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Wer hatte die Verantwortung? Den Arbeitern standen zwar ein ungebrochenes
Vertrauen in ihre "gerechte Sache" und in die Stabilität ihrer Solidarität,
aber noch kaum die finanziellen, organisatorischen und publizistischen
Mittel zur Verfügung, um den Arbeitgebern ihre Forderungen tatsächlich
aufzwingen zu können. Diese aber ließen vor allem im großindustriellen
Bereich Arbeitskonflikte oft ganz bewusst eskalieren, indem sie das ganze
Arsenal von sogenannten Abwehrmaßregeln ins Feld führten, über das sie
als die wirtschaftlich und gesellschaftlich Mächtigeren verfügten. Rigorose
Ablehnung von Verhandlungen mit Streikkomitees, Entlassung von
"Rädelsführern", Kündigung von Werkswohnungen, systematische Anwerbung
auswärtiger Streikbrecher, schwarze Listen, Aussperrungen, planmäßige
Kooperation mit staatlichen Ordnungskräften etc. - das alles waren
bestimmende Elemente unternehmerischer Streikpolitik in den Gründerjahren.
Nicht zuletzt durch diese "Abwehr" drohte - wie allseits beklagt wurde -
"das unselige System der Strikes sich immer mehr zu einem vernichtenden
Klassenkampfe zuzuspitzen".17
Immerhin konnten die Unternehmer zur Rechtfertigung ihrer Konterstrategien
anführen, dass sie schließlich die auf frivole Weise Angegriffenen - mithin
Opfer einer Verschwörung gegen Ruhe und Frieden - seien, die sich schon um
der "Erhaltung der Industrie" willen der Arbeiterbewegung erwehren müssten.
Die Forderungen seien "nicht nur an sich unzulässig, sondern sogar
unmöglich zu erfüllen".18
Die Gegenmaßnahmen, bei denen falsche Rücksicht gegenüber den Arbeitern
unangebracht sei, dienten ja nicht zuletzt der Wiederbegründung des
"guten Verhältnisses, welches zwischen Arbeiter und Principal bestehen
muß, wenn nicht die Interessen beider leiden
sollen."19 Diese Harmonie
sei um so wichtiger, als die Streiks "meist von außen angeregt werden;
denn gerade der schwerste Schaden, den sie stiften, die wachsende
Erbitterung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, ist den Anstiftern
willkommen."20 Diese
Benutzung von Streiks als ein politisch eingeführtes "Mittel, den
Klassenkampf immer mehr zu verschärfen und zu
vertiefen"21, wurde
dann namentlich der deutschen Sozialdemokratie immer wieder zum Vorwurf
gemacht. Deren bösartige und frevelhafte Agitation sei in erster Linie
Schuld an der "Steigerung und Vergiftung des Klassenzwiespalts".
Es gelte mithin, den "gesunden Sinn unserer Arbeiterbevölkerung von
dem terroristischen Drucke ihrer Verführer zu
befreien".22
Mit dieser - hier im zeitgenössischen Jargon wiedergegebenen -
Positionsbestimmung war ein gesellschaftlicher Frontverlauf festgeschrieben,
der das Verhältnis von Kapital und Arbeit in der Reichsgründungszeit
entscheidend prägte. Er beinhaltete eine grundsätzliche und unnachgiebige
Opposition der meisten Unternehmer gegenüber all jenen Ansprüchen der
Arbeiter auf soziale Sicherung, Gleichberechtigung und Teilhabe, die sich
auf Werte wie Selbstbestimmung, Demokratie und soziale Gerechtigkeit
beriefen. War damit auch der Ausgang vieler Streikauseinandersetzungen mehr
oder minder im voraus entschieden - fast alle größeren Arbeitskämpfe in
der Fabrik- und Bergwerkindustrie endeten mit Niederlagen für die
Arbeiter -, die gesellschaftliche Polarisierung wurde eher vorangetrieben
als verlangsamt. Nicht zuletzt trug dazu die organisationsstiftende Wirkung
bei, die die Streiks in beiden Lagern der Kontrahenten zeigten. Sie
verstetigten gleichsam den schwelenden Sozialkonflikt durch eine, allerdings
sehr ungleiche, "Bewaffnung" der Konfliktparteien. Die "Verhältnisse der
sogenannten Arbeiterbevölkerung" wurden nun erst zum virulenten Problem,
da angesichts ungelöster sozialer Probleme die Chancen für eine Integration
des "vierten Standes" auf dem Wege eines tatsächlichen Interessenausgleichs
zusehends schwanden. Mit diesem Erfahrungshorizont verstärkte sich in
bürgerlichen Kreisen schon sehr früh "die Überzeugung von der
Nothwendigkeit einer Intervention des Staates in dem gegenwärtigen
Klassenkampf behufs Herstellung der Ordnung und des
Friedens."23 Diese
Intervention des Staates ist in Deutschland auch tatsächlich relativ
frühzeitig erfolgt. Allerdings zunächst und vor allem in Gestalt von
repressiven Maßregeln, denen erst später - zu Beginn der achtziger Jahre
des 19. Jahrhunderts - ein Paket positiver Zuwendungen zur Seite gestellt
wurde. Das kam vor allem daher, dass die Arbeiterfrage nicht allein als
ein soziales Problem, sondern mindestens ebenso sehr als eine soziale
Gefahr in das Bewusstsein der bürgerlichen Öffentlichkeit trat, mithin
als ein furchterregendes Phänomen. Dies erleichterte nicht gerade die
Suche nach angemessenen Problemlösungen: die möglichst unvoreingenommene
Prüfung der tatsächlichen Berechtigung jener Forderungen, die die Arbeiter
allerorts erhoben. Denn der Inhalt dieser Forderungen war schlechterdings
kaum zu trennen von der ungestüm-kämpferischen Art seiner Artikulation
und diese wiederum nicht von den gewerkschaftspolitischen Bestrebungen,
jene Forderungen zu bündeln und in die eigene Strategie einzupassen.
Das unternehmerische Verdikt von einer "krankhaften", von staatsfeindlichen
Agitatoren geschürten Arbeiterbewegung gewann hierdurch eine gewisse
Plausibilität. Eine solche Sichtweise von dem Bezugsfeld staatlicher
Arbeiterpolitik wurde noch verstärkt durch den Erfahrungsdruck zahlreicher
Volksunruhen, die nicht oder nur bedingt arbeitsweltbezogen waren,
gleichwohl aber auf ihre Weise eine erhöhte Mobilisierungs- und
Aktionsbereitschaft der Unterschichten anzeigten.
In mehr als zwanzig Städten des Reichs kam es zwischen 1871 und 1873
zu gewalttätigen Auftritten aufgebrachter
Volksmengen.24 Sie
richteten sich hauptsächlich gegen den inflationären Anstieg der
Lebensmittelpreise und der Mieten. Bei diesen Massenaktionen mit jeweils
einigen hundert, bisweilen auch mehr als tausend "Tumultanten" rückten die
Ruhestörer dem Privateigentum von Lebensmittelhändlern und -herstellern
sowie von Wohnungsvermietern mit Brachialgewalt zu Leibe. Wegen der als
Wucher und Betrug empfundenen Preiserhöhungen wurden die vermeintlichen
Verursacher zur Rechenschaft gezogen und "bestraft", etwa durch
demonstrative Ruhestörungen, die zumeist mit Sachbeschädigungen und
gezielten Ordnungsverletzungen einhergingen. Akte solcher "Volksjustiz"
riefen natürlich die staatlichen Ordnungskräfte auf den Plan, so dass
manche Auseinandersetzungen in Straßenschlachten mit einer meist
beträchtlichen Zahl von Opfern auf beiden Seiten ausarteten. Die
spektakulärsten "Krawalle" dieser Art in der Gründerzeit ereigneten sich
im Juni 1872 in Berlin und im April 1873 in Frankfurt am Main. In der
Reichshauptstadt gingen damals fast 5000 Menschen auf die Straße und gaben
ihrem Zorn und ihrer Wut über die Explosion der Wohnungsmieten Ausdruck,
die gelegentlich in der Tat an Wucher erinnerte. Der als Provokation
gewertete Polizeischutz für Hauseigentümer, die zahlungsunfähige Mieter
erbarmungslos "exmittieren" ließen, gab dann den Anstoß zu einer
aufrührerischen Aktion, die - so die zeitgenössische Presse - "fast
im Barrikadenkampf ausartete". Es bedurfte mehr als 600 Polizisten,
zu deren Unterstützung ein mit scharfen Patronen versehenes
Dragoner-Regiment 48 Stunden in erhöhter Alarmbereitschaft stand, um
die Unruhen zu unterdrücken. Die offiziellen Stellen vermeldeten
mehrere hundert Verletzte, einige Dutzend Verhaftete und Sachschäden
in unbestimmter Höhe. Der Bierkrawall in der Main-Metropole zog
nicht viel weniger Beteiligte in seinen Bann. Hier wurde gegen Wirtshaus-
und Brauereibesitzer zu Felde gezogen, weil man sie an unverhältnismäßigen
Bierpreisaufschlägen "schuldig" glaubte. Dabei kam es zu so schweren
Ausschreitungen und in deren Gefolge zu Auseinandersetzungen mit der
bewaffneten Staatsmacht, dass sich diese nur noch mit dem Einsatz von
Militär zu helfen wusste. Die Folgen waren verheerend: 18 Tumultanten
blieben tot auf der Strecke, mehr als 40 wurden zum Teil schwer verwundet
und fast 150 Personen verhaftet.
Was die bürgerliche Öffentlichkeit an den namentlich erwähnten wie an
anderen Protestbewegungen, die auch im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts
immer wieder vorkamen, so schockierte, waren die in ihnen erkennbaren
"Symptome einer ganz allgemein gegen Besitz und Eigenthum gerichteten
Tendenz."25 Man sah
die endlich etablierte bürgerliche Gesellschaft nunmehr im Begriff, in
einen "gefährlichen Kriegszustand zu
gerrathen"26, falls es
nicht gelänge, der gedankenlosen Masse eine größere Achtung vor dem
Eigentum, einen stärkeren Sinn für strenge Gesetzlichkeit und mehr Respekt
vor der Autorität öffentlicher Ordnungshüter beizubringen. Umso mehr, als
die Unruhen nichts anderes seien als die Resultate "einer planmäßigen
Aufhetzung unserer Arbeiterbevölkerung durch die Reiseprediger des
Aufruhrs", d. h. der Sozialdemokratie.27 So wurde diese zum klassischen Sündenbock, zum
Hauptschuldigen an allen Störungen der öffentlichen Ordnung. Die
Denunziation nahm deshalb einen so wütenden, ja aggressiven Charakter an,
weil die spektakulären Massenaktionen die ganze Tragweite "der schroffen
sozialen Gegensätze" enthüllten und damit interessenharmonischen
Gesellschaftsbildern immer mehr das Wasser abgruben. So schrieb die
renommierte liberale National-Zeitung auf dem Höhepunkt der "Konjunktur
des Klassenkampfs" im Frühjahr 1873: "Die Elemente, mit denen man
Kommuneaufstände macht, nehmen in Deutschland und namentlich in den großen
Städten und ihrer Umgebung offenbar in rapider Weise zu, und es bedarf nur
der Agitatoren, die diese Elemente sammeln und dirigiren, um Angriffe
gegen die gesellschaftliche Ordnung
herbeizuführen."28
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Ehrendiplom der Firma Eisen- und Stahlwerk Hoesch AG. [größeres Bild]
Luppenzieher im Puddelwerk, um 1880. [größeres Bild]
Arbeitsordnung der Zeche "Hörder Kohlenwerk Dortmund", 1888. [größeres Bild]
Arbeiter in der Hartmannschen Maschinenfabrik, um 1900. [größeres Bild]
Aufruf zur "Grossen Volksversammlung", Chemnitz 1871. [größeres Bild] |