Die wachsende
Zahl der Singles bereitet manchen Sorge: den wirtschaftlich Denkenden,
weil es offenbar schwierig ist, für die vielen Alleinlebenden
Wohnraum zu beschaffen, weil ein solcher Ein-Personen-Haushalt
auch sonst kostspielig ist und in Zeiten wachsender ökonomischer
Bedrängnis ein volkswirtschaftliches Problem entstehen könnte.
Den psychologisch Interessierten gibt die "Vereinzelung"
schon lange zu denken: Narzißmus, Egoismus, sinkende Kinderzahl
- das etwa sind die Assoziationen. Politisch Denkende überlegen
besorgt, wie eine Gesellschaft beschaffen sein muß, die
diese vielen Singles politisch einbinden kann. Sind sie es vielleicht,
die nicht mehr ohne weiteres bereit sind, ihre "Stammpartei"
zu wählen, sondern flexibel, den jeweiligen Gegebenheiten
entsprechend, sich entscheiden? Produzenten wiederum fragen sich,
ob sie auch wirklich die richtigen Artikel für die große
Zahl von Singles herstellen? Und gar die Theologen: Erfüllen
Singles wirklich den gottgewollten Plan, daß der Mensch
nicht allein sein solle?
Fragen, Probleme und Sorgen, die - ob berechtigt
oder nicht - alle danach verlangen, daß diese Lebensform,
die in letzter Zeit stark zunimmt (in Großstädten schon
fast die Hälfte aller Gemeldeten), analysiert, auseinandergenommen
und auf ihre sozialen und psychischen Hintergründe hin befragt
wird.
Natürlich ist eines sicher: Single
ist nicht Single und: Man ist es nicht unbedingt auf Lebenszeit.
Das aber heißt: Man ist es oft in Zusammenhang mit der ebenfalls
stark geänderten Form der Ehe/Partnerschaft.
Historische Überlegungen
Noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein
war in ländlichen Gegenden nur etwa die Hälfte aller
Erwachsenen verheiratet, nämlich diejenigen, die es sich
"leisten" konnten, also Bauern, Handwerker und Geschäftsleute.
Die dazugehörigen Dienstpersonen waren oft aus finanziellen
Gründen nicht in der Lage, eine Familie zu gründen;
sie lebten aber fast nie allein, sondern im Kreis ihres Arbeitgebers
oder der Verwandtschaft. Singles in unserem Sinne gab es nicht
- sofern jemand allein lebte, mußte er schon ein wenig schrullig
sein oder reich (meist beides), vielleicht auch durch eine besondere
Eigenschaft herausgehoben aus der Gesellschaft, etwa als einer
(eine), die kräuterkundig war, als besonders weise oder fromm
galt, ein Künstler war oder auch einfach ein krankhafter
Sonderling.
Vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit
hinein gilt, wer allein lebt, ist etwas Besonderes. Man lebte
und überlebte in der Gemeinschaft; je nach Zeitumständen
war alles andere gefährlich oder/und unerschwinglich. Der
Single als moderne Lebensform aber ist etwas ganz anderes. Er
ist ein ganz typisches Produkt der Moderne und steht daher auch
unter gesellschaftlich vollkommen anderen Vorzeichen.
Soziologische Überlegungen
Eine moderne industrielle Gesellschaft braucht
immer sehr viele mobile Arbeitskräfte, flexibel und möglichst
raumgreifend einsetzbar. Solange diese Forderung nur an die Männer
erging, bedeutete jeder Umzug für eine Familie zwar Unbequemlichkeiten,
aber keine Trennung. Frauen waren bereit, mit den jeweils geänderten
Umständen mitzugehen und Mann und Kinder weiterhin zu versorgen.
Der Emanzipationsanspruch der Frauen aber hat hier einiges drastisch
geändert: Nun mußten zwei persönliche Biographien
und zwei Arbeitsmarktbiographien kombiniert werden , was natürlich
zu vielen inneren und äußeren Unverträglichkeiten
führt. Trennungen, lockere Bindungen, das Nicht-Zustandekommen
von Bindungen sind die Folge - also letztendlich: Es entsteht
der moderne Single. Er ist nicht mehr ein defizitäres Produkt,
sondern einer, der - auch infolge des Reichtums unserer Gesellschaft
- seinen Status jederzeit wieder ändern kann, es aber nicht
muß; einer, der seine Biographie wählen kann und nicht
eingezwängt ist in den früher "normalen" Ablauf
von Jugend, Ausbildung, Beruf, Heirat, Kinderkriegen, Altersehe,
Tod. Alle Abschnitte sind beweglicher geworden, Übertretungen
der "Normalbiographie" werden nicht mehr geahndet; in
manchen Schichten ist sogar das Gegenteil üblich. "Was,
Du bist noch immer verheiratet? Mit derselben Frau? - Erstaunlich"
so hörte ich unlängst die Begrüßung zweier
alter Bekannter im Intellektuellenmilieu mit, und die Stimme des
solcherart Grüßenden klang ein klein wenig abschätzig.
Der Single männlichen und weiblichen
Geschlechts ist nicht unbedingt auf Dauer Single, aber er wartet
auch nicht darauf, nun "um jeden Preis" wieder als Paar
zu leben. Dies betrifft noch mehr die Frauen als die Männer:
Geschiedene Frauen heiraten seltener wieder als geschiedene Männer
- vorausgesetzt, sie haben einen qualifizierten Beruf. Sind sie
berufslos oder unqualifiziert, dann allerdings versuchen sie möglichst
schnell, wieder in einer Ehe "unterzuschlüpfen".
Obwohl uns die Statistiken darüber nichts sagen können,
ist man versucht zu interpretieren: Sie versuchen, in einer Ehe
"unterzuschlüpfen", auch wenn's beileibe nicht
der Traumprinz ist, sondern der alte Rentner, der die Versorgung
sicherstellt. Männer, so sagt wiederum die Statistik, sind
in der Altersgruppe der Dreißig- bis Fünfzigjährigen
etwas öfter Singles als Frauen; sie sind aber beruflich oft
nicht ganz so qualifiziert wie die Frauen, und einige von ihnen
kommen mit dem Single-Leben gar nicht so gut zurecht: Sie sind
öfter krank, haben eine geringere Lebenserwartung, verfallen
öfter dem Alkohol. Für Frauen gilt dies nicht. Natürlich
sagen uns Statistiken über die Realität des Single-Lebens
nicht gar so viel aus. Man muß sich dann schon auf die psychologische
Ebene begeben und mit den Singles selbst sprechen.