|
Psychologische Überlegungen
Ich habe dies
ausführlich getan und von vielen Singles Auskunft erhalten
über ihre Lebenslage, ihre Strategien zur Bewältigung
ihres Alltags, ihre dunklen Stunden, aber auch über ihre
Glücksmomente. Ich habe mich dafür interessiert, wie
sie ihren Alltag organisieren, in welcher Weise sie die "Wunden
Punkte" des Single-Lebens - nämlich Ferien, Familienfeste,
Wochenenden - gestalten, warum sie alleine sind und vieles mehr.
Natürlich
mußte ich mir auch überlegen, wer denn eigentlich ein
"Single" ist und ob es einen Unterschied macht, ob einer
freiwillig oder unfreiwillig in diesen Status hineingerät.
Es gibt keine exakte Definition des Single-Status. Vom juristischen
Standpunkt aus war es bis vor kurzem eindeutig: einer (eine),
der (die) nicht verheiratet ist. Seit einiger Zeit gibt es mehr
und mehr Urteile, die auch die Lebenspartnerschaft als juristisch
existent ansehen und damit verschiedene Konsequenzen verknüpfen.
Man könnte den Single-Status auch ökonomisch definieren:
einer, der allein im Haushalt lebt und daher bestimmte volkswirtschaftlich
relevante Güter (Wasser, Strom, Wohnraum etc.) allein verbraucht
und daher "teuer" ist, was wiederum mit mehr Steuern
abgegolten werden muß.
Man kann aber
auch psychologische Kriterien heranziehen bei der Definition dessen,
wer ein Single ist - und dies habe ich getan. Es gibt dabei natürlich
eine "Grauzone", wie es bei psychologischen Definitionen
unvermeidlich ist.
Als Single habe
ich bezeichnet einen Menschen, der seinen Alltag allein organisiert
und ohne einen permanenten Bezug zu einem Partner lebt, mit dem
er (zumindest in seiner Phantasie) auch noch über lange Zeit
zusammenleben möchte. Es wurden also ausgeschlossen Menschen,
die in einer Partnerschaft leben, aber durch räumliche Trennung
ihren Alltag meist allein organisieren (Wochenendehen); ebenso
wurden ausgeschlossen die Menschen, die mit einem kleinen Kind
allein leben, und auch Personen in Wohngemeinschaften habe ich
nicht befragt. Es schien mir, daß die Alltagsprobleme dieser
Gruppen doch in vielerlei Hinsicht recht anders gelagert sind
als die der "psychologisch echten" Singles. Natürlich
gibt es dabei "Übergangserscheinungen" - zum Beispiel
jene Frau, die allein lebt, aber einen Freund in einer weit entfernt
liegenden Stadt hat, mit dem sie sich alle zwei bis drei Wochen
trifft. Oder jener Mann (ich habe ihn schließlich aufgenommen
in meine Befragung), der als Schwuler einen Freund hat, mit dem
er nicht zusammenlebt und den er ganz explizit nicht als einen
"Lebenspartner" ansieht. Ich habe daher als ein weiteres
Kriterium das der Selbstdefinition gewählt: Wer sich, nachdem
ich ihm (ihr) meine Überlegungen dargelegt hatte, als Single
bezeichnete, wurde von mir auch als ein solcher betrachtet.
Mit der "Freiwilligkeit"
dieser Lebensform aber bekam ich im Laufe der Zeit ganz große
Probleme. In anderen Untersuchungen über Singles, die mit
halbstrukturierten Interviews befragt wurden (und nicht mit Tiefeninterviews,
wie ich das getan hatte), waren eher die bewußtseinsfähigen
Anteile des inneren Erlebens ins Visier gekommen. Dort war das
Kriterium "freiwillig" oder "unfreiwillig"
wichtig gewesen. Bei mir, die ich mit psychoanalytisch orientierten
Tiefeninterviews gearbeitet hatte, verwischte es sich immer mehr,
je näher ich an die von mir befragten Personen herankam.
Was heißt
schon "freiwillig"? sagte ich mir dann und überlegte
mir den Lebensweg einer Frau, die dezidiert als "freiwilliger"
Single gelten wollte, sich aber offensichtlich - geprägt
durch ein harsches Schicksal - letztlich von der allzu vertrauten
Nähe eines anderen Menschen nur Schlimmes versprechen konnte
und daher jeden möglichen Partner schon im Vorfeld abblitzen
ließ. Tut sie dies wirklich freiwillig? Oder jener Mann,
der darüber jammerte, daß er "unfreiwillig"
Single sei und auf jeden Fall mit Familie rechne. Er hängt
zum Beispiel die Meßlatte in bezug auf Schönheit und
Glanz seiner Zukünftigen so hoch, daß man wohl auf
den Gedanken kommen kann, daß hier einer unbewußt
das Eheglück geradezu vermeidet. Also, so mußte ich
mir sagen, ist dieser "Freiwilligenstatus" nicht so
ohne weiteres erfragbar, und ich begnügte mich mit dem Ergebnis,
daß gerade dieser Punkt in jedem Einzelfall höchst
unsicher ist.
Bei keinem der
von mir Befragten gab es den leisesten äußeren Grund,
warum er (sie) nicht partnerschaftlich leben sollten - viele hatten
es ja auch schon vor ihrer Single-Existenz getan. Alle waren noch
hinreichend jung (zwischen Anfang dreißig und Anfang fünfzig),
beruflich qualifiziert, kultiviert und attraktiv - also Mittelschichtsangehörige
im besten Sinn des Wortes. (Das engt übrigens die Reichweite
meiner Untersuchung ein, Aussagen über Singles in der Unterschicht
würden eine neue Untersuchung bedeuten!)
Was aber waren
nun die psychologisch relevanten Merkmale dieser so ungleichen
Menschen? Gibt es den "typischen" Single? Was kennzeichnet
ihn?
Zentrale
Kennzeichen des Single-Lebens
Singles sind
so unterschiedlich wie andere Menschen auch. Trotzdem gibt es
natürlich wie übrigens für jede Lebensform - einige
als "typisch" anzusehende Probleme in den meisten Single-Existenzen.
Ich habe versucht, diese Probleme zu kategorisieren. Es sind dies:
- Das Problem der Bewußtheit
- Das Problem des inneren Dialogs
- Das Problem der Einsamkeit
- Das Problem der Balance zwischen Regression und Progression.
|
|
Das Problem der Bewußtheit
Die meisten alleinlebenden
Menschen beschreiben ihren Alltag im Vergleich zu Zeiten, wo sie
noch partnerschaftlich oder im Familienkreis gelebt haben. In
diesem Vergleich wird ihnen klar, daß sie als Singles sehr
viel bewußter ihren Alltag planen müssen als bisher.
Die Delegationen, die das Leben bisher etwas erleichtert haben,
funktionieren nun nicht mehr. Man kann nicht mehr den anderen
(Partner, Eltern etc.) für das eigene Leben und seine Alltagsgestaltung
verantwortlich machen. Das wird zuerst oft als ein ziemlich unangenehmer
Zustand beschrieben, als ein Druck, der dauernd auf dem Leben
liegt. Dies kann sehr unterschiedliche Areale des Alltags betreffen:
die Wohnungseinrichtung, die Geselligkeit, das Kochen oder die
Gestaltung der Ferien. Nichts wird einem abgenommen, alles muß
geplant werden. Dieses Planen erzeugt bei vielen zuerst einmal
das unangenehme Gefühl, es sei eine gewisse Leichtigkeit
verlorengegangen, als sei nun das Leben sehr viel ernster geworden.
Erst wenn einige Zeit seit der Trennung vom Partner (oder von
der Familie) vergangen ist, wird dieser Zustand anders empfunden:
als ein Gewinn an Freiheit, an Autonomie.
Erst jetzt aber
wird klar, wieviel man an den Partner delegiert hat und wie wenig
man sich darum gekümmert hat, welche Bedürfnisse man
wirklich selbst hat und wo man nur den Bedürfnissen des Partners
nachgelebt hat. Vor allem Frauen machen oft einen sehr wichtigen
Prozeß der Bewußtwerdung mit - sind doch Frauen der
Altersklasse ab Mitte dreißig sehr oft noch immer in recht
eingeschränkten Rollenklischees erzogen worden und haben
daher Anpassungsstrategien entwickelt, die sie nun "verlernen"
müssen.
Viele von ihnen
berichten, daß sie zuerst einmal gar nicht wußten,
was sie eigentlich wollten: Sollte ihre Wohnung wirklich nur aus
Stahl-Glas-Konstruktionen bestehen, oder hätten sie nicht
immer schon lieber kuschelige Teppiche gehabt? War das ausgedehnte
Vier-Sterne-Essen tatsächlich ein Bedürfnis gewesen,
oder hatte es ihnen nicht doch leid getan, so viel Geld herauszuwerfen,
wo sie doch eigentlich schlichte Koteletts und Salate als sehr
viel bekömmlicher empfunden hätten? Und: War man wirklich
so versessen gewesen auf große Parties?
All dies sind
Fragen, die sich nun neu stellen und oftmals - zur Überraschung
der Singles - ganz anders zu beantworten sind, als man das in
ehelichen Zeiten vermutet hätte. Das bewußte Leben
und Planen setzt natürlich voraus, daß man auch mehr
Bewußtsein über seine eigenen Bedürfnisse bekommt.
Sehr oft hat man seine eigene Entwicklung gar nicht mitbekommen,
oder man war eben so beschäftigt mit Anpassungsstrategien,
daß man vergessen hat, sich weiterzuentwickeln. Um seine
Bedürfnisse kennenzulernen, ist es nötig, sich selbst
Zeit zu lassen, sich immer wieder in Ruhe hinzusetzen und nachzuspüren,
was denn eigentlich "gerade dran" ist. Um sich sein
eigenes Leben aufzubauen, braucht es dann, wie mir fast alle Singles
erklärten, lebendige Phantasie. Nun kann man einfach nicht
mehr an den Partner denken, wenn einem nichts Rechtes einfällt.
Man muß ein Problem - zum Beispiel den Kauf eines Möbelstückes
- sozusagen von innen heraus anpeilen -, und dies braucht mehr
"präzise Phantasie" (wie eine meiner Interviewpartnerinnen
sagte), als sie vorher gedacht hatten. Die meisten empfanden es,
trotz seiner Schwierigkeit, als sehr befriedigend, sich nun in
ganz anderer Weise als früher mit sich selbst und den eigenen
Bedürfnissen zu befassen und danach zu handeln.
Die Bewußtheit
als eine wichtige Dimension des Sich-Wohlfühlens in der Welt
ist selbstverständlich nicht nur für Singles ein erstrebenswertes
Ziel. Natürlich ist jeder partnerschaftlich Lebende in gleicher
Weise aufgefordert, nicht gegen seine eigenen Bedürfnisse
zu leben - vermutlich wäre manche Ehe noch heil, wenn beide
Partner sich dies gestatten könnten. Es scheint aber, daß
man in der Partnerschaft oft für sehr viel längere Zeit
gleichsam in seelischer Faulheit dahinleben kann: sich auf den
anderen verlassend, nicht bedenkend, ob das Alltagsleben nicht
schon längst zur öden Routine erstarrt ist. Viele Ehen
zerbrechen bekanntlich daran. Das Leben als Single bringt eine
solche seelische Faulheit sehr kraß zutage - und die meisten
Singles wissen, daß ihnen hier eine Chance geboten wird.
Daß da auch Fallstricke liegen, daß man sich verzweifelt
danach sehnen kann, ein anderer möge Entscheidungen abnehmen,
das steht auf einem anderen Blatt. Selten bleibt ein Single von
solchen Momenten des Kummers verschont. Hat er aber diese Fallstricke
erkannt und weiß er, daß man ihnen immer wieder ausweichen
kann, dann hat er für sein Leben viel gewonnen. Er hat dann,
sofern sich eine solche Möglichkeit wieder bietet, auch für
eine künftige Partnerschaft bessere Chancen.
|
|
|