Bundesrepublik Deutschland
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
 
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Mit einer Million Geburten war im Jahr 1964 der Höchststand der Geburtenrate in der Bundesrepublik Deutschland erreicht worden. Als 1972 die Anzahl der Sterbefälle die Geburtenrate erstmals überstieg, setzte eine Diskussion über den Geburtenrückgang und die drohende Gefahr einer Überalterung der Gesellschaft ein. 1985 konnte wieder eine Steigerung der Geburten verzeichnet werden, und 1990 wurde in der alten Bundesrepublik mit circa 900.000 geborenen Kindern seit 1971 erstmals wieder ein Geburtenüberschuß erreicht. Der Wiederanstieg der Geburten beeinflußt allerdings nicht die Tatsache, daß in einer Ehe immer weniger zweite Kinder geboren werden. Momentan wachsen mehr als die Hälfte aller Kinder unter 18 Jahren als Einzelkinder auf.

Ein Kind, das in der Bundesrepublik geboren wird, kommt in der Regel in einem Krankenhaus zur Welt. Gegenwärtig gehen 98 Prozent aller Frauen zur Entbindung in eine Klinik. 1969 fanden noch 6,5 Prozent aller Geburten zu Hause statt. Besonders hoch war der Anteil der Hausgeburten in ländlichen Gebieten.

In den Krankenhäusern haben in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche Strömungen die Geburtshilfe bestimmt. Am Ende der siebziger Jahre erreichte die medizinische Steuerung der Geburten mit der sogenannten programmierten Geburt ihren Höhepunkt. Die Entbindungen wurden durch ärztliche Eingriffe zu einem für den Krankenhausbetrieb günstigen Zeitpunkt künstlich eingeleitet. Diese Maßnahmen wurden durch die damit zu erreichende größtmögliche Sicherheit für Mutter und Kind begründet. In den achtziger Jahren gewannen die Forderungen nach einer sogenannten sanften Geburt an Bedeutung, die versucht, den natürlichen Ablauf möglichst wenig zu beeinflussen. Zusammen mit dem Wunsch der Frauen nach einer aktiven Teilnahme am Geburtsgeschehen führte dies zu einer zunehmenden Verdrängung der "programmierten Geburten" im Verlauf der achtziger Jahre.

In den fünfziger und sechziger Jahren waren die Themen Schwangerschaft und Geburt in der Öffentlichkeit noch mit großen Tabus belegt. Die Anwesenheit eines Vaters im Kreißsaal während der Geburt seines Kindes war undenkbar. Mit den Veränderungen innerhalb der Paarbeziehungen hielten die Männer ab Mitte der siebziger Jahre Einzug in die Kreißsäle. Die Geburt sollte zu einem gemeinsamen Erlebnis des Paares werden, und der Mann sollte die Möglichkeit erhalten, von Anfang an eine intime Bindung zu seinem Kind aufzubauen. Zu Beginn dieser neuen Entwicklung wurde noch darüber diskutiert, ob durch die Anwesenheit der Männer den Frauen ein "letzter Freiraum" genommen würde. Heute sind die Väter im Krankenhaus zu einer Selbstverständlichkeit geworden: Bei 89 Prozent aller Geburten ist der Vater mit dabei.

Die Ankunft eines Kindes wird auch heute noch in vielen Familien feierlich mit einer Taufe begangen. Obwohl die Religion auf die Gestaltung der Lebenswege nur noch wenig Einfluß ausübt, wird doch an den kirchlichen Feiern, die die Lebensstationen begleiten, festgehalten. 1982 wurden fast 80 Prozent der Neugeborenen von der evangelischen oder katholischen Kirche getauft.

 

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