Kinder, die um 1900 geboren wurden, kamen in den meisten Fällen
zu Hause zur Welt. Eine Hebamme oder Nachbarinnen
halfen der werdenden Mutter. Eine Klinikgeburt war sozial anrüchig.
Nur die allerärmsten Frauen aus den städtischen Unterschichten,
Ledige, Frauen ohne feste Bleibe, gingen in die Gebäranstalt
oder ein Spital.
Der "Schritt ins Leben" war
höchst unsicher, denn viele Kinder überlebten das
erste Lebensjahr nicht. Die Säuglingssterblichkeit war
um die Jahrhundertwende immer noch hoch. Zwar hatte sie um 1870
ihren Höhepunkt erreicht und war dann wieder gesunken,
aber um 1900 starben im Deutschen Reich jährlich noch etwa
vierhunderttausend Kinder. Damit überlebte jeder fünfte
Säugling (bei den unehelichen sogar jeder dritte) das erste
Lebensjahr nicht. Je mehr Kinder in einer Familie geboren wurden,
desto mehr verstarben. Wer als elftes oder weiteres Kind in
eine Bergarbeiterfamilie hineingeboren wurde, hatte eine Überlebenschance
von weniger als 50 Prozent. Kaum anders war es in altbayerischen
ländlichen Gebieten, wo man die Letztgeborenen mit gewollter
Gleichgültigkeit "himmeln gehen" ließ.
Die Säuglingssterblichkeit
ging zuerst im "neuen Mittelstand" zurück, in den
Familien der Beamten, Angestellten und Freiberufler, aber auch
in der Facharbeiterschaft. Hier wuchs das Bewußtsein für
Hygiene und kindgemäße Bedingungen des Rufwachsens
am ehesten.
Die meisten Kinder wurden
getauft. In katholischen Gegenden fand die Taufe spätestens
eine Woche nach der Geburt in Abwesenheit der Mutter statt. Für
diese rasche Taufzeremonie war die hohe Säuglingssterblichkeit
sicher ein wichtiger Grund, denn ein ungetauftes Kind galt als
verlorene Seele, die nicht in den Himmel gelangen konnte. Wichtig
war die Auswahl der Paten, denn diese sollten als Beschützer
und Begleiter des Kindes nicht nur im religiösen Bereich,
sondern auch in Fragen der Lebensplanung und -entscheidung dienen.