Daniele Schneider-Wessling
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
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Im Sommer 1992 wurde ich vom Deutschen Historischen Museum gebeten, für die Ausstellung "Lebensstationen in Deutschland" im Zeughaus Unter den Linden die Räume zu gestalten. Ich war interessiert, da das Thema der Ausstellung, das Leben des Menschen, von der Geburt bis zum Tod, außerdem in verschiedenen Epochen und Staatsgefügen Deutschlands, mir als Bühnenbildnerin Stoff für viele gestalterische Ansatzpunkte geben würde.

In den folgenden Monaten habe ich mich, in Zusammenarbeit mit Manfred Schneider, in das umfangreiche Material, das zum großen Teil aus den Beständen des Museums stammt, eingearbeitet und verschiedene Raumkonzepte entwickelt, um die Exponate optisch zu gliedern und dem bestehenden Raum zuzuordnen.

Während des folgenden Entwurfsprozesses wurde uns klar, daß wir zum einen die architektonische Gliederung der Räume im Zeughaus nicht "zubauen" sollten, zum anderen erkannten wir die Notwendigkeit, sowohl den jeweiligen historischen Rahmen als auch die einzelnen "Lebensstationen" als klar erkennbare Struktur durch die Gestaltung zu verdeutlichen.

Zusammen mit den Initiatorinnen der Ausstellung erarbeiteten wir ein Raster, welches - je nach historischer Gegebenheit variierend - den einzelnen "Zeiteinheiten" folgende Chronologie zuordnet:
- Geburt
- Einschulung
- Erwachsenwerden
- Militär
- Heirat
- Rente
- Tod
- Arbeit: Die Stationen des Arbeitslebens nehmen hierbei auf mehrere Lebensstationen Bezug.

Die vier Zeiteinheiten (Deutschland um 1900, NS-Zeit, DDR, Bundesrepublik) werden durch Inszenierungen symbolisiert, die eine Interpretation des jeweiligen Zeitgeistes erlebbar machen sollen und unterschiedlich in Formgebung, Farbe und Beleuchtung sind. Die einzelnen "Lebensstationen" sind klar unterscheidbare Raumeinheiten, die das Material gliedern und das jeweils Wesentliche unterstreichen sollen.

Aus dieser gemeinsamen Vorarbeit ergaben sich die folgenden Grundlagen:
- Beachtung der räumlichen Gegebenheiten des Gebäudeteils im Zeughaus, in dem die Ausstellung stattfindet
- Verdeutlichung des historisch-kulturellen Standpunktes der Epochen durch die Ausstellungsarchitektur
- Gliederung der Ausstellung durch ein klares optisches Raster, welches die Lebensstationen verdeutlicht.

Außerdem haben wir vereinzelt einige "Ausstattungen" eingestreut, die dem Besucher die Möglichkeit einer sinnlichen, optisch-räumlichen Erfahrung anbieten. Diese Inszenierungen stehen in Bezug zum Inhalt der jeweiligen Station.
So gibt es z.B.:
- einen "gemütlichen Sessel" in der Station "Alter um 1900" (= das Alter hat noch einen Ort)
- das Rondell der Jugendbewegung um die Jahrhundertwende (Licht, Bäume, Wind = Natur)
- ein "Fluchtloch" in der "Mauer"
- einen "destruktivistischen" Pavillon für "Ehe/ Familiengründung in der Bundesrepublik" (= kein klarer Rahmen mehr, die Wände drohen zu stürzen)
- eine lange, um sechs Prozent ansteigende Rampe, die man sich hinauf bemüht, um durch das Helden- oder Massengrab den Raum des Hakenkreuz-Fragmentes, das das Dritte Reich symbolisiert, zu verlassen.

Neben der Absicht, klare Abschnitte zwischen den Lebensstationen zu schaffen, um eine leichtere Orientierung und Vergleichbarkeit zu ermöglichen, betonen wir durch die vielen Durchblicke und Freiräume den offenen Charakter der Ausstellung. Durch den freien Umgang mit historischen Symbolen und die theatralischen Räume geben wir der Anordnung etwas Spielerisches: hier geordnetes Leben vor gebend, dort bedrohend, dann bürokratisierend und verwirrend. Bestimmte räumliche Positionen werden den jeweiligen Epochen zugewiesen und folgendermaßen gestaltet:

 

Deutschland um 1900

Hier bot sich der Westflügel mit seiner an die Gründerzeit erinnernden architektonischen Struktur an. Die diagonale Flucht löst die Ausstellungsarchitektur von dem vorgegebenen Raum. Ohne den Raum zu verbauen, entstehen selbständige Abschnitte. Zur Markierung der Stationen dienen übergroße Bilderrahmen im Stil der Jahrhundertwende, durch welche man - über eine Stufe - in den nächsten Abschnitt gelangt. Die Wände dahinter bilden eine Art Bildkasten. Die Farbe des Weges wird im Sepiabraun alter Photographien gehalten.

Das Rostrot des übrigen Bodens (Dielenboden-Lackierung Berliner Wohnungen um 1900) ermöglicht es, den umgebenden Raum auch als Ausstellungsfläche einzubeziehen. Die Fenster des Raumes sind durch Großphotos verkleidet. Diese Photos zeigen z.T. rituelle, auf die "Lebensstationen" bezogene Gesten, wie z.B. das Anstecken eines Eheringes, sowie menschliche Grunderfahrungen wie Eltern/ Kind, Frau/Mann, Alt/Jung. Dies verdeutlicht noch einmal den Bezug zum Besucher von heute und verweist zugleich auf die folgenden zum Vergleich stehenden Epochen.

Deutschland im Nationalsozialismus

Einer Skulptur ähnlich, steht das Fragment eines Hakenkreuzes eingehakt in das erste Drittel des Nordflügels. Der schmale hohe Gang kann, wenn einmal betreten, nicht mehr verlassen werden. Hier sind die Stationen durch hohe "Fahnen" voneinander getrennt; Beleuchtung gibt es nur in den Vitrinen. "Rechtsschwenk marsch - links um" bemüht man sich als Besucher die Rampe zwischen den monumentalen Wänden hinan, wird über Stufen "hinabgestoßen" ins "Helden- oder Massengrab".

DDR und Bundesrepublik

Das Raster des Gebäudes gibt wiederum die Möglichkeit, eine weitere Vorstellung sinnvoll einzuordnen: Die Säulen teilen den Raum in zwei ungleiche Teile. Da wir der Meinung sind, daß die Lebensstationen in der DDR und in der Bundesrepublik räumlich parallel angeordnet sein müssen, gibt es hier die "Mauerinszenierung". Wahlweise erschließt sich der Besucher nach der NS-Zeit zunächst die aufgereihte Ordnung der DDR oder das Kaleidoskopartige der Bundesrepublik. Daraufhin kehrt er auf der "Mauer" - mit Blick auf beide Seiten - zurück, um von Anfang an durch das jeweilige andere "System" zu gehen.

Während in der DDR ein gemeinsamer Weg an den Kabinetten entlangführt, haben die einzelnen Pavillons in der Bundesrepublik verschiedene Ein- und Ausgänge, so daß jeder Besucher seinen "eigenen" Weg finden und dennoch alle Stationen durchwandern muß.

In der DDR sind die Räume durch Nesselplafonds geschützt, die, von oben mit Flutern angestrahlt, ein diffuses Licht verbreiten, welches gleichzeitig angenehm und gleichförmig wirkt. In der Bundesrepublik gibt es einige unruhige Licht-Inszenierungen.

Noch im Bereich der Ausstellung - an den Außenflächen des Hakenkreuzfragmentes - sind Freiräume zum Verweilen angelegt. Hier findet man u.a. Reproduktionen einiger Photoalben, die als Exponate in der Ausstellung gezeigt werden, und Leseexemplare des Ausstellungskataloges vor.

Beim Verlassen der Ausstellung wird der Besucher mittels dafür bereitgelegter "Tagebücher" eingeladen, Erinnerungen, Kommentare und Vorstellungen über die eigenen "Lebensstationen" zu reflektieren. Vielleicht regt die Information über die unmittelbar vergangenen Epochen unseres Landes den einen oder anderen dazu an, Visionen für "Lebensstationen" niederzuschreiben, wie wir sie uns für die Zukunft erträumen.

Die Vielfältigkeit des vorliegenden Raumkonzeptes ergab sich aus der Fülle der Anregungen, die das Thema der Ausstellung bietet. Die Arbeit war für mich Anregung, um über Lebensläufe und über wünschenswerte Perspektiven und auch notwendige Veränderungen nachzudenken.

© Daniele Schneider-Wessling, 1993


Katalog

Vorwort
Einführung

Deutschland um 1900

DDR
BRD


Aufsätze



Ausstellungsarchitektur

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Besucherreaktionen



Virtueller Spaziergang



Ausstellungsgrundriss



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