Was war
der Kalte Krieg?
(von Wilfried Loth) |
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Verhängnisvolle
Furcht |
Gekennzeichnet war dieser Aggregatzustand durch die
Vorstellung, daß es im Ost-West-Konflikt nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen
unterschiedlichen Lebensformen, Gesellschaftssystemen und Machtsphären ging, sondern um
einen Kampf auf Leben und Tod, der die eine wie die andere Seite existenziell bedrohte.
Aus der Furcht vor einem Übergriff der Gegenseite auf die eigene Lebensform wurden
Kontakte abgebrochen, Mauern errichtet, wurde aufgerüstet und die Militarisierung der
eigenen Gesellschaft vorangegetrieben. Kommunistische Führer bauten ihr Lager zu einer
repressiven Festung aus, weil sie glaubten, anders nicht gegenüber dem aggressiven
Imperialismus der USA bestehen zu können; und westliche Demokratien entwickelten
ähnliche Militanz, weil sie fürchteten, die bolschewistische Revolution werde sonst
unaufhaltsam immer weiter nach Westen vordringen.
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Diese Furcht war allerdings nicht
immer gleich stark und sie war auch nie allein handlungsbestimmend.
Immer wieder machten sich Zweifel bemerkbar, ob
die Gegenseite wirklich so aggressiv und so mächtig
war, wie die Furchtsamen und die Dogmatiker behaupteten.
Immer wieder machten sich Stimmen bemerkbar, die
auf die Kosten der Konfrontation hinwiesen; die
Notwendigkeit, immer mehr Ressourcen in die Rüstung
zu stecken, ohne je ganz sicher sein zu können,
daß die Abschreckung wirklich funktionierte; die
schleichende Militarisierung der eigenen Gesellschaft;
das Risiko einer atomaren Katastrophe. Immer wieder
setzten sich diejenigen zur Wehr, die unter der
Blockkonfrontation besonders zu leiden hatten, die
- im Osten wie im Westen - innenpolitisch zu den
Verlierern der Konfrontation zählten. All dies sorgte
dafür, daß der Kalte Krieg permanent relativiert
wurde. Darum ist es sinnvoll, von Kalte-Kriegs-Tendenzen
und Höhepunkten des Kalten Krieges zu sprechen;
es ist aber nicht möglich, einen klar abgegrenzten
Zeitraum des Kalten Krieges innerhalb der Ära des
Ost-West-Konflikts auszumachen.
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Kalte-Kriegs-Tendenzen
konnte es geben und gab es, solange die amerikanisch-sowjetische
Rivalität die künftige oder aktuelle Weltpolitik
dominierte, also vom Eintritt der Sowjetunion und
der USA in den Zweiten Weltkrieg 1941 bis zum Ende
des Ost-West-Konflikts infolge der Gorbatschow-Revolution.
Sie verdichteten sich nach dem Scheitern der Bemühungen
um eine einvernehmliche Regelung der Nachkriegsordnung
1947 und flauten wieder ab, als um Mitte der 50er
Jahre deutlich wurde, daß sich mit den beiden Blöcken
in Ost und West gleichwohl eine vergleichsweise
stabile Nachkriegsordnung etabliert hatte. In der
Zeit der Berlin-Krise 1958-1962 flackerten die Ängste
wieder auf, und auch im Jahrzehnt zwischen 1974
und 1984 machten sich Verhaltensweisen bemerkbar,
die an die Hoch-Zeiten des Kalten Krieges erinnerten.
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Für das Verständnis
des Kalten Krieges ist die Einsicht zentral, daß
die Furcht vor dem Übergriff der Gegenseite auf
die eigene Sicherheitssphäre nicht nur mehr oder
weniger übertrieben, sondern in der Substanz unbegründet
war. Diese Einsicht ist nicht unumstritten. Sie
fällt auch nicht jedermann leicht, weil sie dazu
zwingt, von den vertrauten Illusionen und Legitimationen
Abschied zu nehmen, die sich in der Zeit des Kalten
Krieges festgesetzt haben. Sie ist aber gut belegt
und wird durch die Fakten, die nach dem Ende des
Ost-West-Konfliktes zutage treten, zusätzlich erhärtet.
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