Bundesrepublik Deutschland
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
 
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Die traditionelle Rollenverteilung der Geschlechter war in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts unbestrittene Norm. Die Verteilung bestand in der klaren Festlegung der Frau auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter und in der Festschreibung der Rolle des Mannes als Ernährer der Familie.

Vor allem den Frauen wurden eindeutige Leitlinien für ihre Lebensweise vorgegeben. Ein Zitat des 1959 amtierenden Familienministers Franz-Josef Wuermeling aus der Broschüre "Familie - Gabe und Aufgabe" verdeutlicht dies: "Mutterglück ist stets vom Anfang an nicht nur mit großer Verantwortung, sondern auch mit stetem Verzicht verbunden. Diese Gabe und Aufgabe der Selbsthingabe und Selbstverleugnung um höherer Ziele willen ist es auch, die die Mutter zur verständnisvollen Lebensbegleiterin des Mannes und Vaters und zum Herzen der Familie werden läßt."

Gegen diesen von Mutterschaft und Ehe bestimmten Lebensweg begannen die Frauen in den siebziger Jahren aufzubegehren. Sie forderten einen höheren Anteil am öffentlichen Leben und wirtschaftliche Eigenständigkeit durch Berufstätigkeit. Das Bild der traditionellen Ehe geriet ins Wanken. Neue Formen des Zusammenlebens werden nun erprobt, und die Lebenswege von Frauen und Männern bestehen nicht mehr, wie ehemals üblich, in dem Ideal einer lebenslangen Ehe. Die Ehe hat somit auch den Charakter einer einmalig zu absolvierenden Lebensstation verloren. Mehrere Formen des Zusammen- oder Alleinlebens, die in unterschiedlicher Abfolge gelebt oder wiederholt werden können, bestimmen heute viele Biographien. So heiraten manche Paare erst, nachdem sie Eltern geworden sind; andere Paare leben nach einer Scheidung unverheiratet mit anderen Partnern zusammen, und eine steigende Zahl von Paaren entschließt sich, gänzlich auf eine traditionelle Legalisierung ihrer Verbindung zu verzichten. 1987 lebten 1,5 Millionen Bundesbürger in einer Ehe ohne Trauschein, das waren fünfmal mehr als 1972.

In urbanen Zentren (wie München, Berlin, Hamburg oder Frankfurt) sind schon mehr als die Hälfte aller Haushalte Ein-Personen-Haushalte. Diese veränderten Familienstrukturen (vgl. hierzu den Beitrag von Hans Bertram) werden zu einem grossen, aber keineswegs ausschließlichen Teil von den gebildeten Schichten in den Städten getragen. Auf dem Land beläuft sich der Anteil von Haushalten mit mehr als vier Personen noch auf 40 Prozent, in den großen Städten auf 10 Prozent.

Und doch wird die Ehe ohne Trauschein von vielen Paaren als Übergangsphase betrachtet. Nach einer langjährigen Phase des Zusammenlebens oder dann, wenn ein Kind erwartet wird, steht für die meisten dieser Paare die Ehe an. Sie wird also noch immer als ideale Form des Glücks gesehen, und sie dient nach wie vor als Orientierung auf dem Lebensweg, obwohl sie ihre Verbindlichkeit verloren hat.

Der Trend zur Kleinfamilie ist aufgrund der hohen Scheidungsraten dennoch abnehmend. Die Zahl der Ehescheidungen hat sich seit den fünfziger Jahren verdoppelt, und gegenwärtig wird jede dritte Ehe geschieden, wobei 75 Prozent aller Scheidungsklagen von Frauen eingereicht werden. Die "Scheidungsfamilie" wird deshalb schon als Prototyp der zukünftige Familienform prognostiziert. Entscheidend für die Veränderung des Familienlebens ist auch das gestiegene Heiratsalter der Paare. Von 1975 bis 1987 ist das durchschnittliche Heiratsalter der Männer von 25,3 auf fast 28 Jahre und bei den Frauen von 22, 7 auf 25,2 Jahre gestiegen. In höhergebildeten Schichten liegt das Heiratsalter sogar über dem 30. Lebensjahr.

Ähnlich gestiegen ist der Zeitpunkt, an dem die Frauen ihr erstes Kind erwarten: Die Mehrzahl der Frauen in der Bundesrepublik ist heute um die dreißig, wenn sie ihr erstes Kind bekommt. Die Lebensstation "Heirat und Familiengründung" hat auch aufgrund des hohen Heiratsalters ihre eindeutige Markierung als Übergang zum Erwachsenensein eingebüßt.

Exponate
             
 
 
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