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Was war
der Kalte Krieg?

(von Wilfried Loth)

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Verhängnisvolle Furcht

 

Gekennzeichnet war dieser Aggregatzustand durch die Vorstellung, daß es im Ost-West-Konflikt nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Lebensformen, Gesellschaftssystemen und Machtsphären ging, sondern um einen Kampf auf Leben und Tod, der die eine wie die andere Seite existenziell bedrohte. Aus der Furcht vor einem Übergriff der Gegenseite auf die eigene Lebensform wurden Kontakte abgebrochen, Mauern errichtet, wurde aufgerüstet und die Militarisierung der eigenen Gesellschaft vorangegetrieben. Kommunistische Führer bauten ihr Lager zu einer repressiven Festung aus, weil sie glaubten, anders nicht gegenüber dem aggressiven Imperialismus der USA bestehen zu können; und westliche Demokratien entwickelten ähnliche Militanz, weil sie fürchteten, die bolschewistische Revolution werde sonst unaufhaltsam immer weiter nach Westen vordringen.

   

Plakat vom "Bund der Deutschen", 1955Diese Furcht war allerdings nicht immer gleich stark und sie war auch nie allein handlungsbestimmend. Immer wieder machten sich Zweifel bemerkbar, ob die Gegenseite wirklich so aggressiv und so mächtig war, wie die Furchtsamen und die Dogmatiker behaupteten. Immer wieder machten sich Stimmen bemerkbar, die auf die Kosten der Konfrontation hinwiesen; die Notwendigkeit, immer mehr Ressourcen in die Rüstung zu stecken, ohne je ganz sicher sein zu können, daß die Abschreckung wirklich funktionierte; die schleichende Militarisierung der eigenen Gesellschaft; das Risiko einer atomaren Katastrophe. Immer wieder setzten sich diejenigen zur Wehr, die unter der Blockkonfrontation besonders zu leiden hatten, die - im Osten wie im Westen - innenpolitisch zu den Verlierern der Konfrontation zählten. All dies sorgte dafür, daß der Kalte Krieg permanent relativiert wurde. Darum ist es sinnvoll, von Kalte-Kriegs-Tendenzen und Höhepunkten des Kalten Krieges zu sprechen; es ist aber nicht möglich, einen klar abgegrenzten Zeitraum des Kalten Krieges innerhalb der Ära des Ost-West-Konflikts auszumachen.

   

Kalte-Kriegs-Tendenzen konnte es geben und gab es, solange die amerikanisch-sowjetische Rivalität die künftige oder aktuelle Weltpolitik dominierte, also vom Eintritt der Sowjetunion und der USA in den Zweiten Weltkrieg 1941 bis zum Ende des Ost-West-Konflikts infolge der Gorbatschow-Revolution. Sie verdichteten sich nach dem Scheitern der Bemühungen um eine einvernehmliche Regelung der Nachkriegsordnung 1947 und flauten wieder ab, als um Mitte der 50er Jahre deutlich wurde, daß sich mit den beiden Blöcken in Ost und West gleichwohl eine vergleichsweise stabile Nachkriegsordnung etabliert hatte. In der Zeit der Berlin-Krise 1958-1962 flackerten die Ängste wieder auf, und auch im Jahrzehnt zwischen 1974 und 1984 machten sich Verhaltensweisen bemerkbar, die an die Hoch-Zeiten des Kalten Krieges erinnerten.

   

Für das Verständnis des Kalten Krieges ist die Einsicht zentral, daß die Furcht vor dem Übergriff der Gegenseite auf die eigene Sicherheitssphäre nicht nur mehr oder weniger übertrieben, sondern in der Substanz unbegründet war. Diese Einsicht ist nicht unumstritten. Sie fällt auch nicht jedermann leicht, weil sie dazu zwingt, von den vertrauten Illusionen und Legitimationen Abschied zu nehmen, die sich in der Zeit des Kalten Krieges festgesetzt haben. Sie ist aber gut belegt und wird durch die Fakten, die nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes zutage treten, zusätzlich erhärtet.

    

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