Mit einer Million
Geburten war im Jahr 1964 der Höchststand der Geburtenrate
in der Bundesrepublik Deutschland erreicht worden. Als 1972 die
Anzahl der Sterbefälle die Geburtenrate erstmals überstieg,
setzte eine Diskussion über den Geburtenrückgang und
die drohende Gefahr einer Überalterung der Gesellschaft ein.
1985 konnte wieder eine Steigerung der Geburten verzeichnet werden,
und 1990 wurde in der alten Bundesrepublik mit circa 900.000 geborenen
Kindern seit 1971 erstmals wieder ein Geburtenüberschuß
erreicht. Der Wiederanstieg der Geburten beeinflußt allerdings
nicht die Tatsache, daß in einer Ehe immer weniger zweite
Kinder geboren werden. Momentan wachsen mehr als die Hälfte
aller Kinder unter 18 Jahren als Einzelkinder auf.
Ein Kind, das
in der Bundesrepublik geboren wird, kommt in der Regel in einem
Krankenhaus zur Welt. Gegenwärtig gehen 98 Prozent aller
Frauen zur Entbindung in eine Klinik. 1969 fanden noch 6,5 Prozent
aller Geburten zu Hause statt. Besonders hoch war der Anteil der
Hausgeburten in ländlichen Gebieten.
In den Krankenhäusern
haben in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche Strömungen
die Geburtshilfe bestimmt. Am Ende der siebziger Jahre erreichte
die medizinische Steuerung der Geburten mit der sogenannten programmierten
Geburt ihren Höhepunkt. Die Entbindungen wurden durch ärztliche
Eingriffe zu einem für den Krankenhausbetrieb günstigen
Zeitpunkt künstlich eingeleitet. Diese Maßnahmen wurden
durch die damit zu erreichende größtmögliche Sicherheit
für Mutter und Kind begründet. In den achtziger Jahren
gewannen die Forderungen nach einer sogenannten sanften Geburt
an Bedeutung, die versucht, den natürlichen Ablauf möglichst
wenig zu beeinflussen. Zusammen mit dem Wunsch der Frauen nach
einer aktiven Teilnahme am Geburtsgeschehen führte dies zu
einer zunehmenden Verdrängung der "programmierten Geburten"
im Verlauf der achtziger Jahre.
In den fünfziger
und sechziger Jahren waren die Themen Schwangerschaft und Geburt
in der Öffentlichkeit noch mit großen Tabus belegt.
Die Anwesenheit eines Vaters im Kreißsaal während der
Geburt seines Kindes war undenkbar. Mit den Veränderungen
innerhalb der Paarbeziehungen hielten die Männer ab Mitte
der siebziger Jahre Einzug in die Kreißsäle. Die Geburt
sollte zu einem gemeinsamen Erlebnis des Paares werden, und der
Mann sollte die Möglichkeit erhalten, von Anfang an eine
intime Bindung zu seinem Kind aufzubauen. Zu Beginn dieser neuen
Entwicklung wurde noch darüber diskutiert, ob durch die Anwesenheit
der Männer den Frauen ein "letzter Freiraum" genommen
würde. Heute sind die Väter im Krankenhaus zu einer
Selbstverständlichkeit geworden: Bei 89 Prozent aller Geburten
ist der Vater mit dabei.
Die Ankunft eines
Kindes wird auch heute noch in vielen Familien feierlich mit einer
Taufe begangen. Obwohl die Religion auf die Gestaltung der Lebenswege
nur noch wenig Einfluß ausübt, wird doch an den kirchlichen
Feiern, die die Lebensstationen begleiten, festgehalten. 1982
wurden fast 80 Prozent der Neugeborenen von der evangelischen
oder katholischen Kirche getauft.