Daß
der Ost-West-Konflikt schließlich doch, für alle
Beteiligten überraschend schnell, zu Ende ging,
war, das muß gegen einen allzu durchsichtigen Versuch
der Legendenbildung festgehalten werden, nicht ein
Erfolg westlicher Politik der Stärke. Die Durchführung
des "Nachrüstungs"-Beschlusses und die
Modernisierungsanstrengungen der Reagan-Administration
mögen die sowjetische Einsicht beschleunigt haben,
daß der technologische Wettlauf von der Sowjetunion
nicht gewonnen werden konnte, doch war diese Einsicht
früher oder später ohnehin unvermeidlich. Im übrigen
haben Verweigerung von Kooperation und aggressive
westliche Rhetorik wiederholt dazu beigetragen,
frühere Ansätze der Perestroika wieder zunichte
zu machen.
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Entscheidend für die
Überwindung des Sicherheitsdilemmas war vielmehr
zunächst das geduldige Beharren all derjenigen,
die sich um ein Durchlässigmachen der Blockgrenzen
bemühten. Sie trugen damit dazu bei, daß die westlichen
Prinzipien im sowjetischen Machtbereich Verbreitung
fanden und bis zur Spitze des sowjetischen Imperiums
vordrangen, und sie erleichterten mit ihrer Kooperationsbereitschaft
der sowjetischen Führung den Abschied von den alten
Einkreisungsängsten. Entscheidend war sodann und
vor allem, daß Michail Gorbatschow und die Reformer,
für die er stand, den Schritt aus der Festung des
Kalten Krieges heraus tatsächlich gewagt haben.
Dieser Schritt folgte gewiß aus der Einsicht der
desolaten Lage des Sowjetimperiums; er wurde mit
dem Mut der Verzweiflung unternommen. Dennoch war
er alles andere als selbstverständlich. Niemand
konnte voraussagen, zu welchem Zeitpunkt er erfolgen
würde.
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Die Rede vom westlichen Sieg im Kalten
Krieg ist damit ziemlich irreführend. Zu registrieren
ist weder ein militärischer Sieg noch ein politischer
Durchbruch der Westmächte. Vielmehr haben sich die
Prinzipien der westlichen Zivilisation auch im Machtbereich
der Sowjetunion durchgesetzt, zumindest als Programm.
Das ist etwas ganz anderes: Es ist neben und vor
dem Erfolg westlicher Entspannungspolitik auch ein
Erfolg der sowjetischen Führer: Sie haben ein Imperium
verloren, aber auch Verbündete gewonnen, die ihnen
bei der überfälligen Neuordnung des bisherigen Regimes
helfen können. Vor allem haben sich aber die Völker
der bisherigen Sowjetunion von den Lasten einer
45jährigen Überspannung ihrer Kräfte befreit.
Anders als es die bipolare
Weltsicht nahelegt, war der Kalte Krieg nie ein
Konflikt zwischen zwei im Prinzip gleichrangigen
Größen, sondern ein Konflikt zwischen dem prinzipiell
eine Vielzahl von Lebensformen und Machtkonfigurationen
zulassenden westlichen System und der tendenziell
totalitären Verabsolutierung einer dieser Möglichkeiten
im Ostblock. Für die westlichen Prinzipien war darum,
das war bei nüchterner Betrachtung schon früher
zu sehen und ist im Rückblick vollends deutlich
geworden, von einer offenen, das heißt kooperativen
und jede Chance zur Entspannung nutzenden Systemkonkurenz
nicht zu befürchten, vielmehr alles zu erhoffen.
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Insofern
bleibt nach dem Ende des Ost-West-Konflikts neben
der Erleichterung, daß dem Kalten Krieg nun die
Grundlage entzogen ist, das Bedauern, daß diese
Chancen nicht früher und konsequenter genutzt wurden.
Weder lassen sich die unnötigerweise vergeudeten
Ressourcen zurückholen noch kann man die Deformationen
in den Biographien so vieler Zeitgenossen des Kalten
Krieges einfach wieder zurechtrücken, und schon
gar nicht lassen sich die Opfer sowjetischer Repression
wieder zum Leben erwecken, für die der Kalte Krieg
zumindest mitverantwortlich ist. Die Überlebenden
des Kalten Krieges stehen vor einer Last, an der
sie noch lange zu tragen haben.
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