Die traditionelle Rollenverteilung der Geschlechter
war in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts
unbestrittene Norm. Die Verteilung bestand in der klaren Festlegung
der Frau auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter und in der Festschreibung
der Rolle des Mannes als Ernährer der Familie.
Vor allem den Frauen wurden eindeutige Leitlinien
für ihre Lebensweise vorgegeben. Ein Zitat des 1959 amtierenden
Familienministers Franz-Josef Wuermeling aus der Broschüre
"Familie - Gabe und Aufgabe" verdeutlicht dies: "Mutterglück
ist stets vom Anfang an nicht nur mit großer Verantwortung,
sondern auch mit stetem Verzicht verbunden. Diese Gabe und Aufgabe
der Selbsthingabe und Selbstverleugnung um höherer Ziele
willen ist es auch, die die Mutter zur verständnisvollen
Lebensbegleiterin des Mannes und Vaters und zum Herzen der Familie
werden läßt."
Gegen diesen von Mutterschaft und Ehe bestimmten
Lebensweg begannen die Frauen in den siebziger Jahren aufzubegehren.
Sie forderten einen höheren Anteil am öffentlichen Leben
und wirtschaftliche Eigenständigkeit durch Berufstätigkeit.
Das Bild der traditionellen Ehe geriet ins Wanken. Neue Formen
des Zusammenlebens werden nun erprobt, und die Lebenswege von
Frauen und Männern bestehen nicht mehr, wie ehemals üblich,
in dem Ideal einer lebenslangen Ehe. Die Ehe hat somit auch den
Charakter einer einmalig zu absolvierenden Lebensstation verloren.
Mehrere Formen des Zusammen- oder Alleinlebens, die in unterschiedlicher
Abfolge gelebt oder wiederholt werden können, bestimmen heute
viele Biographien. So heiraten manche Paare erst, nachdem sie
Eltern geworden sind; andere Paare leben nach einer Scheidung
unverheiratet mit anderen Partnern zusammen, und eine steigende
Zahl von Paaren entschließt sich, gänzlich auf eine
traditionelle Legalisierung ihrer Verbindung zu verzichten. 1987
lebten 1,5 Millionen Bundesbürger in einer Ehe ohne Trauschein,
das waren fünfmal mehr als 1972.
In urbanen Zentren (wie München, Berlin,
Hamburg oder Frankfurt) sind schon mehr als die Hälfte aller
Haushalte Ein-Personen-Haushalte. Diese veränderten Familienstrukturen
(vgl. hierzu den Beitrag von Hans Bertram) werden zu einem grossen,
aber keineswegs ausschließlichen Teil von den gebildeten
Schichten in den Städten getragen. Auf dem Land beläuft
sich der Anteil von Haushalten mit mehr als vier Personen noch
auf 40 Prozent, in den großen Städten auf 10 Prozent.
Und doch wird die Ehe ohne Trauschein von
vielen Paaren als Übergangsphase betrachtet. Nach einer langjährigen
Phase des Zusammenlebens oder dann, wenn ein Kind erwartet wird,
steht für die meisten dieser Paare die Ehe an. Sie wird also
noch immer als ideale Form des Glücks gesehen, und sie dient
nach wie vor als Orientierung auf dem Lebensweg, obwohl sie ihre
Verbindlichkeit verloren hat.
Der Trend zur Kleinfamilie ist aufgrund
der hohen Scheidungsraten dennoch abnehmend. Die Zahl der Ehescheidungen
hat sich seit den fünfziger Jahren verdoppelt, und gegenwärtig
wird jede dritte Ehe geschieden, wobei 75 Prozent aller Scheidungsklagen
von Frauen eingereicht werden. Die "Scheidungsfamilie"
wird deshalb schon als Prototyp der zukünftige Familienform
prognostiziert. Entscheidend für die Veränderung des
Familienlebens ist auch das gestiegene Heiratsalter der Paare.
Von 1975 bis 1987 ist das durchschnittliche Heiratsalter der Männer
von 25,3 auf fast 28 Jahre und bei den Frauen von 22, 7 auf 25,2
Jahre gestiegen. In höhergebildeten Schichten liegt das Heiratsalter
sogar über dem 30. Lebensjahr.
Ähnlich gestiegen ist der Zeitpunkt,
an dem die Frauen ihr erstes Kind erwarten: Die Mehrzahl der Frauen
in der Bundesrepublik ist heute um die dreißig, wenn sie
ihr erstes Kind bekommt. Die Lebensstation "Heirat und Familiengründung"
hat auch aufgrund des hohen Heiratsalters ihre eindeutige Markierung
als Übergang zum Erwachsenensein eingebüßt.