Das
Problem des inneren Dialogs
Seelisches Leben entfaltet sich in besonders
bedeutsamer Weise beim Sprechen. Sprache, Wahrnehmung, Gefühle
- das sind untrennbare Einheiten. Schon der Säugling kann
die Stimme der Mutter ganz klar von denjenigen anderer Personen
unterscheiden, er reagiert mit Beruhigung, wenn die Mutter ihn
anspricht; Worte sind wichtige Stützpunkte für das Gedächtnis
und natürlich für die gesamte Entfaltung der Intelligenz.
Menschen erfahren die Welt als sprechende
Wesen. Im Gegeneinander von Meinungen, im Austausch von Wahrnehmungen
und Ideen entsteht ein Weltbild. Ist jemand erwachsen, dann muß
er nicht dauernd (wie ein Kleinkind) wirklich mit anderen sprechen.
Der äußere Dialog kann teilweise durch einen inneren
ersetzt werden - meist aber ist auch ein Monolog ein verkappter
Dialog. Was immer man denkend spricht: Man adressiert es meist
an eine imaginäre Person oder an imaginäre Personen.
Im Gespräch formt sich eine gemeinsame
Weltsicht, im Gespräch werden Werte und Rangordnungen festgelegt.
Hat man einen Lebenspartner, dann ist meist dieser der äußere
und innere Dialogpartner. Den Verfall einer Ehe kann man auch
daran erkennen, daß die Partner nicht mehr das Bedürfnis
haben, einander sehr viel zu erzählen.
Singles fallen auch in dieser Beziehung
erstmals (sofern sie früher einen Partner hatten) in ein
Vakuum. Wer ist denn nun der Dialogpartner?
Alle Singles sind sich darüber klar,
daß man nicht "aus dem Gespräch fallen" dürfe,
wie einer es formuliert. Offensichtlich haben die meisten Singles
- wenngleich nicht bewußt und geplant - für ihre Gespräche
verschiedene Menschen gefunden, je nach Art ihrer Bedürfnisse.
Das hat Vorteile und Nachteile. Die Selbstverständlichkeit
des ehelichen Gesprächs, das Sich-fallen-Lassen auch in verbaler
Hinsicht, wird von den meisten bedauernd vermißt. Andererseits
erzählen aber auch viele von den vielen erfolglosen Versuchen,
mit dem Partner zu kommunizieren - vor allem gegen Ende der Beziehung.
"Du hörst mir gar nicht zu" ist eine Quelle vieler
Kränkungen. Viele Singles können daher auf einer rationalen
Basis recht gut erkennen, daß die Vertrautheit des ehelichen
Gesprächs oft auf einer Illusion beruht. Ihr Ausweg ist die
selektive Dialogisierung des Gesprächs. Freunde, Vertraute,
Arbeitskollegen sind dazu wichtig. Jeder verkörpert ein anderes
Segment der eigenen Interessen und wird dementsprechend auch nicht
für alles, sondern nur für ausgewählte Kapitel
in den Dialog gebracht. Das hat natürlich viele Vorteile:
Man findet sehr viel eher ein aufnahmebereites Ohr, der Gesprächspartner
wird nicht überlastet, man fühlt sich nicht gekränkt
durch die nur laue Beachtung, die der Lebenspartner einem oft
entgegenbringt. Der Preis dafür ist die Selbstverständlichkeit.
Freunde müssen Zeit haben, man muß sie extra anrufen
oder treffen. Allerdings ist wiederum die Dichte mancher Gespräche
eine Kompensation für das Fehlen der Selbstverständlichkeit.
Viele Singles freuen sich richtig darauf, mit irgendwelchen Freunden
oder Kollegen gerade das "ganz passende" Gespräch
führen zu können, sich an richtiger Stelle zu informieren
- ich nehme an, daß diese Singles auch selbst oft zu sehr
anregenden Gesprächspartnern werden. Einige scheinen geradezu
Künstler darin zu sein, Leute zusammenzubringen, die sich
gut unterhalten können - sie können also das Gespräch
auch noch erweitern und sich zum Mittelpunkt kleiner anregender
Geselligkeiten machen.
Das Gespräch bleibt also bei gut gelingendem
Single-Leben Zentrum geistiger Lebendigkeit - aber auch hier muß
neu organisiert und reflektiert werden.
Das Problem der Einsamkeit
Was auch unglückliche Ehen zusammenhält,
oft über eine viel zu lange Zeit, ist die Angst vor der Einsamkeit.
Die trübseligsten Bilder von grauer Verlassenheit, Stille,
Staub auf den Möbeln und nicht geleerten Aschenbechern herrschen
vor.
Was aber wird so sehr gefürchtet an
dieser Einsamkeit - eine Einsamkeit, die ja doch von manchen Menschen
in allen Zeiten oft aufgesucht wurde?
Die meisten Menschen waren zu irgendeiner
Zeit ihres Lebens für irgendeinen Menschen ein ganz wichtiger
Partner: Sei es für die Mutter, sei es für peers oder
später für den Lebenspartner und die Kinder. Das Gefühl,
für jemand anderen unersetzlich zu sein, kann schon dem kleinen
Kind ein gesundes Selbstwertgefühl geben. Aber auch ein Erwachsener
bangt ängstlich, ob auch er für einen anderen (oder
sogar für viele?) ein ganz unersetzlich Einzigartiger ist
und ob man ihn auch wirklich braucht. Und dieses Gebraucht-Werden
muß spürbar sein, womöglich täglich und stündlich.
"Einsam ist, wer für einen anderen Menschen nicht der
Wichtigste ist", sagte die berühmte Psychoanalytikerin
Helene Deutsch. Und dieses Gefühl, man könne einmal
nicht mehr "der Wichtigste" sein, ist für die meisten
Menschen ganz schrecklich. Sie möchten für denjenigen,
der für sie wichtig ist, unersetzlich sein, sogar dann, wenn
der andere vielleicht seine Bedeutung schon eingebüßt
hat. Kindliche Ängste befallen viele Menschen, wenn eine
solche rettende Hand verlorengeht, wenn sie wähnen, nun nicht
mehr unersetzlich und damit auch geschützt und geborgen zu
sein. Viele Singles kennen Zeiten von Schrecken, in denen sie
sich ausmalen, wie sie krank, verlassen oder gar tot in ihrer
Wohnung liegen, niemandem abgehen und ganz und gar vergessen sind.
Einsamkeit wird als Vorstufe des Todes empfunden,
der Schrecken davor erinnert an Todesangst. Läßt sich
dagegen ankommen?
Viele Singles
erzählen, daß sie in dem Moment ihre Einsamkeitsangst
verloren haben, in dem ihnen klar wurde, daß dieses Gefühl
der "Unersetzlichkeit", das ja auch sie irgendwann gehabt
hatten, eine Illusion ist, wenn man es für unabänderlich
hält. Sie haben schließlich miterlebt, daß der
andere "ganz, ganz Wichtige" verblaßt und daß
auch sie selbst verblassen konnten. Daß niemand unersetzlich
ist und man daher auch nicht mit solchem Selbstmitleid beklagen
sollte, wenn einem diese Position verlorengegangen ist, das haben
viele irgendwann eingesehen und akzeptieren müssen. Aus dieser
Einsicht aber ist bei denen, die es schaffen, ein gutes Leben
allein zu führen, das Gefühl erwachsen, daß es
genügt, wenn sie sich selbst wichtig sind. Manche berichten
davon sogar als von einem überschwenglich-euphorischen Erlebnis:
zu begreifen, daß man wichtig ist, einfach weil man da ist,
weil man so und nicht anders ist - das ist der Preis für
eine durchgestandene Einsamkeit, die man sich nicht durch -zig
Hilfsmittel zu verschleiern versucht. Hektisches Jagen nach Gesellschaft
ist dabei die größte Falle; unweigerlich führt
dies zum Katzenjammer des Selbstmitleids: "Aber letztlich
bin ich doch allein."