Der Sozialismus war offenbar in der Lage,
einen kontinuierlichen Anstieg der Lebensqualität zu gewährleisten.
Im Verbund mit den traditionellen "deutschen Tugenden"
Fleiß und Zielstrebigkeit sollte es nach Ansicht vieler
Jugendlicher gelingen, einen Westdeutschland vergleichbaren (oder
gar höheren) Lebensstandard zu erreichen. Diese Überzeugung
wurde durch die Erfahrung der Lebensbedingungen in Osteuropa gestärkt.
Der größere Teil der Jugendlichen war in den siebziger
Jahren davon überzeugt, daß in der DDR eine humanistische
Gesellschaftsordnung verwirklicht wird, die beispielhaft für
die ganze Welt ist. Erst als Ende der siebziger Jahre Zweifel
an den Potenzen des sozialistischen Weltsystems, an der ökonomischen
Souveränität der DDR aufkommen mußten, wurde der
Stolz auf die DDR-Staatsbürgerschaft zum ersten Mal deutlich
erschüttert. Trotz nun ständig zunehmender Vorbehalte
hielt sich das DDR-Identitätsbewußtsein bei den meisten
Jugendlichen noch bis zur Mitte der achtziger Jahre und brach
erst dann völlig zusammen, als die ökonomische und politische
Krise immer offensichtlicher wurde und man die Erfahrung machte,
daß der SED-Staat nur durch Restriktionen in der Lage war,
seine Macht zu erhalten.
Nicht unwichtig erscheint es, an dieser
Stelle auf die allerdings immer im Verlauf der DDR-Geschichte
nachvollziehbaren Differenzierungen in der Ausprägung politisch
relevanter Einstellungen und Überzeugungen bei verschiedenen
sozialen Gruppen unter der Jugend hinzuweisen. So waren, wie schon
eingangs angemerkt, Studenten und Intellektuelle immer stärker
DDR-verbunden und von den "Vorzügen des Sozialismus"
überzeugt als Lehrlinge oder junge Arbeiter. Letztere erfuhren
frühzeitiger die Diskrepanz zwischen "Lehre" und
Alltag im Berufsleben, äußerten sich zu größeren
Anteilen zurückhaltend und skeptisch. Sie durchliefen allerdings
auch nicht wie Studenten oder Fach- und Hochschulabsolventen eine
derartige politische Schulung, wie sie an den Universitäten,
Hoch- und Fachschulen üblich war. Über das Ausmaß
politischer Schulung erklären sich auch Unterschiede in der
Ausprägung von Einstellungen und Überzeugungen bei SED-Mitgliedern
oder Funktionären des Jugendverbandes FDJ auf der einen Seite
und SED-Nichtmitgliedern, "einfachen" FDJ-Mitgliedern
bzw. Nichtmitgliedern der FDJ auf der anderen Seite. (Zum nötigen
Verständnis sei hinzugefügt, daß fast alle Jugendlichen
in der DDR Mitglied des Jugendverbandes waren. Für viele
war dies jedoch lediglich eine Formsache oder eine taktische Maßnahme,
um Benachteiligungen im Alltag und bei der beruflichen Karriere
zu entgehen.) Trotz unterschiedlicher Niveaus der Ausprägung
von Einstellungen und Überzeugungen bei den verschiedenen
Gruppen ist allen jedoch der Negativ-Trend insbesondere der Jahre
nach 1985 gemein. Ohne jede Einschränkung identifizierten
sich Ende 1988 nur noch weniger als 20 Prozent der berufstätigen
Jugend und der Lehrlinge mit der DDR; bei Studenten, Hoch- und
Fachschulabsolventen belief sich der diesbezügliche Anteil
etwa auf ein Drittel. 1983 zum Beispiel fühlten sich noch
die Hälfte der Lehrlinge und jungen Arbeiter sowie mehr als
zwei Drittel der Studenten, Hoch- und Fachschulabsolventen dem
Honecker-Staat fest verbunden.
Die Identifikation mit der DDR assoziierte
immer auch die Identifikation mit der staatstragenden Partei,
der SED. Bedauerlicherweise fehlen für diesbezügliche
Trendbetrachtung Meßergebnisse aus der Mitte der siebziger
Jahre.
Vermutlich erreichte auch die Identifikation
mit der SED zu jenem Zeitpunkt ihren Höhepunkt. Bemerkenswert
ist bezüglich des Vertrauens in die SED folgendes: Zum einen
war die uneingeschränkte Zustimmung zur staatstragenden Partei
nie so stark ausgeprägt wie zum Beispiel die Identifikation
mit der DDR. Handelte es sich bei der SED um eine politische Identifikation,
so stand hinter der DDR-Verbundenheit auch immer ein Stück
Heimatverbundenheit, standen Landschaft, Freunde und Verwandte
und so weiter. Daß schließlich auch die DDR-Identität
stark verfiel, war dann sicher vorrangig politisch akzentuiert.
(Im übrigen flackerte die DDR-Identität nach der "Wende"
noch einmal stark auf, was von einer SED-Identität nicht
zu sagen war.)
Andererseits wurde die SED bis 1986 nur
von einer Minderheit der Jugendlichen (etwa ein Fünftel)
deutlich abgelehnt, viele akzeptierten sie "mit gewissen
Einschränkungen". Immerhin jeder fünfte über
18jährige war Mitglied der SED. Der deutliche Vertrauensverlust
gegenüber der SED setzte erst nach dem Parteitag des Jahres
1986 ein, als die Parteispitze erkennen ließ, daß
sie nicht in der Lage war, die sich zuspitzende politische und
ökonomische Krise des Realsozialismus hinreichend zu begrenzen.
Die Ignoranz der Entwicklung in Polen und der Sowjetunion wurde
von vielen Jugendlichen nicht verstanden, es setzte sich der Eindruck
durch, daß nicht das Wohl des Volkes im Mittelpunkt der
SED-Politik stand, sondern das Wohl des SED-Politbüros. Erste
gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Polizei
wie zu Pfingsten 1987 in Berlin-Ost verstärkten diesen Eindruck:
Die SED setzte sich für die Jugend nur so lange ein, wie
diese ihre Politik uneingeschränkt akzeptierte. Mit der Ablehnung
der Staatspartei ging nun auch eine verstärkte Ablehnung
der staatstragenden Ideologie, des Marxismus-Leninismus, einher.
Ende 1988 gaben nur noch zehn Prozent der Lehrlinge und der berufstätigen
Jugend an, sich vorbehaltlos mit der Lehre von Marx, Engels und
Lenin zu identifizieren. Was im übrigen die Mitgliedschaft
in der SED bedeutete, macht folgender Fakt auf fatale Weise deutlich:
Im April/Mai 1989 identifizierten sich von den Nichtmitgliedern
der SED nur noch 8 Prozent, aber selbst von den Parteimitgliedern
nur noch 48 Prozent voll mit der SED!
Daß die SED bis 1986 nur von einer
Minderheit der DDR-Jugend deutlich abgelehnt wurde, mag heute
Verwunderung auslösen. Man muß dabei jedoch berücksichtigen,
daß die gesamte Entwicklung der DDR, eingeschlossen alle
positiv bewerteten Ereignisse, völlig von der SED vereinnahmt
wurde. So hielt man das in den siebziger und zu Anfang der achtziger
Jahre positiv Erreichte (zum Beispiel Wohnungs- und Sozialpolitik)
ausschließlich der SED zugute. Die Parteispitze konnte von
diesem,