Vertan wurde zunächst
die Gelegenheit, das Deutschlandproblem trotz aller
Divergenzen im Viermächte-Kontrollrat doch noch
gemeinsam zu regeln und das Vierzonen-Deutschland
so aus der Blockkonfrontation herauszuhalten. Ob
dies eine Chance war, muß dahingestellt bleiben,
betrachtet man das latente Hegemonialpotential
eines vereinten Deutschlands und die politische
Unreife der Deutschen wenige Jahre nach dem Ende
des Hitlerregimes. Aber daß es eine Möglichkeit
war, läßt sich nicht mehr ernsthaft bestreiten.
Immer mehr Indizien deuten darauf hin, daß Stalin
1952 bereit war, das Machtmonopol der SED in dem
ungeliebten östlichen Teilstaat zu opfern, wenn
damit die Aufrüstung der Bundesrepublik verhindert
werden konnte. Die Entlassung Deutschlands in die
Autonomie schwebte ihm dabei gar nicht vor, eher
eine gemeinsame Kontrolle durch die vier Siegermächte
nach Potsdamer Muster, die der Sowjetzone zwar die
Segnungen des Sozialismus ersparte, zugleich aber
die westliche Sicherheitskonstruktion in ihrem empfindlichsten
Punkt traf. Neue Quellen, die nach dem Zusammenbruch
der DDR zugänglich wurden, erhärten zudem die Gewißheit,
daß seine Nachfolger im Frühjahr 1953 noch einmal
in die gleiche Richtung gingen. Adenauer hat diese
Neutralisierung nicht gewollt und darum nach Kräften
hintertrieben (eine Entscheidung, für die es respektable
Gründe gibt, die aber gleichwohl fundamentale Bedeutung
hatte); und dann gewannen, besonders nach dem gescheiterten
Aufstand vom 17. Juni 1953, auch die Anwälte einer
Konsolidierung der DDR im sowjetischen Machtsystem
immer mehr an Gewicht.
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Vertan wurde sodann
die Möglichkeit - und hier wird man eindeutiger
auch von einer Chance sprechen können -, die militärische
Konfrontation schon in den 50er Jahren zu entzerren
und damit die Eskalation des atomaren Wettrüstens
zu bändigen. Sie war insofern gegeben, als die Sowjetunion
unter Chruschtschow atomar immer noch hoffnungslos
unterlegen und voller dunkler Vorahnungen hinsichtlich
einer Ausrüstung der Bundesrepublik mit Atomwaffen
- ernsthaft an solch einer Rüstungsbegrenzung interessiert
war. Die Verhandlungen wurden jedoch zunächst von
Adenauer torpediert, der die Sowjetunion zuerst
zur Preisgabe der DDR zwingen wollte; und dann griff
Chruschtschow im November 1958 selbst zu dem untauglichen
Mittel der Pression auf Berlin, das die Westmächte
zwar endlich an den Verhandlungstisch brachte, zugleich
aber einen neuen Rüstungsschub der westlichen Seite
in Gang setzte.
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Nicht nur mit den verschiedenen Berlin-Ultimaten
und dem Bau der Berliner Mauer im August 1961 hat
die Sowjetunion die Entspannungsansätze konterkariert.
Auch die wiederholten militärischen Interventionen
gegen Freiheitsbewegungen im eigenen Machtbereich
- 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der
Tschechoslowakai - haben westlichen Entspannungsbemühungen
immer wieder einen Schlag versetzt. Das sowjetische
Regime war nicht souverän genug, um Entspannungsofferten
lange genug durchhalten zu können; statt einen grundsätzlichen
Umbau in Angriff zu nehmen, setzen seine Verantwortlichen
im Zweifelsfall immer wieder Gewalt zur Konservierung
der bestehenden Strukturen ein.
Die Kuba-Krise vom
Oktober 1962, ausgelöst durch den sowjetischen Versuch,
die strategische Überlegenheit der USA durch die
Installation sowjetischer Mittelstreckenraketen
auf der Karibik-Insel zu kompensieren, führte zwar
allen Beteiligten die Gefährlichkeit des atomaren
Wettrüstens vor Augen. Mehr als die Einrichtung
des "roten Telefons" zwischen Moskau und
Washington und ein erstes Atomteststopp-Abkommen
folgte aus dieser Einsicht jedoch vorerst nicht.
Vielmehr konzentrierte die Sowjetunion ihre Anstrengungen
jetzt darauf, in der strategischen Rüstung und im
Aufbau einer weltweit operierenden Seemacht mit
den USA gleichzuziehen; die USA aber verstrickten
sich zunehmend in den Kolonialkrieg gegen die kommunistische
Nationalbewegung in Vietnam.
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Dieser "schmutzige
Krieg" war in besonderer Weise fatal: Entstanden
aus einem überdimensionierten Eindämmungsdenken,
das die kommunistische Welt als einheitlichen Block
sah und jeden kommunistischen Erfolg als Etappensieg
nach dem Dominoprinzip betrachtete, hat er aberwitzige
menschliche und moralische Verluste gekostet, ehe
der Schock über das Ausmaß der dadurch verursachten
Katastrophe dem globalisierenden Antikommunismus
einen empfindlichen Schlag versetzte. Zu den verpaßten
Chancen gehört schließlich auch die mangelnde westliche
Konsequenz bei der Verfolgung der Entspannungspolitik.
Überzogene Erwartungen an die sowjetische Reformbereitschaft
und erneute Ängste vor einer sowjetischen Überrumpelungstaktik
führten schon bald nach dem Abschluß der deutschen
Ostverträge und des ersten SALT-Abkommens 1972 zu
einer Verzögerung der Rüstungskontrollverhandlungen
und zur Zurückhaltung bei der Entwicklung des Ost-West-Handels.
Als daraufhin die Sowjetführung unter Breschnew
der Versuchung zur militärischen Überversicherung
nachgab, löste das, beginnend mit dem "Nachrüstungs"-Beschluß
von 1979, einen neuerlichen Rüstungsschub aus, der
von einer Wiederbelebung der Gestik wie der Rhetorik
des Kalten Krieges begleitet wurde.
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