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In den Untersuchungen des ZIJ zeigten sich
diese Entwicklungen 1978 und 1979 als erste stagnative und rückläufige
Trends bei fast allen politischen Einstellungen und Wertorientierungen.
Im Grunde war damit aus heutiger Sicht bereits das Ende der uniformen
sozialistischen Gesellschaft prognostiziert: Nie wieder zeigte
sich die Jugend in ihrer Gesamtheit so stark auf die DDR und den
Sozialismus als einzige akzeptable Gesellschaftsordnung ausgerichtet
wie zur Mitte der siebziger Jahre. Ebenso wurde deutlich (und
bestimmte fortan auch das Bewußtsein der jungen Generation),
daß die DDR und das sozialistische Gesellschaftssystem sich
nicht abgekoppelt vom welthistorischen Prozeß entwickeln
konnten. Die gesellschaftswissenschaftliche Forschung zeigte andererseits
auf, daß das spezifische Zusammenwirken von internationalen
und nationalen Ereignissen von erheblicher Bedeutung für
die tendenzielle Veränderung politischer Einstellungen, Überzeugungen
und Wertorientierungen bei Jugendlichen ist, insbesondere dann,
wenn diese Verhaltensdispositionen noch nicht in einem Maße
habitualisiert sind, die eine Änderung erschweren könnten.
Anfang der achtziger Jahre bewirkten zunehmende
Belastungen durch das Wettrüsten eine weitere Zuspitzung
der wirtschaftlichen Lage in der DDR. Ein weiteres Mal zeigte
sich, daß weder das sozialistische Staatensystem noch die
DDR in der Lage waren, diese Belastungen abzufangen. Dennoch versuchte
die SED-Führung, aus dieser Situation politischen Gewinn
zu erzielen, indem sie sich mit einer starken propagandistischen
Offensive an der Spitze der weltweiten Friedensbewegung etablieren
wollte. Dieser Führungsanspruch wurde ihr zwar international
verwehrt, trug jedoch innenpolitische Früchte. Nachweisbar
durch Studien in den Jahren 1983 bis 1986, kam es vorübergehend
zu einer gewissen Stabilisierung der Identifikation mit der DDR
und dem Sozialismus und diesbezüglicher Einstellungen und
Wertorientierungen. Im Grunde handelt es sich hierbei jedoch um
eine Scheinstabilisierung, die in keiner Weise in einer Veränderung
des Systems selbst begründet war, sondern allein als Resultat
einer geschickten Propagandakampagne zu werten ist. Folgerichtig
bewirkte sie nur ein kurzes Aufhalten des allgemeinen, bereits
Ende der siebziger Jahre eingeleiteten Verfallsprozesses des "sozialistischen
Bewußtseins". Von ihm wurden alle wesentlichen Überzeugungen
und Werte erfaßt, wenn auch zum Teil zeitlich inkongruent.
Wenn man dennoch in der Mitte der achtziger Jahre eine weitere
Zäsur ansetzt, so vor allem deshalb, weil von diesem Zeitpunkt
an der Niedergang sozialistischer Einstellungen und Wertorientierungen
bei DDR-Jugendlichen in einem Tempo erfolgte, das eine tiefe gesellschaftliche
Krise als unabwendbar erscheinen ließ.
Als Ursachen für diesen rasanten Verfall
sind sowohl innen- als auch außenpolitische Prozesse verantwortlich
zu machen. Die sehr differenzierten Entwicklungen im Ostblock,
vor allem in der Sowjetunion, in Polen und Ungarn, stellten die
Allgemeingültigkeit der "Gesetzmäßigkeit"
vom Übergang des Kapitalismus in den Sozialismus/Kommunismus
aus der Sicht der Jugendlichen zunehmend in Frage. Ein großer
Teil der Jugend, darunter häufiger Studenten und Intellektuelle,
setzte große Hoffnungen in die von Gorbatschow seit 1985
praktizierte Politik der Öffnung und sah hier Ansätze
für längst fällige Reformen im realen Sozialismus
der DDR. Diese Hoffungen erfüllten sich nicht. Die DDR-Führung
verschärfte vielmehr die "ideologische Kontrolle"
und ignorierte die Entwicklungen im Bruderland Nummer eins. Zunehmend
erfolgte nunmehr eine totale Ideologisierung aller Alltagsbereiche,
wovon besonders Jugendliche betroffen waren. Politische Agitation
begleitete den DDR-Bürger vom Kindergarten bis in die Rente.
Man griff auf die längst vergessenen "Schwarz-Weiß-Darstellungen"
aus der Zeit des Kalten Krieges zurück und baute Identifikationsmuster
mit SED und DDR auf der einen Seite,
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Feindbilder gegenüber dem "BRD-Imperialismus"
auf der anderen Seite auf.
In den Medien der DDR erfolgte eine fast
ausschließliche Nur-Erfolgsberichterstattung und Argumentation,
die in krasser Diskrepanz zu den ernüchternden Alltagserfahrungen
der Jugendlichen (vor allem in der Berufstätigkeit) stand.
Abgesehen von der Lächerlichkeit solcher Berichterstattung,
bewirkte diese Art von Journalismus, daß ein großer
Teil der Jugendlichen im Bedürfnis nach umfassender und wahrer
politischer Information auf die Medien der Bundesrepublik zurückgriff.
Obwohl in der DDR bis zur "Wende"
1989 kaum jemand Not litt, war der Alltag in den achtziger Jahren
doch überwiegend durch einen Mangel an Waren des täglichen
Bedarfs, durch geringes technisches Niveau von Konsumgütern,
durch überalterte Produktionsanlagen, eine schleichende Inflation
und die zunehmende Dominanz der Schattenwährung D-Mark für
die Erlangung von Dienstleistungen und hochwertigen Gütern
charakterisiert. Zugleich traten die für eine Mangelwirtschaft
typischen Erscheinungsformen von Korruption, Vetternwirtschaft
und Privilegierung immer krasser zutage, wurden andererseits jegliche
Leistungsprinzipien außer Kraft gesetzt.
Die von Jugendlichen im Alltag gewonnenen
Erfahrungen standen immer häufiger im Gegensatz zu dem von
Schule, Medien und FDJ-Versammlung vermittelten Bild der DDR und
des Sozialismus. Sie mußten im Verlauf der achtziger Jahre
den Eindruck gewinnen, daß die Gesellschaftskonzeption des
Marxismus-Leninismus keine Prognose künftiger Entwicklung
gestattete, nicht einmal die aktuellen Problemfelder erklären
konnte. Permanent einer Disziplinierung und sozialen Kontrolle
durch Lehrer, Polizei und Vorgesetzte (zum Teil zusätzlich
der Eltern) ausgesetzt, blieb häufig kein Raum für individuelle
Gestaltungsfelder. Angesichts der zunehmenden Erfahrungsmöglichkeiten
westlicher Lebensqualität wurde das an sich immer vorhandene
Gefühl des Eingesperrtseins zu einem dominanten Lebensgefühl
der DDR-Jugend und führte nicht selten zur totalen Resignation.
Im Zuge dieser durch innen- und außenpolitische Faktoren
bestimmten Entwicklung war ein Vertrauensverlust in die politische
Organisation der DDR, insbesondere in die SED-Führung, ein
Abbau politischer Werte des Sozialismus und diesbezüglicher
Einstellungen, damit letztlich für viele junge Menschen eine
tiefe politisch-weltanschauliche Identifikations- und Orientierungskrise
absehbar und stellte sich zunehmend ein. Der Glaube an die Überlegenheit
und Zukunftsfähigkeit des Sozialismus wurde immer mehr in
Frage gestellt und schließlich als Illusion bewertet. Im
Sommer 1989 war ein größerer Teil der DDR-Jugend -
mit unterschiedlicher Gewichtigkeit in den verschiedenen sozialen
Gruppen - nicht mehr bereit, sich für eine weitere sozialistische
Entwicklung in der DDR einzusetzen, hegte prinzipiell Zweifel
an der Durchsetzung des Sozialismus im Weltmaßstab, lehnte
den Marxismus-Leninismus ab und identifizierte sich weder mit
den politischen Zielen der SED noch der FDJ. Die sozialistische
DDR war es nicht mehr wert, erhalten, geschweige denn verteidigt
zu werden.
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