Bundesrepublik Deutschland
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
 
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Nachdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts Jugend als eigenständige Lebensphase entstanden ist, bedeutet jung zu sein heute, sich in einem zugestandenen Schutz- und Schonraum selbst finden und ausprobieren zu können. Dieser Schonraum hat sich durch verlängerte Ausbildungszeiten fast auf das gesamte zweite Lebensjahrzehnt ausgedehnt, in dem früher der Einstieg in das berufliche und familiale Erwachsenendasein stattfand.

Die Bildungsreform der sechziger und siebziger Jahre hat tiefgreifende Spuren in der Jugendphase hinterlassen. Die Schule und die Ausbildung bestimmen heute das Leben der jugendlichen. 1956 besuchten 5,5 Prozent der Jugendlichen zwischen 16 und 19 Jahren eine höhere Schule, 1975 waren es bereits 17 Prozent, und 1985 besuchten 28 Prozent ein Gymnasium. Gestiegen ist vor allem der Anteil der Mädchen, die eine höhere Schule besuchen: 52 Prozent gingen 1978 auf eine weiterführende Schule. Die Lebensziele und Planungen von Mädchen und Jungen begannen sich anzugleichen. Das Hauptziel der Mädchen besteht seit den siebziger Jahren nicht mehr darin, Hausfrau und Mutter zu werden.

Die Jugendlichen versuchen nicht mehr, sich dem Status der Erwachsenen anzunähern, sondern sie definieren sich durch Distanz ihnen gegenüber und suchen nach eigenen Ausdrucksmöglichkeiten und Lebensformen fern der abgelehnten Erwachsenenkultur. Der Übergang ins Erwachsenenalter, Ehe und Elternschaft werden in eine ferne biographische Zukunft gerückt.

Es fällt auf, daß die einzelnen Stile der Jugend zunehmend einen internationalen Charakter bekommen haben Heute sind die Jugendgruppen durch die Verbreitung der verschiedenen Strömungen der Jugendkultur u.a. durch die Massenmedien, nicht mehr - wie noch in den fünfziger Jahren - regional geprägt. Dazu trägt sicher auch die Mobilität des Einzelnen bei, die Fahrten zu Open-air-Konzerten, Demonstrationen oder Reisen in Großstädte möglich macht. So bestehen die Unterschiede unter den jugendlichen heute weniger in der Ausprägung eines Stadt-Land-Gefälles als vielmehr zwischen den Lebensstilen der arbeitenden und der lernenden Jugend. Durch diese unterschiedlichen Lebensbereiche werden auch die zahlreichen Stile der Jugendkultur geprägt.

Unterschiedliche Strömungen der Jugendkultur haben die Geschichte der Bundesrepublik mit geprägt. Besonders die von den Studenten ausgegangene Bewegung um 1968 hat auf die gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik im Hinblick auf Partnerbeziehungen, Kindererziehung, Frauenfragen und auf die Aufarbeitung der Ereignisse während des Nationalsozialismus einen entscheidenden Einfluß ausgeübt. Die politische Kultur der Bundesrepublik wurde durch die 68er Generation maßgeblich verändert.

Nicht zuletzt bedingt durch die umfassende Schulbildung war es mehr und mehr die Jugend, die sich mit den bedeutenden Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung auseinandersetzte und die ältere Generation damit konfrontierte. Offenheit für neue Strömungen und Flexibilität der Meinung gelten als Zeichen für Jugend.

Darüber hinaus ist Jugendlichkeit zu einem Leitbild für die gesamte Gesellschaft geworden. In einer sich schnell verändernden Gesellschaft muß der Erwachsene, der sich eigentlich darüber definiert, "fertig zu sein" und seine Rolle gefunden zu haben, zu einem lebenslangen Lernen bereit sein, will er nicht unversehens als hoffnungslos veraltet gelten. Sich jugendlich zu geben demonstriert dann noch am ehesten nach außen, auf der Höhe der modernen Zeit zu sein.

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