Eva Jaeggi
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
Ehe auf Zeit - Single auf Zeit?
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Deutschland um 1900

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Eva Jaeggi


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Das Problem des inneren Dialogs

Seelisches Leben entfaltet sich in besonders bedeutsamer Weise beim Sprechen. Sprache, Wahrnehmung, Gefühle - das sind untrennbare Einheiten. Schon der Säugling kann die Stimme der Mutter ganz klar von denjenigen anderer Personen unterscheiden, er reagiert mit Beruhigung, wenn die Mutter ihn anspricht; Worte sind wichtige Stützpunkte für das Gedächtnis und natürlich für die gesamte Entfaltung der Intelligenz.

Menschen erfahren die Welt als sprechende Wesen. Im Gegeneinander von Meinungen, im Austausch von Wahrnehmungen und Ideen entsteht ein Weltbild. Ist jemand erwachsen, dann muß er nicht dauernd (wie ein Kleinkind) wirklich mit anderen sprechen. Der äußere Dialog kann teilweise durch einen inneren ersetzt werden - meist aber ist auch ein Monolog ein verkappter Dialog. Was immer man denkend spricht: Man adressiert es meist an eine imaginäre Person oder an imaginäre Personen.

Im Gespräch formt sich eine gemeinsame Weltsicht, im Gespräch werden Werte und Rangordnungen festgelegt. Hat man einen Lebenspartner, dann ist meist dieser der äußere und innere Dialogpartner. Den Verfall einer Ehe kann man auch daran erkennen, daß die Partner nicht mehr das Bedürfnis haben, einander sehr viel zu erzählen.

Singles fallen auch in dieser Beziehung erstmals (sofern sie früher einen Partner hatten) in ein Vakuum. Wer ist denn nun der Dialogpartner?

Alle Singles sind sich darüber klar, daß man nicht "aus dem Gespräch fallen" dürfe, wie einer es formuliert. Offensichtlich haben die meisten Singles - wenngleich nicht bewußt und geplant - für ihre Gespräche verschiedene Menschen gefunden, je nach Art ihrer Bedürfnisse. Das hat Vorteile und Nachteile. Die Selbstverständlichkeit des ehelichen Gesprächs, das Sich-fallen-Lassen auch in verbaler Hinsicht, wird von den meisten bedauernd vermißt. Andererseits erzählen aber auch viele von den vielen erfolglosen Versuchen, mit dem Partner zu kommunizieren - vor allem gegen Ende der Beziehung. "Du hörst mir gar nicht zu" ist eine Quelle vieler Kränkungen. Viele Singles können daher auf einer rationalen Basis recht gut erkennen, daß die Vertrautheit des ehelichen Gesprächs oft auf einer Illusion beruht. Ihr Ausweg ist die selektive Dialogisierung des Gesprächs. Freunde, Vertraute, Arbeitskollegen sind dazu wichtig. Jeder verkörpert ein anderes Segment der eigenen Interessen und wird dementsprechend auch nicht für alles, sondern nur für ausgewählte Kapitel in den Dialog gebracht. Das hat natürlich viele Vorteile: Man findet sehr viel eher ein aufnahmebereites Ohr, der Gesprächspartner wird nicht überlastet, man fühlt sich nicht gekränkt durch die nur laue Beachtung, die der Lebenspartner einem oft entgegenbringt. Der Preis dafür ist die Selbstverständlichkeit. Freunde müssen Zeit haben, man muß sie extra anrufen oder treffen. Allerdings ist wiederum die Dichte mancher Gespräche eine Kompensation für das Fehlen der Selbstverständlichkeit. Viele Singles freuen sich richtig darauf, mit irgendwelchen Freunden oder Kollegen gerade das "ganz passende" Gespräch führen zu können, sich an richtiger Stelle zu informieren - ich nehme an, daß diese Singles auch selbst oft zu sehr anregenden Gesprächspartnern werden. Einige scheinen geradezu Künstler darin zu sein, Leute zusammenzubringen, die sich gut unterhalten können - sie können also das Gespräch auch noch erweitern und sich zum Mittelpunkt kleiner anregender Geselligkeiten machen.

Das Gespräch bleibt also bei gut gelingendem Single-Leben Zentrum geistiger Lebendigkeit - aber auch hier muß neu organisiert und reflektiert werden.

Das Problem der Einsamkeit

Was auch unglückliche Ehen zusammenhält, oft über eine viel zu lange Zeit, ist die Angst vor der Einsamkeit. Die trübseligsten Bilder von grauer Verlassenheit, Stille, Staub auf den Möbeln und nicht geleerten Aschenbechern herrschen vor.

Was aber wird so sehr gefürchtet an dieser Einsamkeit - eine Einsamkeit, die ja doch von manchen Menschen in allen Zeiten oft aufgesucht wurde?

Die meisten Menschen waren zu irgendeiner Zeit ihres Lebens für irgendeinen Menschen ein ganz wichtiger Partner: Sei es für die Mutter, sei es für peers oder später für den Lebenspartner und die Kinder. Das Gefühl, für jemand anderen unersetzlich zu sein, kann schon dem kleinen Kind ein gesundes Selbstwertgefühl geben. Aber auch ein Erwachsener bangt ängstlich, ob auch er für einen anderen (oder sogar für viele?) ein ganz unersetzlich Einzigartiger ist und ob man ihn auch wirklich braucht. Und dieses Gebraucht-Werden muß spürbar sein, womöglich täglich und stündlich. "Einsam ist, wer für einen anderen Menschen nicht der Wichtigste ist", sagte die berühmte Psychoanalytikerin Helene Deutsch. Und dieses Gefühl, man könne einmal nicht mehr "der Wichtigste" sein, ist für die meisten Menschen ganz schrecklich. Sie möchten für denjenigen, der für sie wichtig ist, unersetzlich sein, sogar dann, wenn der andere vielleicht seine Bedeutung schon eingebüßt hat. Kindliche Ängste befallen viele Menschen, wenn eine solche rettende Hand verlorengeht, wenn sie wähnen, nun nicht mehr unersetzlich und damit auch geschützt und geborgen zu sein. Viele Singles kennen Zeiten von Schrecken, in denen sie sich ausmalen, wie sie krank, verlassen oder gar tot in ihrer Wohnung liegen, niemandem abgehen und ganz und gar vergessen sind.

Einsamkeit wird als Vorstufe des Todes empfunden, der Schrecken davor erinnert an Todesangst. Läßt sich dagegen ankommen?

Viele Singles erzählen, daß sie in dem Moment ihre Einsamkeitsangst verloren haben, in dem ihnen klar wurde, daß dieses Gefühl der "Unersetzlichkeit", das ja auch sie irgendwann gehabt hatten, eine Illusion ist, wenn man es für unabänderlich hält. Sie haben schließlich miterlebt, daß der andere "ganz, ganz Wichtige" verblaßt und daß auch sie selbst verblassen konnten. Daß niemand unersetzlich ist und man daher auch nicht mit solchem Selbstmitleid beklagen sollte, wenn einem diese Position verlorengegangen ist, das haben viele irgendwann eingesehen und akzeptieren müssen. Aus dieser Einsicht aber ist bei denen, die es schaffen, ein gutes Leben allein zu führen, das Gefühl erwachsen, daß es genügt, wenn sie sich selbst wichtig sind. Manche berichten davon sogar als von einem überschwenglich-euphorischen Erlebnis: zu begreifen, daß man wichtig ist, einfach weil man da ist, weil man so und nicht anders ist - das ist der Preis für eine durchgestandene Einsamkeit, die man sich nicht durch -zig Hilfsmittel zu verschleiern versucht. Hektisches Jagen nach Gesellschaft ist dabei die größte Falle; unweigerlich führt dies zum Katzenjammer des Selbstmitleids: "Aber letztlich bin ich doch allein."

 
           
 
 
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