Eva Jaeggi
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
Ehe auf Zeit - Single auf Zeit?
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Deutschland um 1900

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Eva Jaeggi


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Die wachsende Zahl der Singles bereitet manchen Sorge: den wirtschaftlich Denkenden, weil es offenbar schwierig ist, für die vielen Alleinlebenden Wohnraum zu beschaffen, weil ein solcher Ein-Personen-Haushalt auch sonst kostspielig ist und in Zeiten wachsender ökonomischer Bedrängnis ein volkswirtschaftliches Problem entstehen könnte. Den psychologisch Interessierten gibt die "Vereinzelung" schon lange zu denken: Narzißmus, Egoismus, sinkende Kinderzahl - das etwa sind die Assoziationen. Politisch Denkende überlegen besorgt, wie eine Gesellschaft beschaffen sein muß, die diese vielen Singles politisch einbinden kann. Sind sie es vielleicht, die nicht mehr ohne weiteres bereit sind, ihre "Stammpartei" zu wählen, sondern flexibel, den jeweiligen Gegebenheiten entsprechend, sich entscheiden? Produzenten wiederum fragen sich, ob sie auch wirklich die richtigen Artikel für die große Zahl von Singles herstellen? Und gar die Theologen: Erfüllen Singles wirklich den gottgewollten Plan, daß der Mensch nicht allein sein solle?

Fragen, Probleme und Sorgen, die - ob berechtigt oder nicht - alle danach verlangen, daß diese Lebensform, die in letzter Zeit stark zunimmt (in Großstädten schon fast die Hälfte aller Gemeldeten), analysiert, auseinandergenommen und auf ihre sozialen und psychischen Hintergründe hin befragt wird.

Natürlich ist eines sicher: Single ist nicht Single und: Man ist es nicht unbedingt auf Lebenszeit. Das aber heißt: Man ist es oft in Zusammenhang mit der ebenfalls stark geänderten Form der Ehe/Partnerschaft.

Historische Überlegungen

Noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war in ländlichen Gegenden nur etwa die Hälfte aller Erwachsenen verheiratet, nämlich diejenigen, die es sich "leisten" konnten, also Bauern, Handwerker und Geschäftsleute. Die dazugehörigen Dienstpersonen waren oft aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, eine Familie zu gründen; sie lebten aber fast nie allein, sondern im Kreis ihres Arbeitgebers oder der Verwandtschaft. Singles in unserem Sinne gab es nicht - sofern jemand allein lebte, mußte er schon ein wenig schrullig sein oder reich (meist beides), vielleicht auch durch eine besondere Eigenschaft herausgehoben aus der Gesellschaft, etwa als einer (eine), die kräuterkundig war, als besonders weise oder fromm galt, ein Künstler war oder auch einfach ein krankhafter Sonderling.

Vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit hinein gilt, wer allein lebt, ist etwas Besonderes. Man lebte und überlebte in der Gemeinschaft; je nach Zeitumständen war alles andere gefährlich oder/und unerschwinglich. Der Single als moderne Lebensform aber ist etwas ganz anderes. Er ist ein ganz typisches Produkt der Moderne und steht daher auch unter gesellschaftlich vollkommen anderen Vorzeichen.

Soziologische Überlegungen

Eine moderne industrielle Gesellschaft braucht immer sehr viele mobile Arbeitskräfte, flexibel und möglichst raumgreifend einsetzbar. Solange diese Forderung nur an die Männer erging, bedeutete jeder Umzug für eine Familie zwar Unbequemlichkeiten, aber keine Trennung. Frauen waren bereit, mit den jeweils geänderten Umständen mitzugehen und Mann und Kinder weiterhin zu versorgen. Der Emanzipationsanspruch der Frauen aber hat hier einiges drastisch geändert: Nun mußten zwei persönliche Biographien und zwei Arbeitsmarktbiographien kombiniert werden , was natürlich zu vielen inneren und äußeren Unverträglichkeiten führt. Trennungen, lockere Bindungen, das Nicht-Zustandekommen von Bindungen sind die Folge - also letztendlich: Es entsteht der moderne Single. Er ist nicht mehr ein defizitäres Produkt, sondern einer, der - auch infolge des Reichtums unserer Gesellschaft - seinen Status jederzeit wieder ändern kann, es aber nicht muß; einer, der seine Biographie wählen kann und nicht eingezwängt ist in den früher "normalen" Ablauf von Jugend, Ausbildung, Beruf, Heirat, Kinderkriegen, Altersehe, Tod. Alle Abschnitte sind beweglicher geworden, Übertretungen der "Normalbiographie" werden nicht mehr geahndet; in manchen Schichten ist sogar das Gegenteil üblich. "Was, Du bist noch immer verheiratet? Mit derselben Frau? - Erstaunlich" so hörte ich unlängst die Begrüßung zweier alter Bekannter im Intellektuellenmilieu mit, und die Stimme des solcherart Grüßenden klang ein klein wenig abschätzig.

Der Single männlichen und weiblichen Geschlechts ist nicht unbedingt auf Dauer Single, aber er wartet auch nicht darauf, nun "um jeden Preis" wieder als Paar zu leben. Dies betrifft noch mehr die Frauen als die Männer: Geschiedene Frauen heiraten seltener wieder als geschiedene Männer - vorausgesetzt, sie haben einen qualifizierten Beruf. Sind sie berufslos oder unqualifiziert, dann allerdings versuchen sie möglichst schnell, wieder in einer Ehe "unterzuschlüpfen". Obwohl uns die Statistiken darüber nichts sagen können, ist man versucht zu interpretieren: Sie versuchen, in einer Ehe "unterzuschlüpfen", auch wenn's beileibe nicht der Traumprinz ist, sondern der alte Rentner, der die Versorgung sicherstellt. Männer, so sagt wiederum die Statistik, sind in der Altersgruppe der Dreißig- bis Fünfzigjährigen etwas öfter Singles als Frauen; sie sind aber beruflich oft nicht ganz so qualifiziert wie die Frauen, und einige von ihnen kommen mit dem Single-Leben gar nicht so gut zurecht: Sie sind öfter krank, haben eine geringere Lebenserwartung, verfallen öfter dem Alkohol. Für Frauen gilt dies nicht. Natürlich sagen uns Statistiken über die Realität des Single-Lebens nicht gar so viel aus. Man muß sich dann schon auf die psychologische Ebene begeben und mit den Singles selbst sprechen.

 
           
 
 
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