerikanischen Militärs dazu, nun eine konventionelle Präsenz in Europa für notwendig zu halten. Und der Überfall des kommunistischen Nordkoreas auf Südkorea im Juni 1950 - von Stalin zugelassen, weil er auf leichte Beute hoffte und Südkorea nicht zum Westen rechnete - löste in der westlichen Öffentlichkeit soviel Furcht vor einem parallelen Vorgehen in Europa aus, daß die dauerhafte Einbindung amerikanischer Truppen in eine westeuropäische Verteidigungsstruktur tatsächlich möglich wurde, ebenso die Einbeziehung der Bundesrepublik in dieses Verteidigungssystem.

      

Das Sicherheitsdilemma war auch der Hauptgrund dafür, daß der Ost-West-Konflikt über lange Zeit hinweg virulent blieb, obwohl weder die eine noch die andere Seite akut aggressive Absichten verfolgte und der sowjetische Revolutionsanspruch im mühevollen Kampf ums Überleben immer mehr an Bedeutung verlor. Daneben arbeitete eine breite Koaliton "sekundärer Verursacher", die aus der Konfrontation Nutzen zogen - von einzelnen Politikern in beiden Lagern bis zu den militärisch-industriellen Komplexen -, aus Gründen des Machterhalts und der Legitimation auf einen Fortbestand der Konfliktsituation hin. Feindbilder, die in der Konfrontation entstanden waren, wurden zu Selbstläufern, die den Handlungsspielraum der Verantwortlichen einengten, wenn sie sich um eine Überwindung der Konfrontation bemühten.

    

Zusätzlich erschwert wurde eine Verständigung durch das Fortwirken traumatischer Erfahrungen und ideologischer Fixierungen. In den Augen der kommunistischen Führer war die kapitalistische Umwelt grundsätzlich feindselig und gleichzeitig langfristig zum Untergang verurteilt, Bemühungen um Sicherheitpartnerschaft erschienen ihnen daher weder aussichtsreich noch letztlich notwendig; es genügte, die eigenen Bastionen zu behaupten, und im übrigen auf bessere Zeiten zu hoffen. Die westlichen Gesellschaften erholten sich nie ganz von dem Schock, den die Umsturzversuche im Anschluß an die Oktoberrevolution 1917 ausgelöst hatten; und sie blieben auch immer von dem Trauma geprägt, das die Erfahrung mit der Appeasement-Politik gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland für sie bedeutete. Beides gab ihnen Anlaß, sowjetische Angebote grundsätzlich für suspekt zu halten.

     

Postkarte aus der CSR zum Marshall-Plan, 1949Infolge der Unsicherheiten, die sich aus dem Scheitern der Kooperation ergaben, darf die NATO durchaus für sich in Anspruch nehmen, zur Sicherung des Friedens beigetragen zu haben. Das gleiche gilt allerdings auch für den Warschauer Pakt. Und beide Paktsysteme müssen sich sagen lassen, daß die Sicherheit auch zu wesentlich geringeren Kosten zu haben gewesen wäre und daß das permanente Streben nach einem nie objektivierbaren "Gleichgewicht" den Frieden keineswegs sicherer gemacht hat. Nicht das militärische Gleichgewicht, das genau besehen nie existierte, und auch nicht die wechselseitige atomare Abschreckung, die nach der ersten Phase erdrückender Überlegenheit der USA erst Ende der 60er Jahre zu greifen begann, haben den Übergang vom Kalten zum Heißen Krieg verhindert, sondern der Umstand, daß beide Seiten von Anfang an, noch vor irgendwelchen gezielten Aufrüstungsmaßnahmen, das Risiko eines bewaffneten Konflikts scheuten. Die diversen Rüstungsanstrengungen hatten nur den Zweck, sich der Fortdauer dieses Risikobewußtseins zu versichern.

    

Das Sicherheitsdilemma war nicht leicht zu überwinden. Um dahin zu gelangen, war die Fähigkeit vonnöten, sich von den ideologischen Fixierungen zu lösen und den Realitäten ins Auge zu sehen, dazu der entschiedene Wille, die Ressourcenvergeudung des Wettrüstens zu stoppen und der wachsenden Gefahr der atomaren Vernichtung "aus Versehen" zu begegnen, die Befreiung von innenpolitischen Zwängen, die die Verantwortlichen in Ost und West immer wieder an das Kalte-Kriegs-Schema zurückbanden, und eine gewisse Risikobereitschaft beim Zugehen auf den vermeintlichen Todfeind. Weil diese Bedingungen nicht so schnell zusammenkamen, blieb die Geschichte des Ost-West-Konflikts auch nach der Blockbildung vorwiegend eine Geschichte der verpaßten Chancen.

    

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