Ganz ähnlich erhob die
Sowjetunion wohl den Anspruch, an der Spitze der
weltweiten revoltutionären Bewegung zu stehen, der
historisch notwendigerweise die Zukunft gehörte,
doch ging tatsächlich nur wenig revolutionäre Dynamik
von ihr aus. Unter Stalin führte ein abgrundtiefes
Mißtrauen gegenüber einer als grundsätzlich feindlich
perzipierten Umwelt zu vielfacher Repression im
Innern des sowjetischen Machtbereichs; nach außen
konnte er sich Kompromisse nur als Arrangements
auf Zeit vorstellen, die es ermöglichten, einen
besseren Ausgangspunkt für die nächste Runde im
internationalen Klassenkampf zu finden. Gleichzeitig
hatte Stalin aber auch ein äußerst lebhaftes Gespür
für die relative Schwäche und Verwundbarkeit seines
Landes; darum verfolgte er einen extrem pragmatische
Kurs, gegenüber den Westmächten geradezu übervorsichtigen
Kurs.
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In der Tat ging die
Sowjetunion aus dem Zeiten Weltkrieg bei allem strategischen
Geländegewinn als ein zutiefst geschwächtes Land
hervor: Nach neuesten sowjetischen Angaben hatten
mindestens 27 Millionen Menschen ihr Leben gelassen,
vielleicht sogar noch mehr. Der von den Deutschen
besetzte Teil des Landes war weitgehend verwüstet
und ausgeplündert. Die Landwirtschaft war so desorganisiert,
daß 1946 in der Ukraine und in Weißrussland Hungersnot
herrschte; das Industrialisierungsprogramm war um
viele Jahre zurückgeworfen. Deutlicher als die Zeitgenossen,
die unter den Nachwirkungen der antibolschewistischen
Propaganda und dem Schock des Vorrückens der Roten
Armee standen, sehen wir nach dem Zusammenbruch
des Sowjetimperiums, daß die UdSSR durch den Kalten
Krieg in eine Weltmachtrolle hineinmanövriert wurde,
in der sie hoffnungslos überfordert war.
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Mit außerordentlichem,
vermutlich sogar weit übertriebenem Respekt vor
den Fähigkeiten des amerikanischen und deutschen
Kapitalismus suchte Stalin bei Kriegsende sein strategisches
Vorfeld in Osteuropa zu sichern, das deutsche Problem
in den Griff zu bekommen und im übrigen den Vormarsch
des amerikanischen Kapitalismus so gut es ging abzumildern.
Der Export der bolschewistischen Revolution stand
für ihn nicht auf der Tagesordnung. Selbst im östlichen
Europa, das jetzt unter der Kontrolle der Roten
Armee stand, steuerte er keineswegs zielstrebig
auf die Etablierung des kommunistischen Machtmonopols
zu. Lange Zeit suchte er, sehr zum Verdruß seiner
osteuropäischen Zeitgenossen, nach verläßlichen
Verbündeten unter den traditionellen Eliten der
osteuropäischen Völker; und auch nachdem er damit
(mit Ausnahme der Tschechoslowakei) keinen Erfolg
gehabt hatte, schärfte er - wie wir heute wissen
- seinen Statthaltern in den osteuropäischen Hauptstädten
ein, daß die Einführung des Sozialismus nicht überstürtzt
betrieben werden dürfe. Erst nach allerlei Kompromissen
und Umwegen wurde 1947 mit der Gründung des Kominform
der sowjetische Weg zum Sozialismus zum allein maßgeblichen
erklärt.
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In Deutschland meinte
er es ernst mit der "antifaschistisch-demokratischen
Umwälzung", die er propagierte: Sie sollte
in allen vier Besatzungszonen durchgeführt werden,
um die gesellschaftlichen Wurzeln des Nationalsozialismus
zu beseitigen und so die Garantie für ein friedliches
Deutschland schaffen. Daraus folgte, daß er ein
lebhaftes Interesse daran hatte, die gemeinsames
Verantwortung für die vier Besatzungszonen, wie
sie in Potsdam beschlossen worden war, aufrecht
zu erhalten, und daß das Umgestaltlungsprogramm,
das von den drei westlichen Alliierten mitgetragen
werden sollte, nur ein Kompromißprogramm sein konnte.
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In den Ländern des
westlichen Europas arbeitet er keineswegs auf eine
weitere Verelendung hin, um so, wie man in Washington
fürchtete, soziale Aufruhr zu fördern, den die Kommunisten
zur Machtergreifung nutzen konnten. Vielmehr verpflichtete
er die westlichen Kommunisten darauf, am Wiederaufbau
ihrer Länder mitzuarbeiten, um so den - im Prinzip
unvermeidlichen - Einfluß der USA auf diese Länder
in Grenzen zu halten. In Frankreich wie in Italien
dienten sich die Kommunisten daraufhin als Verbündete
im Kampf um den Wiederaufbau und die Wiedergewinnung
der nationaler Unabhängigkeiten an; sozialistische
Umgestaltungshoffnungen, die durch das Erlebnis
des Krieges befördert worden waren, mußten zurückstehen.
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Die beiden Hauptsiegermächte des Zweiten
Weltkrieges bedrohten sich also bei der Verfolgung
ihrer jeweiligen Sicherheitsinteressen nicht wirklich
vital; viel eher neigten sie zu Kompromissen und
zum Arrangement. Mehr noch: Ihre konkreten wirtschaftlichen
Interessen waren auf weiten Strecken komplimentär
das amerikanische Interesse an der Erschließung
neuer Märkte korrespondierte mit dem sowjetischen
Interesse an Wiederaufbauhilfe. Selbst in ideologischer
Hinsicht gab es eine Reihe von Gemeinsamkeiten -
sowohl die USA als auch die Sowjetunion waren aus
Revolutionen hervorgegangen, die sich gegen die
alteuropäische Ordnung gerichtet und die Befreiung
von gesellschaftlichen Zwängen auf ihre Fahnen geschrieben
hatten.
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