In den sechziger Jahren gab es in der Bundesrepublik
eine heftige Diskussion um das im Verhältnis zu anderen modernen
Industriegesellschaften sehr veraltete deutsche Schulwesen. Ein
Bildungsnotstand wurde beschworen, der aufgrund des Fehlens gut
qualifizierter Nachwuchskräfte den erreichten Status einer
international konkurrenzfähigen Wirtschaftsmacht gefährden
würde. Das Bildungswesen war im Grunde jenes der Weimarer
Republik. Die Ausgaben dafür waren minimal, die Inhalte überholungsbedürftig,
sie konnten kaum der Dynamik einer modernen Industriegesellschaft
standhalten, und die Zahl der höheren Bildungsabschlüsse
gering. Kritiker prognostizierten gar, daß Erstkläßler
bald wegen mangelnder Planung weder Lehrer noch Klassenzimmer
mehr vorfinden würden.
In den sechziger Jahren leitete der Staat
eine Modernisierung ein, die zur Bildungsexpansion führte:
Immer mehr Heranwachsende besuchen seither weiterführende
Schulen und Hochschulen. Seitdem Bildung eine große Wertschätzung
in der Bevölkerung erfährt, hat sich die Aufmerksamkeit,
die Eltern den schulischen Leistungen ihrer Kinder entgegenbringen,
noch erhöht. Schon deshalb ist der Tag der Einschulung, verglichen
mit den anderen Lebensstationen eines jungen Menschen, ein wichtiger
Einschnitt. Mehr denn je hofft man, daß die über den
Bildungsweg erworbenen Zertifikate "lohnen" im Hinblick
auf die künftige Berufstätigkeit sowie den gesellschaftlichen
Status, den man erlangen kann.
Darüber hinaus fängt mit dem Schulbeginn
ein Leben mit einer streng geregelten Zeit, den Schulstunden,
an. Die Ablösung vom Elternhaus wird dadurch ebenso deutlich
eingeleitet wie durch den Eintritt in ein neues hierarchisches
Gebilde, das aus vielen Kindern, Lehrern und Schulleitung besteht.
Der erste Schultag beginnt für Kinder
und Eltern zumeist mit der offiziellen Schulantrittsfeier, die
in der Aula oder in einem anderen großen Raum der Schule
stattfindet. Anschließend ziehen die nun in Klassen eingeteilten
Kinder mit ihrem Lehrer zur ersten Schulstunde in ihren Klassenraum.