Nachdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts Jugend als eigenständige
Lebensphase entstanden ist, bedeutet jung zu sein heute, sich
in einem zugestandenen Schutz- und Schonraum selbst finden und
ausprobieren zu können. Dieser Schonraum hat sich durch verlängerte
Ausbildungszeiten fast auf das gesamte zweite Lebensjahrzehnt
ausgedehnt, in dem früher der Einstieg in das berufliche
und familiale Erwachsenendasein stattfand.
Die Bildungsreform
der sechziger und siebziger Jahre hat tiefgreifende Spuren in
der Jugendphase hinterlassen. Die Schule und die Ausbildung bestimmen
heute das Leben der jugendlichen. 1956 besuchten 5,5 Prozent der
Jugendlichen zwischen 16 und 19 Jahren eine höhere Schule,
1975 waren es bereits 17 Prozent, und 1985 besuchten 28 Prozent
ein Gymnasium. Gestiegen ist vor allem der Anteil der Mädchen,
die eine höhere Schule besuchen: 52 Prozent gingen 1978 auf
eine weiterführende Schule. Die Lebensziele und Planungen
von Mädchen und Jungen begannen sich anzugleichen. Das Hauptziel
der Mädchen besteht seit den siebziger Jahren nicht mehr
darin, Hausfrau und Mutter zu werden.
Die Jugendlichen
versuchen nicht mehr, sich dem Status der Erwachsenen anzunähern,
sondern sie definieren sich durch Distanz ihnen gegenüber
und suchen nach eigenen Ausdrucksmöglichkeiten und Lebensformen
fern der abgelehnten Erwachsenenkultur. Der Übergang ins
Erwachsenenalter, Ehe und Elternschaft werden in eine ferne biographische
Zukunft gerückt.
Es fällt
auf, daß die einzelnen Stile der Jugend zunehmend einen
internationalen Charakter bekommen haben Heute sind die Jugendgruppen
durch die Verbreitung der verschiedenen Strömungen der Jugendkultur
u.a. durch die Massenmedien, nicht mehr - wie noch in den fünfziger
Jahren - regional geprägt. Dazu trägt sicher auch die
Mobilität des Einzelnen bei, die Fahrten zu Open-air-Konzerten,
Demonstrationen oder Reisen in Großstädte möglich
macht. So bestehen die Unterschiede unter den jugendlichen heute
weniger in der Ausprägung eines Stadt-Land-Gefälles
als vielmehr zwischen den Lebensstilen der arbeitenden und der
lernenden Jugend. Durch diese unterschiedlichen Lebensbereiche
werden auch die zahlreichen Stile der Jugendkultur geprägt.
Unterschiedliche
Strömungen der Jugendkultur haben die Geschichte der Bundesrepublik
mit geprägt. Besonders die von den Studenten ausgegangene
Bewegung um 1968 hat auf die gesellschaftliche Entwicklung der
Bundesrepublik im Hinblick auf Partnerbeziehungen, Kindererziehung,
Frauenfragen und auf die Aufarbeitung der Ereignisse während
des Nationalsozialismus einen entscheidenden Einfluß ausgeübt.
Die politische Kultur der Bundesrepublik wurde durch die 68er
Generation maßgeblich verändert.
Nicht zuletzt
bedingt durch die umfassende Schulbildung war es mehr und mehr
die Jugend, die sich mit den bedeutenden Fragen der gesellschaftlichen
Entwicklung auseinandersetzte und die ältere Generation damit
konfrontierte. Offenheit für neue Strömungen und Flexibilität
der Meinung gelten als Zeichen für Jugend.
Darüber hinaus ist Jugendlichkeit zu
einem Leitbild für die gesamte Gesellschaft geworden. In
einer sich schnell verändernden Gesellschaft muß der
Erwachsene, der sich eigentlich darüber definiert, "fertig
zu sein" und seine Rolle gefunden zu haben, zu einem lebenslangen
Lernen bereit sein, will er nicht unversehens als hoffnungslos
veraltet gelten. Sich jugendlich zu geben demonstriert dann noch
am ehesten nach außen, auf der Höhe der modernen Zeit
zu sein.